SCHOONHOOVEN
SCHOONHOOVEN 1.3. – 9.4.1972
Jan Schoonhoven (1914 Delft – 1994 Delft)
Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert
„Die Ausstellung ist die erste große Übersichtsschau über das Werk Schoonhovens. Es war äußerst schwierig, das Material zusammenzutragen, da es sich weitgehend in öffentlichem und privatem Besitz befindet, und es dürfte deshalb in absehbarer Zeit kaum noch möglich sein, wieder eine Retrospektive zu veranstalten.“1(Johannes Cladders, 1972)
Das Städtische Museum Mönchengladbach war die erste Station dieser umfangreichen Ausstellungstournee des niederländischen Künstlers, die – nach Stationen in der BRD, in den Niederlanden und in der Schweiz – im Amsterdamer Stedeljik Museum zu Ende ging. Der Galerist Alexander von Berswordt-Wallrabe, der Schoonhoven in seiner Galerie m in Bochum vertrat, war maßgeblich am Zustandekommen des Projekts beteiligt. Nachdem Johannes Cladders im Sommer 1971 mit der Idee an Berswordt-Wallrabe herangetreten war, eine Schoonhoven-Ausstellung zu initiieren2, vermittelte dieser nicht nur den Kontakt zum Künstler nach Delft, sondern auch zu zahlreichen Sammler:innen und Institutionen, die Cladders im Anschluss als Leihgeber für Mönchengladbach gewinnen konnte. Von niederländischer Seite waren zwei Personen besonders wichtig: L.J. Verboon, der Leiter der Galerie orez mobiel und Jean Leering, der Direktor des Van Abbemuseums in Eindhoven. Verboons und Leerings Unterstützung war für die Realisierung unverzichtbar.
Dass Hans van der Grinten, der von 1971 bis 1974 als wissenschaftlicher Assistent am Museum Mönchengladbach tätig war, die niederländische Sprache beherrschte, stellte sich für die Kommunikation mit Künstler und Leihgeber:innen gleichfalls als hilfreich heraus. Van der Grinten war es auch, der Schoonhovens Text „Zero“ (1964) übersetzte, der im Kassettenkatalog SCHOONHOVEN erstmals auf deutsch veröffentlicht wurde.
Die Ausstellung präsentierte dem Publikum über 120 Reliefs, Gemälde, Gouachen und Zeichnungen aus den Jahren 1946 bis 1971.
Sie erfuhr einhellig positive Resonanz und ein überaus reges Presseecho. Einen Tag nach Ausstellungsende veröffentlichten die Amtlichen Mönchengladbacher Mitteilungen ein Resümee:
„Jan J. Schoonhoven in Mönchengladbach – Unter dieser Überschrift berichteten viele große Tageszeitungen über die Ausstellung des niederländischen Zero-Künstlers Jan J. Schoonhoven, die am vergangenen Sonntag zu Ende ging. Die Resonanz war weit und positiv. Dem Museum liegen Rezensionen vor aus ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, ‚Düsseldorfer Nachrichten‘, ‚Die Welt‘, ‚Neue Rhein Zeitung‘, ‚Darmstädter Tagblatt‘, ‚Aachener Volkszeitung‘, ‚Mannheimer Morgen‘, ‚Neues Rheinland‘, ‚De Nieuwe Gazet‘, ‚Süddeutsche Zeitung‘. Auch der Bayerische Rundfunk berichtete ausführlich. Natürlich nahm auch die örtliche Presse, die ‚Rheinische Post‘ und die ‚Westdeutsche Zeitung‘ von diesem Kunstereignis gebührend Notiz.
Schoonhoven gehört zu den Mitbegründern der niederländischen Gruppe ‚Nul‘, einer künstlerischen Bewegung, deren Vorstellungen mit denen der Düsseldorfer ‚Zero-Gruppe‘ (Mack, Piene, Uecker) sehr verwandt sind. In Mönchengladbach wurden diese Tendenzen nun erstmals und umfassend dargestellt. Daher auch die weite Resonanz. Der Zero-Aspekt spiegelt sich schon in vielen Überschriften: ‚Der Macher mit dem Pappmaché‘, ‚Holländischer Expressionist probt die Askese‘, ‚Vorliebe für die sprachlose Kunst‘, ‚Licht springt über Stege‘, ‚Rational und lyrisch‘. In den Besprechungen liegt der Tenor immer wieder auf der Feststellung, daß das Werk Schoonhovens von äußerster Konsequenz ist und insbesondere die weißen Reliefs aus Pappmaché am überzeugensten für eine Richtung stehen, die aus dem Ansatz ‚Nul‘ einen neuen künstlerischen Weg beschritt, der internationale Relevanz gewann.
International war auch das Publikum bei der Eröffnung im Haus an der Bismarckstraße. Die Ausstellung war außerordentlich gut besucht, die Vorzugsausgabe des Katalogs mit einem signierten Prägedruck des Künstlers war bereits am Eröffnungsabend vergriffen. Auch auswärtige Museen zeigen ihr Interesse. So wandert die Ausstellung nun zunächst zum Westfälischen Kunstverein Münster. Anschließend geht sie nach Venlo. Der Badische Kunstverein Karlsruhe und das Stedelijk Museum Amsterdam übernimmt sie ebenfalls. Im Gespräch sind ferner noch Hamburg und Basel.“3
Kassettenkatalog
Aufgrund zahlreicher profunder kunsthistorischer Textbeiträge (Cladders, van der Grinten, Schoonhoven, Klaus Honnef, Walter Kambartel und Jean Leering) zählt der Mönchengladbacher Kassettenkatalog zu den Standardwerken der Schoonhoven-Literatur. Dies möglicherweise antizipierend hatte Cladders hier eine besonders hohen Auflage von 660 Ex. festgelegt, wie im Fall der Kassettenkataloge ANDRE und BUREN 2 (1975). Nur die drei BELEG-Kataloge (1968, 1971, 1976), deren Auflagehöhe nicht bekannt sind, wurden in höherer Stückzahl produziert.
Quellenangaben / Anmerkungen
Johannes Cladders, Text des Kassettenkatalogs
Dass die frühen Zeichnungen Schoonhovens der Bildwelt eines Klee verpflichtet sind, drängt sich auf. Nicht weniger, dass seine farbigen Gouachen und Ölbilder der fünfziger Jahre viel dem Tachismus verdanken, vor allem seiner neoexpressionistischen Variante, die unter dem Namen „Cobra“ gerade im niederländischen Raum Verbreitung und Anhängerschaft fand. Dass bei den Pappeschichtungen die Akkumulations-Vorstellungen etwa eines Arman mit im Spiel sind, darf bei den Beziehungen Schoonhovens zur deutschen Zero-Gruppe und ihren engen Kontakten zu den Pariser Künstlern des Nouveau Réalisme unterstellt werden. Ebenso lässt sich das Monochrome der seriellen Reliefs nicht ohne Blick auf Yves Klein oder Manzoni sehen. Selbst das Serielle hat seine zeitgenössischen Parallelerscheinungen.
Wir sind auf Querverbindungen aus, auf Zusammenhänge. Sie helfen uns, ein Werk besser zu verstehen, seine Eingebundenheit wie auch seine Selbständigkeit, seine Anteile an Tradiertem und seinen Beitrag zur Entwicklung. Die Kenntnis von Manifesten und Theorien erweitert unser Verstehen. Museumsbesuche, Lektüre, Bildbetrachtungen bauen in uns zudem eine Welt von Bildern auf, die Teil des Apparats ist, ein Werk nachweislich einzuordnen. Aber diese Bildwelt scheint doch nicht völlig kartographierbar. Weniger, weil das Gelände noch nicht oder nur ungenügend erforscht wäre, vielmehr, weil es sich der Vermessung weitgehend entzieht. Um ein anderes Bild zu gebrauchen: Es gibt Verbindungen und Beziehungen des Charakters von Wahlverwandtschaften. Sie binden vielleicht umso enger, je weniger sie verbindlich sind.
Das Verhältnis des Werkes von Schoonhoven zu dem von Mondrian bewegt sich zum Beispiel durchaus im Bereich des Belegbaren, selbst dann noch, wenn dazu nicht mehr beizubringen wäre als die Tatsache, dass alle Kunstäußerungen von heute, die auf dem Boden des Konstruktiven und Konkreten stehen, unter anderen auch den Ahnherren des Stil gemeinsam haben. Aber da gibt es auch diese andere Beziehung, die sich nicht in das Schema der historischen Abläufe fügt: Mondrians frühe Baumstudien und Schoonhovens farbige Gouachen haben in ihren jeweils abgedeuteten, jedoch noch „malerisch“ verdeckten, Bildbau-Elementen mindestens soviel Gemeinsamkeiten wie die nachfolgenden Werke, die wir für jeden von ihnen als charakteristisch betrachten. Hier ist offensichtlich keine Chronologie am Werk. Denn Schoonhoven konnte sich den Weg über Cézanne ersparen, einen Weg, den Mondrian noch ein Stück mitgehen musste. Schoonhovens Wegstück dagegen hieß Begleitung des Informell. Dennoch lassen sich die Vergleichbarkeiten gerade dieser frühen Werke nicht ignorieren. Ist ihr Grund in der Verwandtschaft der Charaktere zu suchen, etwa in einer beiden Künstlern gemeinsamen Neigung, sozusagen einem Zwang zu „gebauter“ Komposition, zu strenger, kühler, auch rationaler Ordnung? Gesichtspunkte, die eher von der Graphologie als von der Kunsthistorie bemüht werden könnten. Oder steht dahinter eine niederländische Tradition schlechthin? Auch der Suprematismus eines Malewitsch bedient sich der geometrischen Bauelemente. Doch sie scheinen - selbst bei monochromer Verhaltenheit - glühender, in Rechtgläubigkeit befangener, sowie die Ikone der Spiegel der Orthodoxie ist. Allen Äußerungen der arte concreta mediterraner Provenienz - einschließlich der Vorläuferschaft des Futurismus - scheint dagegen eine unerbittliche Dogmatik eigen, die sich mit einer Rationalität paart, die neben ihrer Folgerichtigkeit auch nicht des blendenden Vortrags entbehrt.
Schoonhoven präsentiert sich anders. Bei ihm glüht nichts, bei ihm erstarrt auch nichts oder blendet gar etwas. Seine typischen Werke sind kühl, von strenger Ordnung, durchdacht. Aber sie sind auch familiär, menschlich, intim. Andere, weit zurückliegende Bildwelten tauchen auf: die lnterieurs eines Jan Vermeer van Delft, eines Pieter de Hooch, auch eines Gerard ter Borch, Jan Steen oder Hoogstraten, die Kühle mit Wärme verbinden. Selbst die Weichheit und Lieblichkeit eines Jan van Eyck in Verbindung mit seiner strengen Architektonik, seiner Liebe für Details und seiner Neigung zum Filigranen kommen mit ins Spiel. Letztlich also doch niederländische Tradition?
Sie ist weder ganz abzuweisen noch im Fall Schoonhoven zwingend. Darum ist es bei dieser Betrachtung auch nicht zu tun. Die angeführten Stichworte bemühen sich auch nicht, einen vollständigen Katalog dessen zu geben, was an Bildwelten beim Betrachten des Werkes von Schoonhoven aufsteigen kann. Sie verweisen lediglich auf das Mitschwingen, auf den Umstand, dass mit dem Bedenken einer Bildwelt andere zugleich mitgedacht werden. Meistens sehr subjektiv, zeit- wie personengebunden. Ein nicht streng absteckbares Territorium; ein mehr wahlverwandtschaftliches als legitimes Verhältnis. Aber es bezeichnet einen Erlebnisraum. Und aus diesem Raum bricht ein Werk ebenso wenig aus wie aus dem der exakten Wissenschaft. Schoonhovens Werk ist - wie jedes bedeutende Oeuvre - jenseits aller feststellbaren zeitlichen Abläufe und Eingebundenheiten auch ein Freiraum des Erlebens, jenseits notwendiger Theorie auch ein Angebot zu persönlicher Beziehung und letztlich ein Reizpunkt, die jedem zugekommene Bildwelt mit aufleuchten zu lassen. Gerade weil er auf „Null“ zurückgeht, wird die Bandbreite des Möglichen umso weiter.
KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
SCHOONHOVEN, 1.3.–9.4.1972
Schachtel aus weißem Karton, schwarzer Aufdruck auf Deckel und Seite, 20,5 × 16 × 3 cm
Inhalt: Prägedruck, 2 Einzelkarten, 4 Faltblätter, 2 Hefte, Leporello, 23 Bildtafeln auf Karton
Karte mit Titel, verso Impressum
Prägedruck (19 × 15,2 cm), eingelegt in einen gefalteten Bogen (Thünn Konerding, Essen)
Faltblatt (Frontispiz: Porträtfoto des Künstlers) mit Bio- und Bibliografie
3 Bildtafeln, verso Bildangaben [alle Bildtafeln in numerischer Reihenfolge]
Faltblatt mit Text von J. Cladders
2 Bildtafeln, verso Bildangaben
Faltblatt mit Text von Hans van der Grinten
5 Bildtafeln, verso Bildangaben
Leporello mit Text von Klaus Honnef, 6 S.
2 Bildtafeln, verso Bildangaben
Heft mit Text von Walter Kambartel, 10 S.
2 Bildtafeln, verso Bildangaben
Faltblatt mit Text von Jean Leering
9 Bildtafeln, verso Bildangaben
Faltblatt mit Text von Jan Schoonhoven
Heft mit Ausstellungsverzeichnis, 120 Katalognummern, 10 S.
Karte mit Dank, Leihgeberverzeichnis, verso Fotonachweis
Auflage: 660 Exemplare, davon die Exemplare 1 – 60 mit signiertem Prägedruck
Herstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach
Preis in der Ausstellung: 11 DM
sr