DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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RUTHENBECK

RUTHENBECK RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum IX: Reinhard u. Stefan Kaiser, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte RUTHENBECK (Vorderseite), 1972

RUTHENBECK 11.1. – 20.2.1972
Reiner Ruthenbeck (1937 Velbert – 2016 Ratingen)

EG/ Hochparterre: Eingang (I), Gartensaal (II), Raum III und IV,
Treppenhaus
1.OG: alle Räume (VI, VII [Zeichnungen], VIII und IX)

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

Kooperation mit dem Westfälischen Kunstverein Münster: Die von Klaus Honnef für Münster organisierte retrospektive Ausstellung wurde vom Museum Mönchengladbach zu großen Teilen übernommen.1 Als gemeinsamer Ausstellungskatalog fungierte die vom Westfälischen Kunstverein herausgegebene Publikation.2In Mönchengladbach erschien zusätzlich der – als ein eigenständiges Objekt – konzipierte Kassettenkatalog, den der Künstler später als Geräuschstück Nr. 1/ Dachskulpturen ins Werkverzeichnis aufnahm.3

Ruthenbeck bespielte in Mönchengladbach alle Ausstellungsräume inklusive des gesamten Treppenhauses. Die Werkliste der ausgesprochen dichten Präsentation verzeichnet über 40 plastische Werke aus den Jahren 1966 bis 1971. Hinzu kamen Zeichnungen, die separat in Raum VII gezeigt wurden.4

Mit dem Sound Piece Koffer (1968) und dem Objekt zum teilweisen Verdecken einer Filmszene (1971) wurden zudem neue Medien in die Konzeption integriert.

RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum III: Papierhaufen, 1970, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum III: Papierhaufen, 1970, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum III: Papierhaufen, 1970, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum IV: Filmgerät mit Monitor, auf dem die Aktion zum Gebrauch des Objekt zum teilweisen Verdecken einer Filmszene, 1971 zu sehen ist, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum IV: Filmgerät mit Monitor, auf dem die Aktion zum Gebrauch des Objekt zum teilweisen Verdecken einer Filmszene, 1971 zu sehen ist, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
RUTHENBECK, Museum Mönchengladbach 1972, Raum IV: Filmgerät mit Monitor, auf dem die Aktion zum Gebrauch des Objekt zum teilweisen Verdecken einer Filmszene, 1971 zu sehen ist, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Zu den Leihgeber: innen der Ausstellung zählten wichtige Sammler wie Karl Ströher (Darmstadt) oder Gustav Adolf und Stella Baum (Wuppertal) sowie die Galeristen René Block (Berlin), Heiner Friedrich (München) und Reinhard Onnasch (Köln).

Wer das Städtische Museum in Mönchengladbach betritt, um die Ausstellung Ruthenbeck zu sehen, wird gleich beim Eintritt überwältigt. Ein Möbelstück, ein Hocker, fast vier Meter hoch, steht über ihm. Ein Gebrauchsgegenstand, keineswegs als Objekt für Riesen gedacht, wird Selbstzweck.“ schreibt Richard E. Tristram in der Rheinischen Post über die Skulptur Möbel III (1968) und fährt fort: Man geht eine Etage höher, entdeckt überdimensionale Löffel, an die Wand gelehnt, mit einer Kelle, die mit Eisenbändern umwickelt ist.“Ebd.

Löffel (1967/68) zählte zu den frühen fetischhaften Objekten, die noch während des Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Joseph Beuys entstanden. Sie waren im Gartensaal ausgestellt, wo sie mit abstrakteren, aktuellen Arbeiten wie Bodenrahmen (1971) kombiniert wurden.

Ausstellungsfotos von Ruth Kaiser

Die rasanten Werkentwicklungen des Bildhauers, der 1969 an Harald Szeemanns konzept- und prozessorientierter Manifestation When Attitudes Become Form in der Kunsthalle Bern teilgenommen hatte und im selben Jahr von der radikalen Reduktion der amerikanischen Minimal Art in der Düsseldorfer Kunsthalle beeindruckt wurde, ließen sich in Mönchengladbach umfänglich nachvollziehen.

Frankfurter Rundschau, 5.2.1972
Frankfurter Rundschau, 5.2.1972
Frankfurter Rundschau, 5.2.1972

Eine ausführliche Beschreibung von Ruthenbecks Werkübersicht brachte Christiane Müller in ihrem Artikel Gefährliche Stille“ in der Süddeutschen Zeitung.5Müller stellt fest, dass hier einer souverän, sensibel wie nur wenige und mit sicherem Gespür für materiale Werte vorgeht und seinen Tuch‑, Draht- und Eisenskulpturen auch ein hohes Maß an Ästhetik zugesteht. Doch macht Reiner Ruthenbeck – Jahrgang 1937, Photograph, Beuys-Schüler und seit 1968 freischaffender Bildhauer in Düsseldorf – das Zuordnen schwer. Jetzt mehr denn je, wo erstmals Werkzusammenhänge aufzuspüren sind und das (in jeder seiner Viten beibehaltene) Wort vom Bildhauer’ Ruthenbeck wieder seinen Sinn hat. Schon der frühen, fast konventionellen Plastik wegen. Die war (um 1966) ganz kompakt aus Eisen oder Holz, und sie beschrieb ganz Alltägliches und Einfaches: eine kleine, mit Draht umwickelte Blechhand, eiserne Messer- oder Schwertscheiden, Rohrbündel, eine massive Linse, Riesenlöffel, Riesenschirme aus Eisen und Draht. Wenig später dann: Tropfen aus rotlackiertem Pappmaché, Keulen aus rotlackiertem Holz. […] Um 1968 verzichtet Ruthenbeck aufs Nachbilden. Er addiert Vorhandenes: Latten etwa zu Pyramiden. Oder er häufelt Asche und Zerknülltes zu spitzen Kegeln und nagelt ein paar Dutzend Gummiringe an die Wand zu Ovalen, zu Tropfen‘ wiederum. Wie nichts sonst in Ruthenbecks Werk signalisierte das arte povera, Veränderlichkeit und Prozeß. Nur verstellte es auch den Blick dafür, daß Pyramide, Kegel und Oval durchaus den frühen gebildhauerten‘ Formen entsprachen, daß da überhaupt […] die Form als Prinzip und Ergebnis wieder zählte. Mit den Möbeln‘ aus Eisenrohr – oft nur im Kontur des Gestänges als hochbeiniger Kasten, Ständer oder Schemel definiert – kommt 1968 der rote Stoff ins Spiel. In langen (sauber gesäumten) Bahnen verspannt Ruthenbeck ihn über Eisenkreuze oder Glasquadrate, legt ihn als Tischtuch auf Tische und näht ihn schalenförmig über Eisenringe. Räume werden damit unterteilt und versperrt, mit Hängematten quer, mit Säulen und Kreuzen längs durchmessen. Wieder ergibt das Dreiecke und Zylinder, Kuben und Rechtecke und – nicht nur als Folge ihrer teils beträchtlichen Dimensionen – auch eine gewisse Monumentalität, für die das Purpur- oder Kardinalsrot (eine andere Farbe gibt es bei Ruthenbeck nicht) eine nicht unwesentliche Steigerung ins fast sakrale Feierliche bedeutet.“6

Die subtile Wirkung der roten Farbe lässt sich über das Schwarz/​Weiß der Ausstellungsfotos freilich nicht vermitteln. Umso schärfer treten hier die Material- und Formkontraste in den Vordergrund. Polarität manifestierte sich als eines der Grundprinzipien von Ruthenbecks Arbeit immer wieder in der Ausstellung: hart/​weich, eckig/​rund, laut/​leise etc.

Die Ausstellung wurde von Johannes Cladders und einigen Rezensenten vor allem als eine Demonstration der Stille“7interpretiert. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur interessant, dass der Künstler in den Kassettenkatalog eine Schallplatte mit durchdringendem Sirenengeheul integrierte, sondern auch, dass er mit Koffer (1968) in der Ausstellung sein frühestes Sound-Piece präsentierte. Der Koffer enthält ein Tonband mit einer Komposition des dänischen Komponisten und Fluxus-Künstlers Henning Christiansen, dem kongenialen Mitakteur von Joseph Beuys.

Als die unheimlichen Klänge von Horrorfilm-Musik“8 beschreibt polemisierend eine Journalist der Westdeutschen Zeitung Christiansens avantgardistischen Sound, der aus dem Koffer nach außen drang. Tatsächlich handelte es sich dabei, so Magdalena Holzhey, um eine Komposition, bei der Christiansen im ersten Teil die dänischen Worte für Autos, Fußgänger, Straße sowie den Satz: Sie sind diesen Weg gegangen‘“ spricht. Danach folgt das Spiel einer Straßenmusikantin auf einer singenden Säge.“9

Die Rezeption reagierte teils irritiert auf Ruthenbecks Ausstellung. So führte eine wohlmeinende Ausstellungsvorschau in der Rheinischen Post, die im Monat vor der Eröffnung erschien, zu ausgesprochen aggressiven Reaktionen. (Fritz Finke, Kunst oder Unsinn?“ in Rheinische Post, 14.12.1971 und Wilhelm Thönissen Moderne Kunst“, in Rheinische Post, 15.12.1971.10)

Rheinische Post, 14.12.1971
Rheinische Post, 14.12.1971
Rheinische Post, 14.12.1971

In einem Gespräch, das ich im November 2016 kurz vor seinem Tod mit dem Künstler führte, äußerte er sich rückblickend verhalten kritisch zu der Mönchengladbacher Präsentation. Viele der seinerzeit ausgestellten Werke seien bereits 1970 in Klaus Honnefs Ausstellung im Aachener Gegenverkehr11 zu sehen gewesen. Reiner Ruthenbeck 2016: Ich wollte weiter.“12

Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972
Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972
Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972

Kassettenkatalog

Der Kassettenkatalog mit dem seitlich aufgeschlitzten Schachtelboden enthält eine Vinyl-Single mit dem schrillen Sound von Sirenen sowie ein 1,20 m langes Leporello mit einer konzeptuellen Fotoserie. Ruhenbeck, der hier als ausgebildeter Fotograf auf sein ursprüngliches Medium zurückgriff, dokumentierte Gebäude, auf deren Dächern jeweils nahezu identische Modelle von Luftschutz-Warnsirenen aus dem Zweiten Weltkrieg stehen. In unserem Gespräch erinnerte der Künstler an die Objekthaftigkeit dieser Pilze“, deren serielle Abfolge ihm auf den regelmäßigen Autofahrten von seinem Wohnort Meerbusch in das benachbarte Krefeld-Fischeln aufgefallen waren, wo Erika Ruthenbeck, seine Ehefrau, damals als Lehrerin an einem Gymnasium arbeitete.13

Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972
Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972
Kassettenkatalog RUTHENBECK, 1972

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Ruthenbeck hat etwas gefunden – eine WeIt der Schweigsamkeit, und er lässt sie uns wiederfinden in seinen Arbeiten, in dieser Ausstellung. Das Wort „Stille“ ist das Schlüsselwort zu seinem Oeuvre.

Ich weiß nicht, was Ruthenbeck – nachdem er nach Fotografenlehre und Tätigkeit als Fotograf 1962 an die Düsseldorfer Akademie ging und sein Studium bei Joseph Beuys begann – ich weiß nicht, was Ruthenbeck während dieses Studiums an künstlerischen Versuchen unternahm. Sicherlich wird er nicht gleich mit dem „Finden“ begonnen haben. Aber nach den Abbildungen im Katalog des Westfälischen Kunstvereins Münster zu urteilen – hatte er seinen „Fund“ spätestens 1960 gemacht. Die Arbeiten aus diesem Jahr sind bereits eindeutig festgelegt; in ihnen ist alles schon angelegt, was sich dann im weiteren Oeuvre entfaltet. Es sind dies die wegen ihrer Zwangsläufigkeit und Einfachheit geradezu klassisch zu nennenden Formkonzepte, die Benutzung „unklassischer“ Materialien für eine solche Formenwelt, und schließlich die für ihn so bezeichnende Stille, die Schweigsamkeit, die Lautlosigkeit, in deren Begleitung sich auch nicht selten das Unheimliche, das Bedrückende, das Abkapselnde und Versperrende befinden.

Aus dem frühen Werk – noch aus der Akademiezeit – lassen sich diese Aspekte an zwei Arbeiten – in unserer Ausstellung nicht vertreten – gut ablesen. Die eine ist eine aus Blech gehämmerte Hand, deren gespreizte Finger mit Draht verspannt sind; die andere ist eine Büste, die dicht mit Draht umwunden ist. Beide Arbeiten gehören ganz sicherlich schon zum Bereich dessen, was Ruthenbeck „gefunden“ hat, zu jener Grundeinstellung, die das Werk bis heute durchzieht, Und sicherlich gehören dazu auch die in dieser Ausstellung zu sehenden, aus Eisen gearbeiteten „Scheiden“ und das „Rohrbündel unter Eisenkasten“. Beide ebenfalls schon aus 1966; beide schon von kaum noch zu steigender Einfachheit und Selbstverständlichkeit der Form, beide auch dem Thema der Abkapselung, des Verbergens verschrieben. Aus den eisernen „Scheiden“ schauen Eisenstäbe heraus, ähnlich den Handgriffen von Messern. Auch das Gefährliche, das die Einfachheit und Lautlosigkeit bei Ruthenbeck begleitet, ist bereits angesprochen.

Die jüngste Arbeit Ruthenbecks ist der Entwurf unseres Kassettenkatalogs. Er greift unter dem Titel „Dachskulpturen“ das Thema der Luftschutz-Warnsirenen auf. Diese Geräte, die man überall auf den Dächern sieht, sind so unscheinbar, dass man sie fast übersieht, sind mit ihrem Pilzhut auf dünner Stange oder gespreiztem Dreibein von größter Einfachheit der Form, einer Form, die eigentlich nur so und nicht anders sein kann, und sie sind still, lautlos. Allerdings von einer Lautlosigkeit, die Beklemmung erzeugt. Denn wenn sie ihr Schweigen ernsthaft aufgeben, künden sie höchste Gefahr. Gefährliches – auf dem Sprung stehend – lassen sie selbst schon bei der an und für sich harmlosen Probe mitklingen. Diese jüngste Arbeit – aus Fotos von Sirenen und einer Schallplatte mit dem Warnton, den sie von sich geben, bestehend und im Katalog enthalten – diese jüngste Arbeit zeigt überdeutlich, was in den eisernen Scheiden aus 1966 schon angelegt ist. Die Bedrohung, das Gefährliche in Begleitung des Stillen, Lautlosen, Unscheinbaren und Einfachen.

Man kann das Werk und diese Ausstellung daraufhin durchgehen. Die an dünnem Drahtseil hängende „Eisenplatte“ senkt sich so tief auf den Boden, dass das Gefühl entsteht, sie müsse jeden Augenblick mit ihrer spitzen Kante aufschlagen. Die in Stoffbahnen eingehängten Glasplatten drohen – allerdings nur optisch – herauszufallen und am Boden zu zerschellen, Die an die Wand geleimte Glasplatte des Objekts „Stoffbahn mit Glasplatte“ scheint immer in Gefahr, auszurutschen und zu zerbrechen.

Den Objekten wohnt eine gewisse Verletzlichkeit inne, gepaart mit dem Bedürfnis nach Schutz. Als Gesten, Zeichen des Schutzes lassen sich die Schirme interpretieren, der Tisch mit dem abdeckenden Tuch, die Hängematte oder der hängende Stoffkorb. Hier ist Schutz mehr in seiner bergenden Funktion gesehen. Schützende Geste ist aber auch das Abweisen, das bei Ruthenbeck bis zur Sperrigkeit reicht. Stille visualisiert er durch Zeichen der Verweigerung. Der bandagierte Löffel gibt sich noch in der Geste des sowohl bergenden wie auch abweisenden Schutzes. Der nur mit einer Metallplatte abgeschlossene Löffel erscheint als stille Verweigerung, als Entzug. Solche Entzüge sind auch wesentlicher Bestandteil des Films, eines Films, der das Geschehen auf der Straße aufnimmt und darstellt, es zugleich aber durch eine schwarze Platte abdeckt, Die „Durchkreuzungen“ liegen auf der gleichen Ebene. Ein Teil einer Wohnung, eines Hauses usw. wird durch in Form eines Andreas-kreuzes gespannte Bänder separiert und – in einsame Stille geschickt – auf sich zurückgeworfen.

Schützenden Charakter tragen die mit Stoff umwickelten, sogenannten Möbel; Sperrigkeit zeichnet das große Holzmöbel im Flur aus, das mit der Sperrigkeit auch Bedrohliches liefert. Sperrigkeit im Sinne von Unausweichlichkeit lässt sich aus den unlösbar ineinander verschachtelten Leitern herauslesen und auch die Leiter mit der zu engen Sprossenfolge ist ein Zeichen des Sichwidersetzens.

Die Objekte von Ruthenbeck sind praktisch ohne Farbe, jedenfalls nicht von leuchtenden Effekten, sondern trist. Trist ist das Braun-Rot der Stoffe, trist das Schwarz der Hölzer und Eisen. Auch diese Farbgebung erweist sich als lautlos, als „still“ in seiner zweifachen Bedeutung von Bescheidenheit und Einfachheit und Unauffälligkeit auf der einen, von einer gewissen Unheimlichkeit auf der anderen Seite.

Stille strahlt nicht zuletzt auch die Formenwelt selbst aus. Stille als Selbstverständlichkeit begriffen. Fast alle seine Formen scheinen sich wie von selbst, fast zwangsläufig zu bilden. Im früheren Werk greift Ruthenbeck auf Gerätschaften zurück – auf den Schirm, auf den Löffel, auf die Messer in der Scheide, auf Keulen, auf kastenförmige Möbel. Oder er nimmt andere, bereits vorgebildete Formen. So etwa den Tropfen. Alle diese Dinge sind formal bereits so durchgebildet, haben einen auf Vereinfachung und Typisierung hin so abschleifenden Prozess hinter sich, dass sie nur so und gar nicht anders sein können.

In den jüngeren Werken liefert er meist den Prozess der Formwerdung mit. Hier wird nicht auf bereits Vorhandenes, Fertiges zurückgegriffen, sondern hier wird Form als das Ergebnis eines zwangsläufigen Geschehens vorgeführt. Ein Tuch, locker um einen Eisenring gezogen und das Ganze an die Wand gelehnt, lässt den Stoff automatisch zur Kreismitte hin absinken und die Form einer Delle oder Schüssel entstehen. Ein kürzerer Stoffring um eine flexible, größere Blechplatte gezogen, ergibt von selbst die Form eines Körpers, der auf der einen Seite gebogen, auf der anderen Seite plan ist. Wirft man einen Stoffring über drei im Winkel zueinanderstehende, fest fixierte Stäbe, zeichnet man die Form eines Dreieckes nach. Hängt man Gummiringe über einen Nagel, erhält man ein ovales Gebilde. Dass ein Tuch, über einen Tisch gelegt, oder eine Stoffbahn, zur Hängematte geknüpft, nur die Form annehmen können, die wir mit Tischtuch oder Hängematte bezeichnen und verbinden, ist eine Selbstverständlichkeit.

Ruthenbecks Arbeiten nutzen solche Selbstverständlichkeiten, die ja gerade durch ihre Selbstverständlichkeit immer auch das Unauffällige und damit Bescheidene und Zurückhaltende beinhalten. Zurückhaltung aber ist eine Art und Weise der Stille, die sich über das Auge erfahren lässt.

Allerdings erfordert das ein Auge, das noch nicht vom lauten Licht ge- und verblendet ist, sondern das noch die Schärfe besitzt, das Dämmern der Stille wahrzunehmen. Dazu bedarf es der Geduld und Konzentration. Eigentlich der Muße, der Eigenschaft, die vielleicht nicht mehr ganz modern ist. Aber sind die Arbeiten von Ruthenbeck eigentlich „modern“? Sie sind sicherlich ungewöhnlich – und welche künstlerische Arbeit, die originär und nicht Plagiat ist, wäre das letztlich nicht – sie sind sicherlich ungewöhnlich, in ihrer Selbstverständlichkeit überraschend für den einen, für den anderen auch vielleicht etwas schockierend. Aber sie stehen in einer künstlerischen Tradition, mehr als der flüchtige Augenschein es wahrnimmt. In ihnen bricht auch keine neue Welt auf, gekennzeichnet durch Überschall und Computer. Sie stellen eher eine bewahrende Welt dar – und eine gefährdete. Eine verletzliche Welt, die sich dem Lauten, Rasanten, fetischistisch Fortschrittsgläubigen verweigert.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

Schachtel aus weiß kaschiertem Karton, schwarzer Aufdruck auf Deckel und Seite, 20,6 × 18,5 × 1,5 cm

Der Schachtelboden ist an den Längsseiten unten geschlitzt zur Aufnahme der Schallplatte.

Inhalt: 3 Einzelkarten, Leporello, Schallplatte

Karte mit Titel, versorgen Impressum

Karte mit Text Dachskulpturen” von Hans van der Grinten, 2 S. 

Karte mit Text „(Fotsetzung)” von J. Cladders, 2 S. 

Leporello Reiner Ruthenbeck Dachskulpturen” mit 32 reproduzierten S/​W‑Fotos des Künstlers, 12017,3 cm (auseinandergefaltet)

Schallplatte (Single, Mono) mit Label, in Schallplattenhülle mit runder Aussparung, Label mit A‑Seite bedruckt Städtisches Museum Mönchengladbach Reiner Ruthenbeck Dachskulptur 1972”, Rückseite blanco
Hersteller: Ton-Atelier Wolfgang Schmitz, Düsseldorf

Auflage: 440 nummerierte Exemplare 

Druck: H. Schlechtriem, Mönchengladbach

Preis in der Ausstellung: 8 DM

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Das Verzeichnis folgt – hier in korrigierter chronologischer Reihenfolge – der Versicherungsliste, Archiv MAM. Die WVZ-Nummern sind zit. nach: Reiner Ruthenbeck. Werkverzeichnis der Installationen, Objekte und Konzeptarbeiten, Ausst.-Kat. Kunsthalle Düsseldorf/ Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg, Köln 2008.

1 Rohrbündel unter Eisenkasten, 1966, Eisen (WVZ 43)
2 Löffel I, 1966/67, Eisen, geschmiedet (WVZ 45)
3 Scheiden, 1966/67, Eisen (WVZ 46)
4 Schirm I, 1966/67, Eisen (WVZ 47)
5 Doppelleiter, 1967, Holz (WVZ 48)
6 Keulen, 1967/68, Holz, gedrechselt (WVZ 49)
7 Löffel II, 1967, Eisen, geschmiedet (WVZ 52)
8 Ohne Titel, 1967, Pappmaché (WVZ 53)
9 Leiter III, 1967, Holz (WVZ 51)
10 Koffer, 1968, Mit einem Tonband von Henning Christiansen (WVZ 62)
11 Membrane I, 1968, Eisenring mit lockerer Stoffhülle (WVZ 65)
12 Möbel I, 1968, Stahldrahtgeflecht mit rotem Stoff (WVZ 66)
13 Möbel III, 1968, Holz (WVZ 67)
14 Möbel V, 1968, Eisenrohr mit rotem Stoff umwickelt (WVZ 69)
15 Lochwürfel, 1968 (WVZ 37, dort auf 1966 datiert)
16 Eisenziegel, 1968 (WVZ 38, dort auf 1966 datiert)
17 Eisenbogen mit Stoff, 1969 (nicht im WVZ enthalten)
18 Aufhängung I, 1969, Stoff (WVZ 72)
19 Aufhängung III, 1969, Stoffring mit Eisenplatte (WVZ 73)
20 15 Doppelelemente, 1969, Holz (WVZ 76)
21 Hängematte, 1969, Stoff (WVZ 77)
22 Ringe, 1969, Vollgummi (WVZ 78)
23 Schirm II, 1969, Eisenrohr, Stoff (WVZ 81)
24 Spreizobjekt I, 1969, Holz (WVZ 82)
25 Tisch mit Tuch, 1969, Holz, Stoff (WVZ 83)
26 Verspannung II, 1969, 2 Eisenplatten, Stoffring (WVZ 86)
27 Verspannung V, 1970, 2 Latten, Stoffring (WVZ 88)
28 Aufhängung IV, 1969/70, Eisenrohr und Stoff (WVZ 91)
29 Aufhängung V, 1969/70, Stoff (WVZ 92)
30 Verspannung VI, 1969/70, Eisenblech, Stoffring (WVZ 93)
31 Papierhaufen, 1970 (WVZ 101)
32 Stoffbahn mit Glasplatte, 1970 (WVZ 102)
33 Taschenspiegel, 1970, Kachel (WVZ 106)
34 Glasplatte in Stofftasche II, 1971(WVZ 111)
35 Hängende Glasplatte I, 1971, Glas, Stoff (WVZ 112)
36 Hängende Glasplatte II, 1971, Runde Scheibe in Stoffschlauch (WVZ 113)
37 Hängende Eisenplatte, 1971, Eisenblech am Drahtseil (nicht im WVZ)
38 Eisenplatte mit Sehschlitz, 1971 (nicht im WVZ enthalten)
39 Bodenrahmen, 1971, Eisenrohr, Stoff (WVZ 121)
40 Verspannung VII, 1971, zwei Eisenrohre, roter Stoff (WVZ 123; Besitz Museum Abteiberg)
41 Verspannung VIII, 1971, Stoffring, Eisenstäbe (WVZ 124)
42 Tuscheobjekt, 1971 (WVZ 125b)
43 Wohnungsobjekt III, 1971, Stoff (WVZ 125c)
44 Objekt zum teilweisen Verdecken einer Filmszene, 1971, Pappe, Lampenstativ (WVZ 126)
45 Filmgerät (zu Nr. 44 gehörend)
46 Film (zu Nr. 44 gehörend)
47 Material für Aschehaufen (der Aschehaufen, wurde laut Reiner Ruthenbeck nicht in Mönchengladbach gezeigt)
48 51 Zeichnungen

sowie einige weitere Materialien wie z.B. Stoffe zum Aufbau vor Ort

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Audio

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., o. T., in: Rheinische Post, 7.12.1971
o. V., Ausstellung Reiner Ruthenbeck, in: Rheinische Post, 6.1.1972
o. V., o. .T., in: Westdeutsche Zeitung, 8.1.1972
o. V., Sendung über Gladbach, in: Rheinische Post, 13.1.1972
o. V., Gladbach-Bericht im holländischen Funk, in: Westdeutsche Zeitung, 13.1.1972
o. V., o. T., in: Rheinische Post, 13.1.1972
o. V., Ruthenbeck, in: Flash Art 28/29, Res. H-Jan. 1972
o. V., Nach Ruthenbeck kommt Schoonhoven, in: Rheinische Post, 19.2.1972

Berichte / Rezensionen / Kommentare

Fritz Finke, Kunst oder Unsinn?, Leserbrief in: Rheinische Post, 14.12.1971
Wilhelm Thönissen, Moderne Kunst, Leserbrief in: Rheinische Post, 14.12.1971
CJ, Unter Dachskulpturen. Ruthenbecks gefährdete Welt im Museum, in: Westdeutsche Zeitung, 12.1.1972
Richard E. Tristram, Stille und Formenstrenge. Die Ausstellung Reiner Ruthenbeck im Gladbacher Museum, in: Rheinische Post, 13.1.1972
Helga Meister, Ruthenbeck ohne Aschenhaufen. Der Düsseldorfer stellt in Mönchengladbach aus, in: Düsseldorfer Nachrichten, Nr. 12, 15.1.1972
Werner Krüger, Wewerka und Ruthenbeck in Essen, in: Neues Rheinland, Jg. 15, Nr. 2, 1. - 15.1.1972?,S. 38
H. M. [Helga Meister], Der Künstler der Aschen. Ruthenbeck in Mönchengladbach, in: Düsseldorfer Hefte, 1. – 15.2.1972, S. 12 f.
Christiane Müller, Gefährliche Stille. Reiner Ruthenbeck im Städtischen Museum Mönchengladbach, in: Süddeutsche Zeitung, 1.2.1972
Georg F. Schwarzbauer, Die Sprache der Materialien. Reiner Ruthenbeck stellt in Mönchengladbach aus, in: Frankfurter Rundschau, 5.2.1972