DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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Namenloses Fest im Museum

Namenloses Fest im Museum Namenloses Fest im Museum, Museum Mönchengladbach, 4.12.1970, Karl Heinemann, der Vorsitzende des Museumsvereins, im Gespräch mit Gerry Schum (r.), Foto: Albert Weber, Archiv Museum Abteiberg
Einladungskarte Namenloses Fest im Museum, 1970

Namenloses Fest im Museum, 4.12.1970

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert

Johannes Cladders initiierte insgesamt drei Museumsfeste im alten Städtischen Museum an der Bismarckstraße – 1970, 1971 und 1978. Jedes Mal traten der aktive und einflussreiche Museumsverein Mönchengladbach sowie der Presseclub als Veranstalter auf. 

Jedes Fest war ein Ereignis, das durch die Verbindung von Glamour und Bodenständigkeit geprägt war. Stadtgesellschaft, lokale Politik und die – teils regionale, teils internationale – Künstlerschaft und Kunstprominenz kamen bei Bier und Schnittchen“ zusammen. Beim ersten Museumsfest war auch der Sport dabei. Einer der Höhepunkte des Namenlosen Fests im Museum“ im Dezember 1970 war die Anwesenheit von Hennes Weisweiler, der als Trainer von Borussia Mönchengladbach in diesem Jahr die (später legendäre) Fohlen-Elf“ mit Günter Netzer, Berti Vogts et al. zum ersten Mal zur Deutschen Meisterschaft geführt hatte. 

Jedes Museumsfest hatte sein eigenes Programm, das im Vorfeld sorgfältig wie eine Ausstellung geplant wurde. Ein Programmpunkt blieb dabei immer identisch: Die Aktivierung des Publikums, das auf fluxushafte Weise zum eigenständigen schöpferischen Tun – zum Malen – aufgefordert wurde, zog sich wie ein fortlaufendes Motiv durch alle drei Veranstaltungen. Auf der Einladungskarte des Namenlosen Fests im Museum“ warb man dafür beispielsweise wie folgt: Jeder sein eigener Picasso! Geboten werden (wenn alles klappt): Musik, Lichtbilder und Filme (Fernsehempfang) über Kunst (Land-Art, Conceptual Art usw.) Bereitgestellt durch die Fernsehgalerie Schum. Malwerkzeug steht zur Verfügung, damit möglichst viele es benutzen. Mal malen!“

Die Ära Cladders war von viel Toleranz und gegenseitigem Respekt geprägt, Johannes Cladders war ein außergewöhnlich geschickter Stratege, dem die Vermittlung von Kunst ein besonderes Anliegen war. Das spiegelt sich nicht zuletzt in seinem souveränen Umgang mit der Presse. Als Museumsleiter agierte Cladders – der viele Jahre als Journalist gearbeitet hatte, bevor er in den 1950er Jahren in den Museumsdienst eintrat – immer auch als aufmerksam vorausschauender Presse-Experte. 

Allein zum Namenlosen Fest im Museum“ erhielten sechzehn Vertreter:innen der Presse Einladungen des Museumsdirektors, in denen es heißt: 

An diesem Abend treffen sich die Interessenten des Mönchengladbacher Museums. Da Sie bei Ihrer journalistischen Tätigkeit dem Mönchengladbacher Museum schon mehrfach besondere Aufmerksamkeit widmeten, würden wir uns außerordentlich freuen, auch Sie an diesem Abend und gerade in diesem Kreis begrüßen zu können. Wir hoffen, Ihnen nicht nur einige unterhaltsame‘ Stunden zu bieten, sondern auch die Gelegenheit für Gespräche und neue Kontakte zu schaffen.“1

Selbst der Korrespondent der überregionalen Süddeutschen Zeitung, Klaus U. Reinke, folgte der Einladung. In seinem Bericht Museum mit Schwoof. Unfestliches Fest in Mönchengladbach“ vergegenwärtigt er das Namenlose Fest im Museum“ sehr anschaulich und lebendig. 

Marcel Broodthaers war auch da. Marcel Broodthaers aus Pépinière bei Brüssel. Broodthaers, der ununterbrochen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf der Welt gegen den überlieferten Status des Museums als Kulturinstitution energisch Sturm läuft – ironisch, treffsicher, auch nicht ganz ohne Hohn. Seine Anwesenheit beim Fest ohne Namen“ im Städtischen Museum von Mönchengladbach mußte man einfach leitmotivisch sehen. Denn Johannes Cladders, der gemeinsam mit dem Presseclub für diese Festivität in seinem altmodischen Haus verantwortlich zeichnete, wollte das Museum an sich umfunktionieren. Obwohl an der Peripherie des rheinischen Kunstzentrums gelegen, ist Mönchengladbach doch einer seiner Kulminationspunkte. Immer wieder und kontinuierlich werden hier Namen und Vorgänge ins Bewußtsein gerückt, an denen man anderorts vorübergegangen ist oder geht. Und aus dem ganz konkreten Wissen um eine unbedingt nötige und längst fällige neue Ordnung der Einrichtung Museum hatte Direktor Cladders dieses Fest, das auch keines sein sollte, arrangiert. In allen Räumen gab es vom frühen Abend bis in die späte Nacht Musik. Mal zum Tanz, mal in Konfrontation mit Bildern, mal in Konfrontation mit Texten. Bier und Alkoholfreies den ganzen Abend überall. Ab 21 Uhr dazu Schnittchen. Und immer zwischendurch über Lautsprecher den Spielstand des Fußballspiels des heimatlichen Vereins vom eigenen Platz zur selben Zeit. Anschließend kam sogar Trainer Hennes Weisweiler zum Rapport – ins Museum. Vielleicht auch deshalb war das Haus schon eine Stunde nach Beginn voll. Mehr als 250 Personen. 

In sämtlichen Räumen konnten sie auf den installierten Monitoren einen Fernsehfilm über Joseph Beuys verfolgen. Oder – mit Unterbrechungen – die zweite Sendung von Gerry Schums TV-Galerie. Schum war ebenfalls gekommen und verriet, daß er im kommenden Frühjahr in Düsseldorf eine feste Galerie zu eröffnen gedenke. In der sollen nur Fernsehgeräte stehen und seine Dokumentationen aktueller Kunst-Prozesse abspielen. Im Moment noch wohnt Schum in einem eigenes für ihn angefertigten Auto. Ohne festen Wohnsitz: Nur einer ständigen Adresse in Hannover. 

Es konnte getanzt werden. Es gab Lichtbilder zu sehen von Höhlenmalereien aus Altmira bis zu Duchamps Flaschentrockner oder Flavins farbigen Neonröhren-Arrangements. Die Stimmung war gelöst bis unters Dach. Bei allen Anwesenden, die sämtlichen Altersgruppen und wohl auch sozialen Schichten entstammten. Von einem exklusiven Kreis – wie es bisher stets im Museum seinen Stammplatz hatte – konnte keine Rede sein. Man konnte merken, daß hier das Museum empfunden wurde, wie es heute empfunden werden muß: als eine unkomplizierte Alltagseinrichtung wie vielleicht ein Schallplattengeschäft oder eine Snack bar. Noch zu keiner Zeit war die Kunst so sehr für die Demokratisierung der Gesellschaft engagiert. Und mit diesem Fest ohne Namen hat Johannes Cladders durchschlagend beweisen können, daß für die Kunstartikulation heute ein anderes Bewußtsein vonnöten ist als das bisher gültige. Kunst ist für alle. Man muß nur sich endlich aufmachen und nach den entsprechenden Wegen suchen, sie auch an alle heranzutragen. Dieses Fest im Mönchengladbacher Museum war ein Versuch in dieser Richtung.“2

Quellenangaben / Anmerkungen

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien