DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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JOEL FISHER.
Ein unwiderruflicher Schritt

JOEL FISHER. Ein unwiderruflicher Schritt JOEL FISHER. Ein unwiderruflicher Schritt, Ausstellungsansicht, Museum Mönchengladbach 1975, Foto: M. Schmitz, Archiv Museum Abteiberg
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte JOEL FISHER. Ein unwiederruflicher Schritt, 1975

JOEL FISHER. Ein unwiderruflicher Schritt, 23.9. – 26.10.1975

Joel Fisher (1947 Salem, Ohio/​USA – lebt in England und Vermont/​USA)

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

I. Vorlauf

In den Jahren bevor Joel Fisher seine – prozesshaft angelegte – Einzelausstellung im Museum Mönchengladbach präsentierte, hatte sein Werk viel institutionelle Aufmerksamkeit erfahren, speziell in der BRD. Sein bundesrepublikanisches Debüt gab der US-amerikanische Künstler 1972 bei Harald Szeemanns legendärer documenta 5 in Kassel. (Dort lernte er vermutlich auch Johannes Cladders kennen, der hier als einer der von Szeemann eingeladenen Gastkuratoren die Sektion Individuelle Mythologien“ mitgestaltete.) Im Jahr darauf ging Fisher als Stipendiat des renommierten Berliner Künstlerprogramm des DAAD für ein Jahr nach Westberlin (4/19733/1974), wo er sich zeitgleich mit bedeutenden internationalen Künstler:innen wie Mario Merz, Ed Kienholz und Robert Filliou, Literat:innen wie Friederike Mayröcker oder Musiker:innen wie Cornelius Cardew aufhielt. Abschluss und Höhepunkt seines Aufenthalts in der geteilten Stadt – Schaufenster des Westens“ und Hauptstadt der DDR – stellte im Sommer 1974 die Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie dar (16.7. – 26.8.1974).1Unmittelbar auf die Ausstellung in dem ikonischen Mies-van der Rohe-Bau folgte eine Präsentation in der Neuen Galerie, Sammlung Ludwig in Aachen (21.9. –20.10. 1974). Sie wurde von Wolfgang Becker organisiert, der wie Johannes Cladders zu den progressivsten Museumsleitern in NRW zählte. 

Für das Projekt JOEL FISHER. Ein unwiderruflicher Schritt ist diese Vorgeschichte deshalb von großer Bedeutung, weil auf die Akkumulation von Werken, die Fishers vorangegangene Präsentationen charakterisiert hatte, in Mönchengladbach nun deren – so der Künstler selbst – große Auflösung“2 folgte. Es war eine radikale konzeptuelle Geste, die hier demonstriert wurde: 1. Sammeln aller im Handel noch verfügbarer Papierarbeiten – 2. Zerstören bzw. Auflösen – 3. Neuschöpfen. Fisher beschreibt sein Konzept in einem poetischen Resümee-Text im Kassettenkatalog, der offenbar kurz vor Projektbeginn fertiggestellt wurde und gewissermaßen da endet, wo die physische Umsetzung des Vorhabens beginnt. 

Seit ich diese Arbeit vor sieben Jahren begann, stand die Idee des Papiermachens im Zentrum meiner künstlerischen Tätigkeit. 

Während der vergangenen drei Monate habe ich die Galerien besucht, in denen meine Arbeiten bis jetzt zu sehen waren, um die unverkauften Stücke zusammenzutragen. Die Arbeiten, über die ich noch verfüge, werden zum ersten Mal alle in der kleinen Stadt Mönchengladbach zusammengetragen. 

Innerhalb der nächsten Tage werde ich diese Arbeiten in der Reihenfolge ihrer Entstehung ordnen und sie dann eine nach der anderen in Wasser auflösen. Aus dem sich ergebenden Brei wird ein einziger Stoß Papier in einer einheitlichen Größe gemacht. In dieser Konsolidierung werden die individuellen Werke de-artikuliert. Ein großer Teil der historischen und formalen Information, die sie transportieren, wird verloren sein. Die Verschiedenheit der Vergangenheit wird zur Übereinstimmung gekommen sein. 

In einigen Fällen evozieren diese Arbeiten sehr starke emotionale Reaktionen: sie stellen primär eine künstlerische Ordnung dar, aber da meine Kunst und mein Leben so eng verknüpft sind, auch und ebenso gut eine persönliche. Sie sind in verschiedenen Größen und verschiedenen Zeiten gemacht, kommen aus verschiedenen Orten und sie bezeugen verschiedene sich überlagernde konzeptuelle Anliegen. Sie stellen eine Art Protokoll meiner Denkprozesse und meiner Tätigkeit dar. 

In meinem Leben spielt zur Zeit die Antizipation dieses Ereignisses eine zentrale Rolle. Ich schwanke zwischen Erregung und Bedauern, zwischen Zuversicht und Angst. Ich habe nie erwartet, daß es einfach wäre, die Sache zu tun. 

Ich glaube, daß ich unechte Zuversicht vorgab, um in diese Situation zu kommen. 

Ich finde die Papierarbeiten immer noch schön und bedeutungsvoll. Es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Akt der Verwerfung. Es sind nicht meine Fehler, die sich auflösen, sondern meine Erfolge. Ich verleugne sie nicht. Ich widersetze mich einer Erwartung. Ich löse meine Aktivposten auf. 

Ich warte auf einen speziellen Augenblick. Ich versuche klar und aufmerksam zu sein. 

I will pay attention.

Ich werde das meiste davon vermissen.“3

II: Realisation des Konzepts in Mönchengladbach 

Joel Fisher war bereits einige Wochen vor Ausstellungsbeginn nach Mönchengladbach gekommen. Im geräumigen Atelier des Bildhauers Ulrich Rückriem im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken begann er mit der buchstäblichen Neuschöpfung“ seines Werks. Johannes Cladders gibt in seiner Eröffnungsrede interessante Einblicke in die Produktions- und Transformationsprozesse, die mit Hilfe des Museumstechnikers Peter Terkatz realisiert wurden: Fast alle seine bisherigen Arbeiten aus Papier steckte Joel Fisher für diese Ausstellung in den Reißwolf und verarbeitete sie zu neuen Papieren. Es waren rund 214 Arbeiten aus den Jahren 1969 bis 1975: Einzelblätter, Serien, Reihungen oder Schichtungen oft jeweils aus zahlreichen einzelnen Blättern bestehend ‚ kleine, nicht einmal handgroße Stücke und auch wandbedeckende, große Arrangements. Soweit sich seine Papierarbeiten nicht im für ihn unzugänglichen Privatbesitz befinden, sammelte er sie in Mönchengladbach. Sie kamen aus London, New York, Washington, Berlin, Aachen, Hannover, Basel, Bari, Genua und Mailand, wo das, was ihm noch gehörte, in Galerien und bei Freunden gelagert war. Mehr als drei Wochen hat Joel Fisher hier bei uns gearbeitet: Im Museum, wo er die Texte für den Katalog fertig schrieb und das Layout erstellte; in seinem Gastquartier bei Ulrich Rückriem, wo er nach den mitgebrachten Negativen die Abbildungsunterlagen abzog; in dessen Atelier an der Martinstraße, wo er die alten Arbeiten zerstückelte, in Wasser auflöste und zu neuen Papieren verarbeitete, das heißt Stück für Stück mit dem Sieb schöpfte. Das Resultat zeigt diese Ausstellung: Die Papiere sind alle auf das Maß 7070 cm hin angelegt. Die Farben wechseln entsprechend den Konvoluten alter Arbeiten, die jeweils als Material für die Erstellung des Papierbreies dienten. Auch in der Stärke der Papiere gibt es leichte Unterschiede, bedingt durch Schwankungen in der Festigkeit der Breimasse und durch die Handarbeit des Schöpfens. Aber alle diese Unterschiede haben nicht die Individualität der einzelnen Blätter zum Ziel. […] Es hängen im Augenblick 97 Arbeiten in der Ausstellung. In den drei Wochen sind 240 entstanden, die aber zum Teil noch nicht trocken sind. Und nach den Schätzungen, die jetzt erst möglich geworden sind, wieviele es werden könnten, müssen wir sagen, es werden wahrscheinlich über 400 werden. Die Ausstellung wird also auch den Prozess wiederspiegeln, denn wir haben vor die einzelnen Arbeiten sukzessive, so wie sie fertig und wie sie trocken sind insbesondere, in die Ausstellung einzubringen, so dass das Bild ständig wechseln wird.4

Peter Terkatz erinnert, dass gegen Ende der Ausstellung alle Wände des Museums inklusive des Treppenhauses mit Papieren bedeckt waren.5 Und ergänzt, dass die – mit Nägeln befestigten – Papiere teils in mehreren Lagen übereinander hingen. Da im Archiv des Museums Abteiberg kaum Fotografien der Ausstellung existieren, können die prozessuale Entwicklung und die finale Präsentation des Materials hier nicht dokumentiert werden. 

III. Im Nachgang: Produktion und Rezeption. Werk und Wert 

Das Ende der Ausstellung sollte dem Wunsch des Künstlers zufolge nicht das Ende des Projekts bedeuten. Aus einem Schreiben Joel Fishers geht hervor, dass er die Ausstellung zum Ausgangspunkt eines fortlaufenden Kreislaufs machen wollte. In einem – in deutscher und englischer Fassung erhaltenen – Brief informiert der Künstler die (privaten und institutionellen?) Besitzer:innen seiner Werke über das Mönchengladbacher Ausstellungsvorhaben und schreibt, dass sich damit auch die Bedeutung des Werks in Ihrem Besitz“ verändern6 würde. Fisher schreibt: Die einfachen Fakten sind, daß, wenn jemand noch eine Papierarbeit direkt von mir erwerben will, einfach keine mehr verkäuflich ist. Darüberhinaus sind jene Arbeiten, die von der großen Auflösung‘ ausgeschlossen waren – wie diejenigen in Ihrer Sammlung – ausgeschlossen durch die Handlung und die Wahl von Leuten wie Sie sie selbst. Es gibt nicht viele von Ihnen, deshalb nehmen Sie eine ziemlich spezielle Position ein. Ein Identifikations- und Besitzerzertifikat sollte Ihre Arbeit begleitet haben. Falls Sie keines haben, haben Sie Anspruch darauf.“7 Er fordert die Adressat:innen auf, ihm im Falle eines Besitzwechsels das Zertifikat zurückzusenden und die neuen Eigentumsverhältnisse mitzuteilen.8 Der rechtmäßige Besitz“, so Fisher, sei jeweils an die aktuelle Information geknüpft. Angedacht war offenbar ein fortlaufender Austausch zwischen dem Produzenten und seinen Rezipient:innen.

Sollte damit zur Reflexion über konzeptuelle Praxis, zur Diskussion über Kunstmarkt-relevante Fragen – das Werk und sein Wert – angeregt werden? Es ist bedauerlich, dass die Dokumente im Archiv des Museums Abteiberg über den Fortgang des Projekts keinen Aufschluss geben. 

Joel Fisher, Rundschreiben, dt., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher
Joel Fisher, Rundschreiben, dt., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher
Joel Fisher, Rundschreiben, dt., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher
Joel Fisher, Rundschreiben, engl., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher
Joel Fisher, Rundschreiben, engl., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher
Joel Fisher, Rundschreiben, engl., n.d. [1975], Archiv Museum Abteiberg, © Joel Fisher

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Fast alle seine bisherigen Arbeiten aus Papier steckte Joel Fisher für diese Ausstellung in den Reißwolf und verarbeitete sie zu neuen Papieren. Es waren rund 214 Arbeiten aus den Jahren 1969 bis 1975: Einzelblätter, Serien, Reihungen oder Schichtungen - oft jeweils aus zahlreichen einzelnen Blättern bestehend -‚ kleine, nicht einmal handgroße Stücke und auch wandbedeckende, große Arrangements. Soweit sich seine Papierarbeiten nicht im für ihn unzugänglichen Privatbesitz befinden, sammelte er sie in Mönchengladbach. Sie kamen aus London, New York, Washington, Berlin, Aachen, Hannover, Basel, Bari, Genua und Mailand, wo das, was ihm noch gehörte, in Galerien und bei Freunden gelagert war.

Mehr als drei Wochen hat Joel Fisher hier bei uns gearbeitet: Im Museum, wo er die Texte für den Katalog fertig schrieb und das Layout erstellte; in seinem Gastquartier bei Ulrich Rückriem, wo er nach den mitgebrachten Negativen die Abbildungsunterlagen abzog; in dessen Atelier an der Martinstraße, wo er die alten Arbeiten zerstückelte, in Wasser auflöste und zu neuen Papieren verarbeitete, das heißt Stück für Stück mit dem Sieb schöpfte. Das Resultat zeigt diese Ausstellung: Die Papiere sind alle auf das Maß 70 x 70 cm hin angelegt. Die Farben wechseln entsprechend den Konvoluten alter Arbeiten, die jeweils als Material für die Erstellung des Papierbreies dienten. Auch in der Stärke der Papiere gibt es leichte Unterschiede, bedingt durch Schwankungen in der Festigkeit der Breimasse und durch die Handarbeit des Schöpfens. Aber alle diese Unterschiede haben nicht die Individualität der einzelnen Blätter zum Ziel.

Die alten Stücke, die den Brei bildeten, hatten allerdings ihre je eigene und ausgeprägte Individualität. Sie unterschieden sich deutlich nach Format und Farbe, nach Struktur und Gewicht der Papiermasse, nach Zahl und Art der Zusammenfügung von einzelnen Blättern und nach ihrer Geschichte, das heißt nach ihrem Entstehungsjahr und nach den Umständen und Motivationen ihrer Entstehung.

Das alles ist nun gelöscht. In den neuen Stücken sind die alten nicht wiederzuerkennen, sie sind aus ihnen nicht abzulesen. Joel Fisher hielt sich zwar bei der Erstellung der Breimasse an die Chronologie seines bisherigen Oeuvre - der Bottich fasste nur im Nacheinander die Masse des vorhandenen Materials -‚ doch von der individuellen Vergangenheit blieb letztlich nicht mehr als eine Ahnung, ein unwesentlicher Rest Nuancierungen im farblichen und materialen Bereich, hin und wieder ein für den Brei unverdaulicher Faden oder ein nicht völlig zerstückelter Fetzen. Unwiderruflich dahin schwand jedoch die in den alten Stücken manifest gewordene Geschichte, der sozusagen greif- und sichtbare Niederschlag von Entstehungszeit, Ort und Motivation. Das Wesentliche der bisherigen Individualität wurde in die Gleichheit von Entstehungszeit, Ort und Motivation überführt. Die Gleichheit des Formats der neuen Blätter, ihre nur unbedeutenden Unterschiede stehen als ein äußerliches Signal für den eigentlichen einschneidenden Akt.

Sicherlich lässt sich leicht und wohl übereinstimmend begreifen, dass es einem Künstler nicht leicht fallen kann, einen wichtigen Teil seines bisherigen Werks zu zerstören. Zumal wenn man weiß, dass dieses Werk von ihm nicht abgewiesen, verleugnet, als Irrweg empfunden wird. Es geht nicht um den völlig normalen Fall einer Korrektur einzelner Werke oder auch Werkgruppen durch Ergänzung, Zutat oder gar völlige Überarbeitung. Es geht um eine grundsätzliche und sicherlich nicht schmerzfreie Aktion.

Bei allem Respekt, den eine so rigorose Entscheidung zu zollen abnötigt, kann die kritische Frage nach dem Sinn, nach dem Warum und Wozu jedoch nicht unterdrückt werden. Im Vorwort des Katalogs lässt Joel Fisher seine Bedenken, seine Hemmungen, ja nahezu sein Bedauern anklingen. Warum riskiert er denn diesen irreversiblen Schritt? Er ist nicht mit den alten Arbeiten unzufrieden, er distanziert sich nicht von ihnen. Im Gegenteil. Er beschreibt im Katalog noch einmal sorgfältig jede einzelne, er bildet sie ab für die Erinnerung, er schildert ihre Entstehung, ihre Geschichte, den Kontext, in dem sie zu sehen ist, seine persönliche Bindung an jedes Stück. Er hält sie alle noch einmal fest, ehe sie sich endgültig auflösen.

Dieses Auflösen ist allerdings eine im Werk Joel Fishers von vornherein angelegte Konsequenz. Sie wird jetzt und hier lediglich vollzogen, nicht jedoch initiiert. Der unwiderrufliche Schritt wohnte dem Werk von Anfang an inne. Das Auflösen ist das eigentliche und durchlaufende Thema seines Schaffens. Es bestimmt wesentlich seine Position im Kunstgeschehen unserer Zeit und fixiert seinen Stellenwert.

Der westliche Kulturkreis arbeitet seit langem ostasiatische Einflüsse auf und bindet sie in sein Gedankengut ein. Mit der Übernahme von Techniken - wie etwa die der Porzellanherstellung aus China - begann der schrittweise Einzug von Gedankengut, das mit ihnen transportiert wurde. Der Jugendstil - etwa die Plakate von Toulouse-Lautrec - war dem Ostasiatischen mehr als nur im Formalen verpflichtet. Die informelle Malerei der Mitte unseres Jahrhunderts, insbesondere die kalligraphischen Charakters, basierte wesentlich auf fernöstlichen Gedankengängen. Künstler wie Rothko oder Yves Klein loteten schließlich bis auf den stillen Grund dieser dem Europäischen ursprünglich so fremden Welt. Ihre Malerei bewegt sich im Meditativen.

Im Rahmen dieser - hier nur stichwortartig angesprochenen - Entwicklungen haben die Arbeiten von Joel Fisher ihren Platz: Die alten Stücke, doch noch entschiedener die neuen. Das Papiermachen ist ihm nicht bloße Technik, die Ergebnisse sind ihm nicht nur äußere Resultate, beurteilbar nach ästhetischen Kriterien. Seine Papiere verweisen auf eine tiefere Schicht, auf eine Grenze, an der sich Anfang und Ende aufheben. Sie sind nicht etwa nur Symbole, Zeichen für diesen Zustand der Unterschiedslosigkeit; er ist in sie wirklich und tatsächlich eingeflossen.

Beim Vorgang des Papiermachens löst sich eine bis dahin bestehende materiale Existenz auf zugunsten einer neuen, anderen. Unendlich viele kleine Fasern organisieren sich neu, wenn das Sieb die Wasseroberfläche passiert. Aber es sind und bleiben doch die alten Fasern. Sie haben sich nur aus ihren bisherigen Bindungen gelöst. Joel Fisher handelt analog diesem Vorgang, er steigert dieses physikalische Geschehen, diese materiale Realität durch Verwendung von Dingen, die mit einer bestimmten Bedeutung, insbesondere auch autobiographischen Bedeutung für ihn selbst behaftet sind. Auch im übertragenen Sinne findet also ein Vorgang des Loslösens und zugleich neuer Bindung statt. Er vollzieht bewusst einen Akt gegen sich, der aber sofort auch wieder zum Positiven umschlägt. Je radikaler die Entäußerung, umso intensiver der Zugewinn an Unabhängigkeit, an Freiheit.

Das, was er in den und mit den alten Papieren schon praktizierte, wiederholt Joel Fisher - im System selbst verbleibend - mit dieser Ausstellung noch einmal. Der Einsatz ist diesmal entschieden größer, aber auch die Chance des Zugewinns an Souveränität und an Eindeutigkeit des Oeuvre. Mit dieser Ausstellung hat Joel Fisher nicht nur einen unwiderruflichen Schritt getan im Hinblick auf das Vergangene, er ging auch einen Schritt nach vorn.

Diese Ausstellung könnte auch eine Retrospektive genannt werden. Alle alten Papierarbeiten sind in ihr anwesend - und sie sind es zugleich doch wiederum nicht. Geschichte ist hier nicht eliminiert, aber sie präsentiert sich nicht als zeitliches Nacheinander, als Entwicklung oder Bericht. Sie ist abgesunken auf den Grund, auf dem sich Anfang und Ende aufheben. Sie ist aufgegangen in eine Ordnung ohne individuelle Begrenzungen. Soweit ich sehe, ist dies eine Manifestation, die der Welt ostasiatischer Erfahrungen, Praktiken und Gedankengänge noch ein erhebliches Stück nähergekommen ist als etwa das Werk eines Yves Klein. Die künstlerischen Fragestellungen, die Probleme liegen seit längerem auf dem Tisch. Joel Fisher eröffnete ihnen ebenso radikale wie folgerichtige Möglichkeiten der Lösung.

Es ist ein Zufall, dass auch die nächste Ausstellung hier im Haus sich mit dem Thema Retrospektive befasst. Daniel Buren greift es anhand seiner sich stets gleichbleibenden Streifenstücke auf. Die Ausstellung Buren war längst konzipiert, als Joel Fisher mit seinem Vorschlag kam, für die Mönchengladbacher Schau sein Papier-Oeuvre „einzuschmelzen“. Ohne der nachfolgenden Ausstellung vorgreifen zu wollen steht jetzt schon fest: beide trennen Welten. Und dennoch sind sie sich nahe im Fragen schlechthin, im Problem, das „in der Luft“ liegt. Diese Ausstellung ist eine der möglichen Antworten.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
JOEL FISHER, 23.9.–26.10.1975

Schachtel aus graubraunem Karton, grauer Aufdruck auf der Seite, geklammert, 20,3 × 16 × 2,2 cm 

Inhalt: Typoskript, Künstlerbuch

Typoskript der Eröffnungsrede von J. Cladders, 3 S.
Künstlerbuch mit Katalog der Papierarbeiten 1969 – 1975, die Joel Fisher für die Ausstellung in Mönchengladbach zerstört und zu einer neuen Arbeit verarbeitet hat. Mit Texten des Künstlers sowie 214 kleinformatigen und 10 ganzseitigen S/​W‑Abb., Umschlag aus geschöpftem Karton, Text, Fotos und Layout: Joel Fisher, Übersetzung der Texte aus dem Englischen: Clara Weyergraf, 48 S., 18,5 × 15 cm

Auflage: 550 nummerierte Exemplare

Realisierung mit Unterstützung des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdiensts 

Gesamtherstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach 

Preis in der Ausstellung: 15 DM

sr

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Unvollständig

Kurzankündigungen / Meldungen

o.V., Ausstellung Joel Fisher, in: Rheinische Post, 19.9.1975
Westdeutsche Zeitung, 15.10.1975

Berichte / Rezensionen / Kommentare

St.-v.Qu. [= Wolfgang Stauch von Quitzow], Joel Fisher in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, Jg. 18 Nr. 11, November 1975, S. 38f.