DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

Menü
Play
Pause
00:00
00:00
Schließen
62

DANIEL BUREN.
Zweite Folge: Von da an

DANIEL BUREN. Zweite Folge: Von da an DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte DANIEL BUREN. Zweite Folge: Von da an, 1975

Daniel Buren, Zweite Folge: Von da an, 21.11. – 14.12. 1975

Daniel Buren (1938 Boulogne-Billancourt, lebt und arbeitet in Paris)

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert

Jede Kunst ist politisch. Wir müssen deshalb den formalen als auch den kulturellen Rahmen (und nicht nur den einen oder den anderen) untersuchen, denn in diesem Rahmen existiert und entwickelt sich die Kunst.“1 (Buren, 1971)

Mit Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … (1971) und Zweite Folge: Von da an (1975) initiierte Daniel Buren zwei programmatische Manifestationen, die für die Diskussion institutionskritischer und ortsspezifischer Kunst wegweisend sind. Als erste öffentliche Institution gab das Museum Mönchengladbach dem französischen Konzeptkünstler die Gelegenheit, seine grundlegenden theoretischen Untersuchungen und speziell seine Rahmentheorie“ in den Kassettenkatalogen der beiden Ausstellungen zu publizieren. 

Buren war der einzige Künstler, der in den Jahren 1967 bis 1978 zweimal von Johannes Cladders eingeladen wurde, eine Einzelausstellung für das Museum an der Bismarckstraße zu konzipieren. Insoweit wich Cladders im Fall Burens – der seine Interventionen im öffentlichen Raum und im institutionellen Kontext als Travail in situ“ (Buren) konzipierte – explizit von seiner sonst üblichen Ausstellungspraxis ab.

Schon in Burens erstem Kassettenkatalog von 1971 findet sich der Hinweis darauf, dass man das Projekt im Sinne einer Fortsetzung folgt“ weiterführen wollte. Das macht deutlich, welche Relevanz Cladders dem an soziologischen und politischen Prozessen orientierten Ansatz Daniel Burens beimaß. Künstler und Museumsdirektor standen seit 1970 in intensivem Austausch. Beide verband ein (philosophisches) Interesse an der grundsätzlichen Befragung des Phänomens Kunst“ (Cladders) und deren – auch historischen – Bedingtheiten. An den komplexen Funktionsmechanismen des Kunstsystems, die Buren systematisch wie ein Wissenschaftler reflektierte und analysierte. Hier der Künstler als Kunsttheoretiker und Soziologe, dort der Museumsleiter mit institutionskritischen Gedanken (und eigener künstlerischer Arbeit im Hintergrund), beide gleichermaßen Praktiker wie Theoretiker. Beide brannten im Einsatz für Themen wie Demokratisierung und Enthierarchisierung.

Cladders, der bereits 1968 in seinem programmatischen Text zum Antimuseum“ die grundlegende Reformierung der Institution gefordert hatte, dirigierte als Direktor nicht, wie seinerzeit meist üblich, von oben herab, sondern ließ den Künstler:innen größtmögliche Freiheit bei der Realisation ihrer Ausstellungen. („Ich folgte einfach dem, was Künstler machten, darin sah ich meinen Part.“2) Der um vierzehn Jahre jüngere Buren nahm mit seinem radikal konzeptuellen Zugang zur Malerei die anti-autoritären Ideen seiner eigenen Generation, den Traum von einer herrschaftslosen Sprache“, vorweg. Seit 1965 malte er keine Bilder mehr, sondern arbeitete auf der Suche nach dem Nullpunkt der Malerei“ mit vorfabrizierten vertikal gestreiften Markisenstoffen, später auch mit Streifenpapieren. Jeder Streifen, weiß und farbig im Wechsel, 8,7 cm breit. 1967 entschied der Künstler, sein Pariser Atelier – den Ort klassischer Kunstproduktion – aufzugeben und statt eines begrenzten, auf die Rezeption (elitärer) Kunst fokussierten Publikums die Öffentlichkeit im weitesten Sinne“ (Buren) zu adressieren. Er wählte den öffentlichen Raum als Arbeitsplatz und begann unautorisiert Streifenpapiere zu plakatieren. Diese Affichages sauvages sind Burens erste in-situ-Arbeiten. Sie stellen die wilden“ Vorläufer der spektakulären Mönchengladbacher Aktion Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … dar. 

DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
DANIEL BUREN, Museum Mönchengladbach 1975, Photo-souvenir: Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

So lautete nämlich meine eigene Definition der Arbeit in situ‘, site-specific‘ (ortspezifisch), hergestellt vor Ort, für, gegen und gemäß diesem Ort, nicht transportabel, also nicht verkaufbar. Den Ausdruck in situ‘ verwendete damals keiner, folglich durfte er nicht anders gedeutet werden also so, wie ich ihn für meine Arbeit definierte, auf die er sich ausschließlich bezog.“3 (Daniel Buren, 1996)

Buren und Cladders ergänzten sich in besonderer Weise. Entsprechend rasch entwickelte sich aus der 1970 begonnenen deutsch-französischen Arbeitsbeziehung, die der Düsseldorfer Galerist Konrad Fischer vermittelt hatte4, eine Freundschaft von dauerhaftem Bestand. Die Kommunikation erfolgte in englisch. 1975 gibt Cladders in seiner Eröffnungsrede zu Burens Ausstellung Von da an“ einen Rückblick auf 1971:

Anläßlich der Ausstellung [1971] gab das Mönchengladbacher Museum die Schrift Position-Proposition‘ heraus. In ihr stellte Buren bereits die Weichen für diese unsere neue Ausstellung. Er umriß die Rolle, die das Museum für die Existenz der Kunst spielt, grundsätzlich und allgemein. Er wies die Bedeutung des Rahmens‘, des Bildträgers‘ Museum auf, in den hinein bzw. auf den sich die Kunst sozusagen selbst malt‘, wo sie in Erscheinung tritt, sichtbar wird […] Buren endete seine Ausführungen mit dem Hinweis Fortsetzung folgt‘ (der damals irrtümlich ins Deutsche übersetzt war mit Fortsetzung möglich‘). Diese Fortsetzung‘ eröffnen wir heute und zwar im Sinne einer Erweiterung und Spezialisierung der sich gleichgebliebenen Frage auf das Thema Retrospektive‘ hin. In Position-Proposition‘ schrieb Buren: Es ist höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, warum das Museum existiert, welche Rolle es als Bildträger wirklich spielt und wie die Gewohnheit, dort auszustellen, zu verstehen und zu beurteilen ist. Doch nur im Rahmen der umfassenden Frage nach dem Wesen der Kunst, dieser Frage, die sich uns immer wieder aufdrängt, kann diese Teilfrage sinnvoll angegangen werden.‘“5

Das Projekt 1975

Eine weitere Manifestation von Burens Rahmentheorie“ am selben Ort: Mit Zweite Folge: Von da an führte Daniel Buren seine soziologischen Untersuchungen zu den formalen und kulturellen Rahmenbedingungen von Kunst im Museum Mönchengladbach fort. Zum Forschungsgegenstand seiner institutionskritischen Analyse bestimmte er dieses Mal das Thema Retrospektive“. Vergegenwärtigung von Vergangenem hier nicht konzipiert als Rückblick auf das eigene künstlerische Werk, sondern auf die Institution, die ihn eingeladen hatte. Von da an nahm Bezug auf die Ausstellungsgeschichte des Städtischen Museums ab 1967, den Beginn der Amtszeit von Johannes Cladders. Auf der Basis von – gemeinsam mit Cladders unternommenen – Recherchen im Museumsarchiv lenkte Buren den Blick hier erneut auf eine übergeordnete theoretische Ebene und stellte Fragen zur Diskussion, die für ein Verständnis der Funktionsmechanismen des Kunstsystems substantiell relevant sind. Im Kassettenkatalog hält er fest: Ich weise nachdrücklich darauf hin, daß ich mich hier deshalb mit der Retrospektive‘ befasse, weil ich herausfinden will, was diese unausweichliche Etappe in der Karriere eines Künstlers bemäntelt, verbirgt oder auch enthüllt und nicht etwa deshalb, weil vom Museum Mönchengladbach die Initiative ausgegangen wäre, eine Retrospektive meiner Arbeit zu organisieren.“6

Die Ausstellung

Von da an war eine ortsspezifische Installation, die sich über das gesamte Haus an der Bismarckstraße erstreckte. Buren bezog alle Ausstellungsflächen des Museums ein: den Eingangsbereich, die (insgesamt sieben) Ausstellungsräume des Erdgeschosses und ersten Obergeschosses sowie das gesamte Treppenhaus.7Die Wände waren mit gestreiftem Stoff bezogen, die drei verschiedenen Ausstellungsbereiche farblich voneinander abgesetzt. Im EG hingen blau/​weiße Streifen, im Treppenhaus braun/​weiße Streifen und in den Ausstellungsräumen des 1. OG rot/​weiße Streifen. Im Stoff jeweils weiße Aussparungen da, wo in den – von Buren ausgewählten – vergangenen Ausstellungen Werke an den Wänden gehangen hatten. Susanne Titz: Die […] ausgeschnittenen Wandflächen […] sind Leerstellen vergangener Hängungen, Markierungen sehr unterschiedlicher Ausstellungen: darunter auch Cladders experimentelle und multimediale Präsentationen der Museumssammlung, bewusst nicht-chronologische Verknüpfungen von Expressionismus, ZERO, Pop Art, Nouveau Réalisme, Plakaten, koptischen Stoffen, Metallgeschirren, Landkarten und anderem mehr zu einer neuartigen – durch Fluxus, Concept Art und die Fragen der Gegenwart gesteuerten – Kritik der musealen Kategorien und Enzyklopädien.“8

In den Türlaibungen waren Fotokopien befestigt. Sie dokumentierten, auf welche spezifische Präsentation hier konkret Bezug genommen wurde. Angesichts der komplexen Wandabwicklungen boten sie hilfreiche Informationen für eine Orientierung und korrekte Zuordnung. In einigen Fällen wurden auf einer Wand nicht nur eine, sondern mehrere Ausstellungen thematisiert. Insgesamt wählte Buren 24 Ausstellungen der Jahre 1967 bis 1975, von BEUYS bis zur unmittelbar vorangegangenen Ausstellung JOEL FISHER

Jürgen Morschel berichtet in der Süddeutschen Zeitung über Zweite Folge: Von da an: In Mönchengladbach hat Buren jetzt die Wände der Ausstellungsräume des Museums mit gestreiftem Tuch überzogen. Dabei wurde der Platz an den Wänden ausgespart, auf dem (nach photographischen Belegen) in früheren Ausstellungen Bilder hingen: Eine retrospektivartige Zusammenfassung der bisherigen Ausstellungen des Instituts, wobei jedoch nicht die Bilder vorgewiesen werden, sondern die Leerflächen, die die Bilder umgaben. Hier wird also von dem gesprochen, wovon üblicherweise in einer Ausstellung nicht die Rede ist, und was doch für die Erfahrbarkeit von Bildern wesentliche Bedeutung hat, denn, so Buren, wäre der Raum zwischen zwei Werken nur ein leerer Raum und unsignifkant im Hinblick auf das Werk, das an der Wand hängt, so müßte man ihn ohne weiteres füllen können‘. Es ist aber gerade die Funktion der Hängefläche, die Betrachtung des Bildes so wenig wie möglich zu stören und es zugleich aufs beste zur Geltung zu bringen. Buren folgert: Das Kunstwerk konzentriert also die gesamte Aufmerksamkeit auf sich, in dem es zunächst den Raum, der es umgibt, als nicht existent (als null und nichtig) betrachtet, um sich dann scheinbar im Widerspruch hierzu, dieses Raumes zu seiner Rechtfertigung zu bedienen und zwar, indem es ihn in seiner Rolle als unverzichtbaren, aber neutralen Werkträger, der er nicht ist, für nichtig erklärt …‘“9

Kassettenkatalog

Der Kassettenkatalog stellt die wichtigste und interessanteste Quelle zur Ausstellung dar; er verbindet intellektuelle Dichte und forscherische Tiefe. Die leuchtend gelbe Schachtel enthält drei Broschüren mit Texten des Künstlers. Broschüre 1 und 2 sind der Theorie, Broschüre 3 der Praxis gewidmet. Bei der dritten Broschüre handelt es sich um den Ausstellungsführer“, der Burens Konzeption gleichsam aufschlüsselt. Historische Ausstellungsfotos, Grund- und Aufrisse geben hier Aufschluss über die Wandabwicklungen und die Zuordnung der Werke in den entsprechenden Ausstellungsräumen des Museums Mönchengladbach. Hier werden alle Werke und Ausstellungen dargestellt, auf die Zweite Folge: Von da an rekurriert. 

I
1 Carl Andre, 1968 
2 20 Jahre Kunstgemeinschaft Die Planke, 1973 (Karl Köster) 

II
3 Die Planke, 1971
4 Auswahl aus der Sammlung Etzold, 1970
5 Gerhard Richter, Graue Bilder, 1975

III
6 Jan Schoonhoven, 1972
7 Jasper Johns. Das graphische Werk 1960 – 19701971
8 Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten, 1973 (Niele Toroni) 

IV
9 Joel Fisher, Ein unwiderruflicher Schritt, 1975

V
10 Plakate IM Museum, 1968 (russisches Plakat)
11 Von Thoma bis Piene. Auswahl aus der Druckgraphiksammlung des Museums, 1970 (von unten nach oben: Käthe Kollwitz, Heinrich Nauen, Paul Klee, Otto Pankok, Käthe Kollwitz, Erich Heckel, Lyonel Feininger, George Grosz) 
12 Beleg II. Neuerwerbungen 1968 – 1972, erster Teil: Kunst der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1972 (Hanne Darboven)

VI (neue Nummerierung im aktuellen Raumplan: IX)
13 Beleg II. Neuerwerbungen 1968 – 1972, erster Teil: Kunst der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1972 (Marcel Broodthaers)
14 Auswahl aus der Sammlung Etzold, 1970 (Heinz Mack)
15 Piero Manzoni, 1969/70
16 Schuss und Kette (Kaselkreuz)
17 Jan Schoonhoven
18 Von Thoma bis Piene. Auswahl aus der Druckgraphiksammlung des Museums, 1970 (Serge Poliakoff, Hap Grieshaber)
19 Sieben Räume, Sieben Gruppen, 1973 (Karl Otto Götz)

VII (neue Nummerierung im aktuellen Raumplan: VIII)
20 Programm, Zufall, System. Ein neuer Zweig am alten Konzept der Sammlung Etzold, 1973 (Computer-Grafik)
21 Zeit ohne Zeit, 1969 (Andy Warhol, Erich Heckel)
22 Splitter. Kleinere Sammlungsabteilungen aus dem Besitz des Museums, 1971 (Wil Frenken)
23 Zeit ohne Zeit, 1969 (Arman)
24 Palermo. Objekte, 1973
25 Alte Landkarten, Ansichten und Metallgeschirre, 1969 (zwei Landkarten)

VIII (neue Nummerierung im aktuellen Raumplan: VII)
26 Mit Kuhhorn und Pinsel, 1969 (Franz Marc)
27 Piero Manzoni, 1970
28 Joseph Beuys, 1967
29 Mel Bochner, Sol Lewitt, Robert Mangold, Brice Marden, Agnes Martin, Edda Renouf, Dorothea Rockburne. Graphiken aus der Edition der Parasol Press New York, 1975 (Brice Marden)
30 La Cédille qui sourit, Brecht/​Filliou, 1969 (George Brecht)

IX (neue Nummerierung im aktuellen Raumplan: VI)
31 Alte Landkarten, Ansichten und Metallgeschirre, 1969 (zwei Ansichten, Zinnteller)
32 Auswahl aus der Sammlung Etzold, 1970 (Josef Albers, Ludwig Wilding) 

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Wir eröffnen heute die zweite Ausstellung von Daniel Buren in diesem Hause. Die erste fand vom 28. Januar bis 7. März 1971 statt. Sie bestand aus senkrecht blau-weiß gestreiften Papieren, die in einigen Räumen entlang der Sockelleiste geklebt waren und über zwei Ausstellungen hinweg („Neuerwerbungen 1970: Graphik“ und „Sammlung Etzold II“), das heißt innerhalb eines normal weiterlaufenden Museumsbetriebs, zu sehen waren. Sie bestand weiterhin aus mit eben solchen Streifenpapieren beklebten Schaufensterscheiben des Kaufhauses Heinemann an der Hindenburgstraße wie der Reklamefläche eines Linienbusses der Stadtwerke. Und sie fand gleichzeitig in 13 anderen Städten statt - Aachen, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Köln, Krefeld, Leverkusen, Münster, Saarbrücken, Saarlouis und Stuttgart -‚ wo jeweils Museen, Kunstvereine oder auch Geschäftshäuser für die Anbringung der Streifenpapiere auf den verschiedenartigsten Trägern sorgten.

Anlässlich der Ausstellung gab das Mönchengladbacher Museum die Schrift „Position-Proposition“ heraus. In ihr stellte Buren bereits die Weichen für diese unsere neue Ausstellung. Er umriss die Rolle, die das Museum für die Existenz der Kunst spielt, grundsätzlich und allgemein. Er wies die Bedeutung des „Rahmens“, des „Bildträgers“ Museum auf, in den hinein bzw. auf den sich die Kunst sozusagen selbst „malt“, wo sie in Erscheinung tritt, sichtbar wird; wo Kunst das Unterschiedsmerkmal in anderem Gemachten aufgedrückt erhält, das sie erst zur Kunst werden lässt. Buren endete seine Ausführungen mit dem Hinweis „Fortsetzung folgt“ (der damals irrtümlich ins Deutsche übersetzt war mit „Fortsetzung möglich“). Diese „Fortsetzung“ eröffnen wir heute und zwar im Sinne einer Erweiterung und Spezialisierung der sich gleichgebliebenen Frage auf das Thema „Retrospektive“ hin.

In „Position-Proposition“ schrieb Buren: „Es ist höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, warum das Museum existiert, welche Rolle es als Bildträger wirklich spielt und wie die Gewohnheit, dort auszustellen, zu verstehen und zu beurteilen ist. Doch nur im Rahmen der umfassenden Frage nach dem Wesen der Kunst, dieser Frage, die sich uns immer wieder aufdrängt, kann diese Teilfrage sinnvoll angegangen werden.“ - Auch in unserer Ausstellung geht es nur insoweit um die „Retrospektive“, als es um das Wesen der Kunst geht. Um das Wesen der Kunst geht es allerdings in jedem Werk, unabhängig von der qualitativen, ästhetischen, theoretischen, ideologischen, zeitlichen, lokalen oder auch thematischen Ebene, auf der es steht. Kunst hat immer, zutiefst und letztlich nur sich selbst zum Thema - und das meint ja ihr „Wesen“ -‚ weil es die „Kunst schlechthin“ nicht gibt, sondern sie sich in ganz konkreten Werken, in Gemachtem konstituiert und aus diesem Gemachten sich allein definiert. Nicht die Kunst (was soll das schon a priori und abstrakt sein?) bestimmt, was zum Beispiel romanische Buchmalerei, gotische Skulptur oder ein realistisches Stilleben ist, sondern diese, was romanische, gotische oder realistische Kunst ist (denn wie kann sie anders als a posteriori und konkret sein).

Aber nicht in diesem allgemeinen und unumgänglichen Sinne beschäftigt sich Buren mit dem Wesen der Kunst. Er erhebt die Kunst zum Thema des Gemachten, vergleichbar damit, wie Landschaft oder Akt zum Sujet genommen werden können. Buren stellt die Kunst dar, die Kunst, wie sie erscheint und die Bedingungen, unter denen sie - das heißt Gemachtes - als solche erst in Erscheinung treten kann. Das Museum ist einer der Groß-Rahmen, in dem die Kunst als Kunst erscheint, die „Retrospektive“ sozusagen ein kleiner, in jedem Falle speziellerer Rahmen.

Burens Werk versucht, sich der Vereinnahmung durch das Museum zu entziehen - inwieweit das gelingt und überhaupt möglich ist, soll hier nicht untersucht werden -‚ indem es seine Mechanismen entlarvt, Mechanismen, die die Kunst in Erscheinung bringen wie ebenso verdecken. Er stellt das Museum dar. Dem Katalog aus 1971 legte ich eine Betrachtung unter dem Titel bei „Das ausgestellte Museum“. In Abwandlung dieses Titels lässt sich unsere jetzige Ausstellung als „Die ausgestellte Retrospektive“ bezeichnen. Denn Buren hat nicht seine eigene Retrospektive eingerichtet, veranstaltet nicht den Rückblick auf sein eigenes Werk. Zumindest veranstaltet er ihn nur bedingt, und zwar nur insoweit, als „seine“ Retrospektive und „die“ Retrospektive kongruieren.

„Seine“ Retrospektive, verstanden als Vorweisen formaler Entwicklungen, ist nicht möglich. Die von ihm durchgängig als Darstellungsmedien benutzten Streifen aus Papier oder Stoff haben keine Wandlung oder Entwicklung erfahren. Ein Vorweisen der Quantität des Gemachten aber verbietet sich deshalb, weil Buren die Streifen nicht sozusagen „zeichnet“, sondern mit ihnen ihren jeweiligen Träger „bezeichnet“. Diese Träger sind größtenteils ortsgebunden und lassen sich nicht ins Museum verpflanzen. Aber auch Arbeiten, die er bewusst auf Mobilität hin anlegte, geben in ihrer Gleichförmigkeit für eine Retrospektive nichts her; es ist völlig belanglos, in welcher Menge sie sich ein Stelldichein geben würden.

„Seine“ Retrospektive ist also so etwas wie eine rückblickende Bestätigung der seinem bisherigen Werk durchgängig anhaftenden Unbrauchbarkeit für eine Retrospektive. Die ersten Überlegungen zu dieser Ausstellung gingen denn auch in diese Richtung. Es war daran gedacht, eine größere Werkgruppe zusammenzutragen, in der sich jedes Werk von den anderen durch nichts als nur durch die Datierung unterschieden hätte. Chronologie und Zeitspanne wären ad absurdum geführt worden. Eine andere Überlegung ging in die Richtung einer Wiederholung der Manifestation aus 1971, begrenzt auf die Stücke, die hier im Haus entlang den Sockelleisten klebten. Bei dieser Lösung wäre das Museum, dieses Haus, in gewisser Weise schon mit im Spiel gewesen. Aus diesem Ansatz erwuchs das komplexere Unternehmen, das wir heute vorstellen: Nicht Burens damalige Ausstellung ist re-installiert, sondern die Ausstellungen, die in diesem Haus seit 1967 stattfanden, werden re-flektiert, zurückgebogen nicht auf ihre materiale Wiederholung, sondern auf Erkenntnis, auf Freilegung des Wesens von Kunst. Die „ausgestellte Retrospektive“ ist eine Verweisung „anhand…“.

„Anhand“, das heißt hier konkret, anhand der Ausstellungsgeschichte und -praxis dieses Hauses, beginnend mit der Ausstellung Joseph Beuys und endend mit der von Joel Fisher. Es wurden nicht alle Ausstellungen herangezogen, sondern nur die, die - in Anlehnung an das Wort „aktenkundig“ – „fotokundig“ geworden bezeichnet werden konnten. Und auch von diesen wiederum nur eine Auswahl, getätigt unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit und praktischen Durchführbarkeit. So wurden die skulpturalen Werke ausgeklammert wie ebenso darauf Bedacht gelegt, dass ein Künstler jeweils nicht zu häufig „beansprucht“ wurde. Herangezogen wurde auch nicht jeweils eine gesamte Ausstellung, sondern nur ein Ausschnitt, und der wiederum oft reduziert auf nur ein einziges Werk. Auf diese Weise ergibt sich eine Überlagerung der verschiedenen Ausstellungen in den einzelnen Räumen und vielfach auch auf den einzelnen Wänden. Der Gleichheit des Ortes, der alle herangezogenen Ausstellungen zwangsläufig unterzogen waren, da sie sich alle in diesem Haus abspielten, ist eine Gleichzeitigkeit zur Seite getreten. Bezogen auf den Ablauf der Ausstellungsgeschichte ist diese Gleichzeitigkeit zwar völlig irreal, doch leistet gerade sie das, was eine Retrospektive bewirkt: Zeitraffung an einem Ort. Weniger die Ausstellungen sind präsent - dagegen spricht schon die Bruchstückhaftigkeit und Zufälligkeit der Auswahl -als vielmehr die Retrospektive selbst ist als Vorstellung anwesend.

Die aus den verschiedenen Ausstellungen ausgewählten Arbeiten sind nicht selbst gegenwärtig, sondern sozusagen ihr Nichtvorhandensein, ihr Negativ, ihr Schatten, den sie an der Wand zurückließen, auf der sie einmal hingen, ist anwesend. Ich will hier nicht wiederholen, was Buren zu dem durch solche Vorgehensweise visualisierten Fragenkomplex im Katalog dieser Ausstellung ausführlich darlegt. Ich will hier auch nicht weiter eingehen auf die Realisationsweise, nämlich darauf, die Wände mit gestreiften Stoffbahnen zu verhängen und aus diesen Bahnen die Formate der Bilder auszusparen, die hier einmal für einige Wochen ihren Platz hatten. Ich möchte vielmehr darauf verweisen, dass mit dieser Ausstellung und ihrer Realisation auch zugleich die Erinnerung wach wird. Sie hat mit der Ausstellung Buren selbst nichts zu tun, sie läuft ihr jedoch parallel, so parallel, dass sie als eine zusätzliche Aktion die von Buren hätte begleiten können. So hatte ich dann zunächst auch daran gedacht, zur Einführung in diese Ausstellung sie selbst unerwähnt zu lassen und stattdessen über die Geschichte der Ausstellungen dieses Hauses zu sprechen. Zu sprechen nicht nur über die jeweiligen Probleme der Auswahl, des Organisierens und Hängens, sondern auch über die unterschiedliche Resonanz, die die einzelnen Ausstellungen fanden und über die Ursachen solcher Unterschiedlichkeit. Doch es genügt wohl dieser Hinweis auf die Präsenz auch der Erinnerung, um die Position des Museums zwischen Gesellschaft und Kunst anzureißen; eigentlich keine Position „dazwischen“, sondern eher ein Knotenpunkt „aus ...“ oder ein Schnittpunkt „von ...“. Es ist die Position einer Spinne im Netz der Beziehungen.

Buren untersucht die Beziehung Museum - Kunst, im vorliegenden Fall in der Spezies Retrospektive - Kunst. Er betreibt Phänomenologie - und zwar in Theorie (Katalogtexte) wie
Praxis (ausstellungsmäßige Visualisierung)‚ wohlwissend um die Rolle der Spinne Museum. Dieses Wissen konnte ihn nicht vor den Zangen der Spinne bewahren - einerseits -‚ aber andererseits bedient er sich auch ihrer, indem er sie lockt, sich zu zeigen. Das hat er anderen Künstlern voraus, die, wie heute gern gesagt wird, von der Krise der Kunst geschüttelt und gerüttelt werden. Ob diese angebliche Krise sich nicht auch zum Teil aus der falschen Einschätzung bzw. Ignorierung der Rolle des Museums herleitet? Auch diese Frage ist in dieser Ausstellung präsent. Sie ist vielleicht sogar die aktuellste und deswegen die, aus der die besondere Aktualität unseres heutigen Ausstellungsunternehmens resultiert.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

1 / 33

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
DANIEL BUREN. Zweite Folge: Von da an, 12.11.–14.12.1975

Schachtel aus gelb beschichtetem Karton, schwarzer Aufdruck auf der Seite, geklammert, 20,2 × 15,8 × 2,6 cm 

Inhalt: Typoskript, Titelblatt, 3 Broschüren

Karte mit Titel, verso Impressum

Typoskript mit Text der Eröffnungsrede J. Cladders, 4 S.

Broschüre Von da an“ mit Text Von da an“, 1972 – 1975 von Daniel Buren (deutsche Übersetzung), 5 S/​W‑Abb., 28 S.

Broschüre A partir de là“ mit dem französischen Originaltext A partir de là“ von Daniel Buren und denselben 5 Abb., 24 S. (Edition: Daled & Gevaert, Bruxelles/​Städtisches Museum Mönchengladbach)

Broschüre Ausstellungsführer“ mit eingeklebter Faltkarte, 38 × 98 cm. Mit 9 Architekturplänen (Grund- und Aufrissen des Städtischen Museums), 32 fotografischen Abb. (Archivfotos) von früheren Ausstellungen im Museum sowie einem Text von Daniel Buren (dt. u. frz.) 

Übersetzung aus dem Französischen: Clara Weyergraf

Auflage: 660 nummerierte Exemplare sowie Belegexemplare 

Gesamtherstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach

Preis in der Ausstellung: 20 DM

sr

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Audio

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., o. T. (Daniel Buren...), Deutsche Zeitung, 12.12.1975
o. V., Ausstellung Buren, Rheinische Post, 13.12.1975

Berichte / Rezensionen / Kommentare

Tr. [Richard Tristram], Daniel-Buren-Retrospektive. Zugleich Retrospektive Gladbacher Museumsausstellungen, Rheinische Post, 14.11.1975
Jürgen Morschel, Der Raum um die Bilder. Daniel Buren im Städtischen Museum Mönchengladbach, Süddeutsche Zeitung, 6.7.12.1975