DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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GEORG ETTL

GEORG ETTL GEORG ETTL, Museum Mönchengladbach 1977, Raum VII, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte GEORGE ETTL, 1977

GEORG ETTL, 8.12. – 15.1.
Georg Ettl (1940 Nittenau – 2014 Viersen)

Erste internationale Einzelausstellung in einem Museum 

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

Das Problem der Abstraktion beschäftigt mich seit eh und je. Solange ich in Amerika war, habe ich abstrakt gearbeitet und erst nach meiner Rückkehr nach Europa begonnen, gegenständlich zu werden, was vor allem mit Europa selbst zu tun hat. Die europäische Seele ist für mich bildlich, die amerikanische abstrakt. Ich fühle mich selbst als zweigeteilten Menschen, halb als Amerikaner, halb als Europäer.“1 (Georg Ettl, 1988)

Das Museum Mönchengladbach präsentierte die retrospektiv angelegte Ausstellung GEORG ETTL vier Jahre, nachdem der Künstler aus den USA in die BRD zurückgekehrt war. Ettl, 1940 in Nittenau in der bayerischen Oberpfalz geboren, war als 18-jähriger zu einem Onkel nach Detroit ausgewandert. Hier ließ er sich zum Werkzeugmacher ausbilden, studierte parallel Literatur und Philosophie an der Wayne State University (Detroit) und ging für zwei Jahre zum Philosophiestudium an die Sorbonne nach Paris. Anschließend studierte er Kunst an der Wayne State University (19651968). Nach diversen Lehrtätigkeiten – Wayne State University und Macomb College – erhielt er 1972 den Titel eines Professor of Art“. Ein Jahr später verließ er Detroit und Michigan. 1973 ging Ettl aus dem Mittleren Westen der USA in den Westen der BRD. 1974 nahm er eine Stelle als Kunsterzieher am Mädchengymnasium in Viersen an, einem Nachbarort von Mönchengladbach.

Georg Ettl war ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten, ein Einzelgänger in der Kunst, der extrem entgegengesetzte Pole in Verbindung und in Schwingung brachte: amerikanische Glattheit und europäische Intellektualität, Theorie und Praxis, Philosophie und Handwerk, Kunst und Kitsch, Skulptur und Architektur. Und auch Peripherie und Zentrum. Schließlich war er als junger Mann nicht in eine glamouröse Metropole wie New York ausgewandert, sondern in die – von automobiler Monostruktur geprägte – Industriemetropole Detroit, deren ökonomischer Niedergang in den 1960er Jahren vehement einsetzte. In einem 1988 geführten höchst aufschlussreichen Interview hielt der Künstler rückblickend zu seinen Anfängen fest: Die ganze Atmosphäre in der Kunstschule [in Detroit, Anm.] war mir sehr sympathisch. Viele gute Arbeiten sind damals entstanden, aber um Detroit kümmerte sich kaum einer, weil Detroit eben nicht New York ist. […] Wir sind nie dem Trend gefolgt. Keiner von uns verstand sich als Minimalist oder als Konzeptkünstler. Wir sind immer unseren eigenen Weg gegangen.“2

Learning from Detroit“3 … Auf diesem Weg produzierte Georg Ettl schon in den frühen 1970er Jahren Werke, die in die Zukunft und gewissermaßen in eine neue Epoche wiesen. Nämlich in die paradoxe Welt der Postmoderne, in der nicht länger die strenge Ethik der Moderne die Regeln vorgab, sondern ein Prinzip des Anything Goes“ herrschte, das sich auszeichnete durch ein hohes Maß an Stil- und Formenpluralismus und vorurteilsfreie, durchaus lustvolle Formen der Grenzüberschreitung.4 Mit GEORG ETTL stellte das Museum Mönchengladbach zur Jahreswende 1977/1978 also eine – von postmodernem Geist durchdrungene – Ausstellung in den Raum, als das Phänomen Postmoderne in der BRD noch kaum ins allgemeine Bewusstsein gedrungen war.

Ausstellung im Museum Mönchengladbach 

Die Ausstellung präsentierte insgesamt 22 Plastiken aus den Jahren 1972 bis 1976. Bei der frühesten Arbeit handelte es sich um ein vierteiliges Relief von mit grauem Steinsplitt beschichteten Tafeln, das die renommierte Silverman Collection in Detroit als Leihgabe zur Verfügung stellte. Das aktuellste Werk – ein Diptychon aus Resopal (Marmorimitation) und Blattgold – stammte aus dem Jahr 1977 und kam aus dem Viersener Studio des Künstlers. 

Museum Mönchengladbach, Anschreiben zur Versicherungsliste GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Anschreiben zur Versicherungsliste GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Anschreiben zur Versicherungsliste GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Versicherungsliste Ausstellung GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Versicherungsliste Ausstellung GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Versicherungsliste Ausstellung GEORG ETTL, 5.12.1977, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg

Bei Presse und Publikum traf Ettls schwer rubrifizierbares Werk durchaus auf aufgeschlossenes Interesse, provozierte gleichzeitig aber eine gewisse Unsicherheit. Immerhin vertrat Ettl hier eine Position, für die im allgemeinen Sprachgebrauch noch die Begriffe fehlten. So schreibt Claudia Junkers, die Rezensentin der Westdeutschen Zeitung: Zu Ehren eines in der Kunstszene so gut wie Unbekannten‘ (Johannes Cladders) war das Städtische Museum an der Bismarckstraße zur Vernissage der Ausstellung Georg Ettl voll besetzt. […] Georg Ettl […] wurde in der Gladbacher Szene‘ zum Lokalmatador. Dazu trägt sicher auch seine liebenswert-bescheidene Unbeirrbarkeit bei, die ihm eine Ausstellung im Städtischen Museum Mönchengladbach einbrachte. Museumsdirektor Dr. Cladders bekannte zur Ausstellungseröffnung, er habe Ettls künstlerischem Tun jahrelang ratlos gegenübergestanden. Die Unsicherheit, die auch den Ausstellungsbesucher überkommt, hängt damit zusammen, daß Georg Ettl Kitsch und Kunst in fatale Nachbarschaft, in ein dünnhäutiges Gleichgewicht bringt: Da ziert ein goldener Pudel einen Betonsockel, weiße Truthahnfedern, lockend schön wie im Varieté, stecken serienweise im Resopalkasten; glitzernder Steinsplitt ist auf einen Kunststoffgrund gezogen; lebensgroße goldene Pferdeköpfe prangen wie ein antiker Fries auf Marmorimitiation; daneben der Kopf der Nofretete aus reinem Blattgold.“5 Amine Haase berichtet in der Rheinischen Post: Humor und sanfte Ironie sind selten in der Bildenden Kunst. […] Johannes Cladders zeigt in seinem Museum in Mönchengladbach, dass doch in Kunstausstellungen noch gelacht werden darf: Er stellt Ettls blattgoldende, resopalgrundige Kunst vor. […] Nachdenklich stimmt die Wirklichkeit, auf die Ettl kunstvoll reagiert. Einmal ist das die Reaktion auf Amerika, wo Ettl (1940 geboren) zwischen 1960 und 1973 lebte, zum anderen die Reaktion auf Deutschland, wohin der in der Oberpfalz geborene Werkzeugmacher und Professor of Art vor vier Jahren zurückkehrte. Er lebt in Viersen.

Aus der amerikanisch beeinflußten Zeit stammen bonbon-farbene Acrylglas-Objekte, mit Truthahnfedern verfremdet‘ oder mit durchsichtigen Steinen beklebt. Irritierend sind nicht nur die triviale Material-Mischung und Farbgebung, sondern die optisch leicht verschobenen Formen. Exaktheit der Minimalkunst wird bei Ettl schief, Reinheit des Stoffs mit verräterischem Glitzern durchsetzt, untadeliges Weiß mit den Federn des amerikanischen Lieblings-Brattiers simuliert. Farbe entlarvt Ettl als aggressiv und letztlich entbehrbar in der vierteiligen Beton-Skulptur mit Stab‘, mit glattem Vorhang‘ (in unsäglichem Pink), mit Vorhang‘ (kunstvoll gekräuseltes Pink) und schließlich mit Beton-Vorhang‘. Ähnlich absichtsvoll wider-sinnig benutzt er Beton, wenn er es schmückt mit Marabu- oder Flamingo ‑Reliefs. Dort scheint Ettl bereits deutsche‘ Klischees aufzugreifen, die dann mit Palmen oder Berglandschaft unter Strahlen-Sonne weiterführen. 

Ein Beton-Quader, grau, glatt, makellos – aber nur zwei Seiten, die anderen beiden ziert ein goldender Pudel. Nofretete, Pferd, Haus, Geweih gehören zu den Leitmotiven von Ettl, die er betoniert oder mit Blattgold auf Resopalplatten zieht – vorzugweise auf helle Kieferimitiation‘. In der Motiv-Reihung (Haus und Nofretete, Häuser mit Bäumen und Zäunen), in der optischen Verschiebung (die Pferdeköpfe sehen aus wie nach hinten gekippte Schaukelpferde) und in der Materialwahl (Marmorimitiation und Blattgold) liegt die Spitze, die Ettl nicht zum Aufspießen, sondern zum Kitzeln benutzt. Eine Kunst, die betroffen macht im Sinne von Ratlosigkeit, wie Johannes Cladders im Katalog sagt – denn unser Schubladendenken lässt sich leicht verunsichern, wenn ein Außenseiter auftaucht.“6

In seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung im Dezember 1977 hatte Johannes Cladders dieser Ratlosigkeit Ausdruck verliehen, als er konstatierte: Ich gestehe, dass ich Ihnen keine Schublade anbieten kann, in die sich die Arbeiten von Georg Ettl abordnen ließen. Auch dann nicht, wenn man sie etwas presst und knetet. Ich weiß eben auch keinen Rat. Und daraus gründet – wenigstens zu einem großen Teil – meine Betroffenheit, die nun auch manchen oder gar vielen von Ihnen ebenfalls zu unterstellen sicherlich nicht abwegig ist. Allerdings ohne mich an dem Unterschied vorbeidrücken zu können oder zu wollen, dass ich meinerseits immer eine Erklärung schuldig bin. Denn schließlich schneite sich diese Ausstellung nicht aus heiterem Himmel hier in dieses Haus einfach so hinein. Im Gegenteil, der Entschluss dazu reifte langsam über einige Jahre hinweg.7

Zwölf Jahre später hatten sich die Begriffe geklärt. In seinem Text Schein und Sein“, den der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf 1990 anlässlich der Ausstellung Georg Ettl publizierte, schreibt Cladders: 

Es drängt sich geradezu auf, in den Arbeiten von Georg Ettl heute eine Vorwegnahme von Entwicklungen zu erkennen, die bezeichnend für einen Teil der Kunst der 80er Jahre wurden. Neben der Hinwendung zu Motiven aus der Kunstgeschichte und dem Kitsch des Alltags lassen sie sich oft als ein Interesse an Phänomenen charakterisieren, die im weitesten Sinne dem Architektonischen zuzurechnen sind. Elemente des Gebauten, Zitate von Gebäuden, Destruktionen gängiger Konstruktionen, Architekturmotive fanden Eingang in Bild und Skulptur. […] Ettl wuchs in der religiösen, barocken Bilderwelt Bayerns auf und lernte später, sich in einer profanierten, kommerzialisierten zuhause zu fühlen, die weltweit unsere Gegenwart bestimmt und für die Amerika als Heimat herhalten muß. Beide Elemente bleiben in seinen Arbeiten durchgängig spürbar. Gerade seine Affinität zum Barocken erklärt seine Beharrlichkeit in der handwerklichen Perfektion, die bis zur Virtuosität reicht, seinen Hang zum Illusionistischen, in dem sich nicht nur Schein und Sein, sondern auch unterschiedliche Realitäts‑, doch im Verein damit auch Wertebenen überlagern und vermischen. Ettl entlockt den Dingen eine gewisse Irrealität; allerdings nicht um den Preis der Rationalität.“8

Museum Mönchengladbach, Schreiben an Presseamt, 12.1.1978, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Schreiben an Presseamt, 12.1.1978, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg
Museum Mönchengladbach, Schreiben an Presseamt, 12.1.1978, masch., Du., Archiv Museum Abteiberg

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung (zugleich Text im Kassettenkatalog)

Wir zeigen eine Ausstellung, die sicherlich manchen, wenn nicht sogar viele betroffen macht. Betroffen – so meine ich – im Sinne der Ratlosigkeit. Wir haben uns ja im Schubladen-Denken mehr oder weniger häuslich eingerichtet. Das sage ich ohne jeden negativen Unterton. Denn je nach Bedarf Schubladen auf- oder zuzuziehen, ist ja nicht etwa nur bequem sondern auch nützlich. Wie sollten wir uns anders als über vereinbarte Begriffe – und seien sie des Charakters von Schlagworten – verständigen. Benutzen wir Bezeichnungen wie „Gotik“, „Renaissance“ oder „Romantik“, denken wir kaum noch darüber nach, dass wir zur Schublade greifen. Bemühen wir Worte wie „Tachismus“, „Pop Art“, „Hard Edge“, „Minimal“ oder „Conceptual Art“, wehrt sich jedoch in uns etwas dagegen, eine individuelle künstlerische Leistung über den Leisten nivellierender Kategorisierung zu schlagen. Doch wenn sich eine solche Leistung ganz offensichtlich als für die bestehenden Schubladen zu sperrig erweist, stehen wir ratlos da. Eine merkwürdige Feststellung, die zu treffen den „Profi“ – wozu ich mich zählen muss – in eine gewisse Verlegenheit bringt - wie andererseits den wissbegierigen Laien enttäuscht. Denn wenn es nichts „schwarz auf weiß“ zu besitzen und nach Hause zu tragen gibt, woran soll man sich noch halten?

Ich gestehe, dass ich Ihnen keine Schublade anbieten kann, in die sich die Arbeiten von Georg Ettl abordnen ließen. Auch dann nicht, wenn man sie etwas presst und knetet. Ich weiß eben auch keinen Rat. Und daraus gründet – wenigstens zu einem großen Teil – meine Betroffenheit, die nun auch manchen oder gar vielen von Ihnen ebenfalls zu unterstellen sicherlich nicht abwegig ist. Allerdings ohne mich an dem Unterschied vorbeidrücken zu können oder zu wollen, dass ich meinerseits immer eine Erklärung schuldig bin. Denn schließlich schneite sich diese Ausstellung nicht aus heiterem Himmel hier in dieses Haus einfach so hinein. Im Gegenteil, der Entschluss dazu reifte langsam über einige Jahre hinweg.

Im Gegensatz zur sonst löblichen, kunstkritischen Gepflogenheit, möglichst nicht oder doch möglichst wenig am Kunstwerk und an der Kunst vorbeizureden, will ich zu einer Rahmengeschichte greifen. Es ist einige Jahre her – so in meiner vagen Erinnerung, die sich mit Hilfe des Künstlers vor kurzem auf November 1973 hin präzisieren ließ – es ist also einige Jahre her, dass ein junger Mann Namens Georg Ettl hier im Haus erschien und mir erklärte, aus Amerika nach Deutschland zurückgewandert zu sein und sich in Kleinenbroich niedergelassen zu haben. Er lud mich ein, seine Arbeiten mal anzusehen, was ich, wie oft – um nicht zu sagen meist – in solchen Fällen ablehnen muss, weil ich sonst praktisch nur unterwegs und – wie die Erfahrung lehrt – zu oft ohne Gewinn (für alle Beteiligten) unterwegs wäre. Ich versuche jetzt nicht zu rekonstruieren, wie häufig sich der Ettl-Besuch wiederholte. Das mag noch einmal oder zweimal in längeren Zeitabständen gewesen sein. Eines Tages jedenfalls kündigte er an, einen Freund gefunden zu haben, der bereit sei, mit seinem Auto einige Arbeiten hier ins Haus zu transportieren. Zum vereinbarten Termin trafen die Dinge ein. Aus bemerkenswert sorgfältiger Kistenverpackung wurden sie entblättert und hier unten im Saal ausgebreitet. Es waren höchstens acht Stücke. Ich stand recht unbeholfen vor ihnen, äußerte das auch, und der Künstler zog - ohne erkennbare Verwunderung darüber - mit seinen Sachen wieder ab.

Bei mir war aber doch ein Stachel stecken geblieben, und sei es nur der, kein Urteil gefunden, keine Einordnungsmöglichkeit gesehen zu haben. Es dauerte wieder längere Zeit, bis mich der Künstler erneut zu einem Atelierbesuch einlud. Er war inzwischen nach Dülken umgesiedelt. Ich schaute also mal rein, wurde jedoch nicht klüger, aber neugieriger, so dass es in Abständen noch zu weiteren Besuchen kam. Bis sich dann im Frühjahr dieses Jahres bei der Ausstellungsplanung für den Herbst und Winter die Möglichkeit abzeichnete und das Bedürfnis aufdrängte, die eigene Neugier und besagten Stachel weiterzuvermitteln. Das soll mit dieser Ausstellung geschehen. Ohne jedoch einem sadistischen Vergnügen nachzugehen; vielleicht eher einer Lockerungsübung. Denn die ansonsten so nützlichen Schubladen engen uns auch ein und machen uns unbeweglich, vielleicht sogar blind.

Neugier haben wir schon des öfteren hier im Haus befriedigen können, und zwar immer dann, wenn eine bestimmte künstlerische Einzelleistung oder eine bestimmte neue Richtung allgemein im Gespräch war oder in der Luft lag. Im Falle Ettl gilt es nicht, Neugier zu befriedigen, sondern Neugier zu wecken. Denn Ettl ist nicht im Gespräch. Was er macht, liegt nicht als neue Richtung in der Luft. Es zeichnet sich nicht einmal eine Chance ab, dass daraus ein Ismus oder eine Soundso-Art werden könnte mit Kombattanten und dem Heer der Epigonen im Nachhinein. Wenn und soweit hier eine Leistung vorliegt, steht sie vereinzelt da, obgleich nicht beziehungslos.

Beziehungen und Reminiszenzen drängen sich sogar zuhauf auf. Ich will einige nennen: Da wäre zunächst die Minimal Art und am Rande das, was man Hard Edge genannt hat, Künste, die sich einfacher geometrischer Grundformen bedienen, die die scharfen Kanten und rechten Winkel gewissenhaft und sorgfältig pflegen und die – wie immer man es dreht und wendet – auf eine Ahnenkette zurückblicken, die im Konstruktivismus um 1920 ihren Ursprung hat. Auch Ettl pflegt mit Sorgfalt den rechten Winkel und die scharfe Abgrenzung. Vor allem seine Arbeiten, die in Amerika entstanden, rücken in den Umkreis der Boxen und geometrischen Körper, die wir mit Namen wie Donald Judd oder Richard Artschwager, eventuell auch Robert Morris oder gar Carl Andre verbinden. Da wäre des Weiteren der Nouveau Réalisme zu nennen. Sucht man nach seinen Ahnen, führt der Weg in den Dadaismus der 1920er Jahre zurück; sucht man sein Umfeld, landet man an den äußersten Rändern bei einer nachgeborenen Objekt-Kunst mit Materialien, die sich auf der Schneide zum Kitsch dem Reich des Fantastischen zu bewegen. Namen wie Curt Stenvert oder Bernard Schultze und Michael Buthe deuten an – ohne dass ich hier irgendetwas gleichsetzen will –‚ was ich meine. Wie der Nouveau Réalisme solche Erscheinungen im Gefolge hatte, so dessen Urahne, der Dadaismus den Surrealismus. Es scheint eine zwangsläufige Symbiose. Sie stellt sich gefühlsmäßig auch bei Ettl ein. Die Federn und glitzernden Steinchen, die nahezu penetranten Resopale sind gleichzeitig im Realen wie Surrealen angesiedelt, im Konkreten wie im Fantastischen.

Zu nennen wäre schließlich auch die Pop Art, eine Kunst, deren in die Augen springendes Kriterium sich im Zugriff auf die Welt des Trivialen charakterisiert. Da sind die Campbell Soup-Büchsen des Andy Warhol, seine Portraits der Sterne des Showgeschäfts, seine elektrischen Stühle und anderes, von den Fotos auf den Titelseiten der Boulevard-Blätter Reproduziertes, oder auch seine klischeehaften Blumenbilder. Da sind die Comics und Cartoons des Roy Lichtenstein, die bis zur Überdrüssigkeit durchgespielten Pinup-Girl-Beine des Allen Jones, die Zahlen und Embleme des Robert Indiana oder die aus Werbeanzeigen entlehnten VW-Kühlerhauben und Strand-Details des Tom Wesselmann. Und im Gefolge solcher Pop Art übte sich der Hyperrealismus in der Sterilität fotographischerAufnahmen. Auch bei Ettl gibt es den Zugriff auf das Triviale, auf die zum Klischee gewordenen, Normalmaße angenommen habenden Palmen, Pudel, Flamingos, Zypressen, Pferdeköpfe, Blumen und Portraits der Nofretete. Und sie sind auch zur Sterilität erstarrt.

Trotz der genannten Beziehungen und Reminiszenzen, deren Auflistung sich noch ausweiten ließe, braucht es nicht besonderer Beteuerung, dass die Arbeiten von Ettl auch wiederum nichts damit zu tun haben – zumindest nicht der Intention nach. Es ist offensichtlich. Mit der Pop Art verbindet ihn nicht der positive Entwurf und Zugriff, die in Kunst umgeschlagene Identität des Trivialen. Seine zu Emblemen erstarrten Übernahmen des Trivialen und des zum Trivialen Herabgesunkenen – von den Pferdeköpfen bis zur Nofretete – gehen nicht auf Nähe, sondern auf Distanz. Sie sind Objekte kühler Kalkulation und auch so eingesetzt. Mit den Minimalisten teilt Ettl nicht die mathematische Gläubigkeit, die geometrische Körper oder auch Balken, Eisenträger und Stahlplatten in die Wertigkeit monumentaler Skulpturen hinein steigert und verwandelt. Seine Kuben und anderen geometrischen Gebilde verharren mit eigensinniger, ja nahezu bösartiger Konstanz in der inneren – wenn man so sagen darf, geistigen – Dimension von Anbauküchen. Und schließlich tut sich auch nichts in den Arbeiten von Ettl, was mit der Schönheit, ja manchmal brutalen Schönheit des Nouveau Réalisme zu tun hätte, die dort sozusagen „aus den Ruinen“ blüht. Nicht einmal teilt er mit den Material-Fantasten ihren Tausend-und-eine-Nacht-Zauber, ihre Welt des Glimmers, wenn er seinen glitzernden Steinsplitt streuselt oder seine Truthahn-Federn klebt. Sie zielen nicht auf Hasch-Illusionen, nicht auf einen Trip, sie provozieren Nüchternheit. Und mit dem, was jüngst im Gerede ist – und ich meine das Wort „Gerede“ nicht abwertend – und auf das sich so manche Hoffnung bei zunehmender Akademisierung der Conceptual Art richtet, ich meine die neue Malerei, haben die Arbeiten von Ettl erst recht nichts zu tun. Hier läutet sich weder Zukunft noch Wiedergeburt des Malerischen ein, hier bricht sich nicht zeitweise verschüttet geglaubte Vitalität und Spontaneität Bahn, hier erlaubt sich auch nicht das naive Recht auf Malen-dürfen (naiv, verstanden im Wortsinne von angeboren) eine öffentliche Plattform. Hier besteht offensichtlich nichts auf etwas, hier drängt nichts zu etwas, hier scheint eher etwas zu resignieren.

Resignieren allerdings nicht in der Spielart des Nichtstuns, eher in Form eines geschärften Beobachtens, ja Lauerns. Das Wort „Ironie“ drängt sich auf, dem das andere, „Persiflage“, benachbart liegt. Ettl ist in der Kunstszene so gut wie unbekannt. Er spricht kaum über seine Arbeiten und Absichten. Doch er kennt die Kunstszene gut, sehr gut sogar. Als ich ihn im Zuge der Katalogvorbereitungen vor ein paar Wochen um einige biographische Unterlagen bat, zeigte er mir zum Beispiel den Katalog einer Ausstellung in Detroit aus 1970, in dem er u.a. mit Andre, Flavin, Bollinger, De Maria, Haacke, Heizer, Paik, Sandback und Tuttle firmierte. Er weiß, um welche Fragen es geht und welche Antworten angeboten werden. Und diese Kenntnis befähigt ihn, zwischen den Zeilen zu lesen und den schmalen Grat der Ironie zu riskieren. Ein sicherlich gefährlicher Pfad, von dem ich nicht weiß, ob er überhaupt trägt. Aber der Mut, die Geschicklichkeit und die Ausdauer faszinieren.

Ettl attackiert und irritiert unsere Sehgewohnheiten. Und zwar besonders unsere jüngsten. Den rechten Winkel der Minimalisten knickt er um eine kaum merkliche Spur ab, ihrer puristischen Fläche pflanzt er Federn in ebenso puristischer Attitüde ein und der monumentalen Ambition des Betons die Plattitüde „Flamingo“ als Bas-Relief. Er spart nicht mit Gemeinheit. Sie reicht von geleckter handwerklicher Sauberkeit und brillierender Korrektheit bis zur Frechheit, das bei gutem Geschmack Unvereinbare an einen Tisch zu setzen: zum Beispiel die „Würde“, die symbolhafte wie materiale Wertigkeit echten Goldes, mit der in jeder Hinsicht auf die Lüge heruntergekommenen, Holz oder Marmor imitierenden, nichtswürdigen Resopalplatte oder die Verspieltheit eines Pudels mit der „rauen Wirklichkeit“ des Betons. Er setzt Kitsch und Kunst unhierarchisch und ranglos an einen Tisch, wo er sie eine Konversation beginnen lässt, die surrealistische Züge trägt.

Auf den Bildern von Ettl und auf vielen seiner Skulpturen sind Gegenstände zu sehen, die etwas zu erzählen scheinen, insbesondere aus ihrer eigenen Form- und auch Kulturgeschichte. Zudem sind die Gegenstände leicht benennbar, so dass man über sie reden kann. Und schließlich versagt die Sprache insgesamt nicht vor diesen Arbeiten, wie es bei absolut gegenstandsloser Kunst im Grunde der Fall ist. Dennoch scheinen mir die Arbeiten von Ettl zutiefst unliterarisch. Auch dies gehört auf die Liste der Widersprüche, an denen dieses Schaffen reich und auf die es offensichtlich auch wohl aus ist.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
GEORG ETTL, 8.12.1977–15.1.1978

Schachtel aus weißem Chromolux-Karton, schwarzer Aufdruck auf der Seite, geklammert, 20,2 × 16 × 2,7 cm 

Inhalt: Typoskript, 6 Karten, 4 Doppelkarten, Leporello, Ausstellungsheft

Typoskript der Eröffnungsrede von J. Cladders, 4 S.
Karte mit Titel, verso Impressum
10 Farbtafeln, gold auf weiß, gedruckt auf 5 Einzelkarten, 4 Doppelkarten und 1 Leporello
Heft Ausstellungsverzeichnis“, mit vom Künstler gezeichnetem Werkkatalog, auf der letzten Seite: Biografie und Angaben zu Ausstellungen, 8 S. 

Auflage: 330 nummerierte Exemplare 

Herstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach 

Preis in der Ausstellung: 10 DM

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Verzeichnis der ausgestellten Werke

Das Verzeichnis folgt den Angaben im Kassettenkatalog.

1 Vierteiliges Relief, 1972 (Detroit, USA), Steinsplitt, je Tafel 81,5 x 59,7 x 2 cm, Sammlung Mr. und Mrs. G. Silverman

2 Fleischfarbenes Objekt mit weißen Federn, 1973 (Detroit, USA), Acrylglas und Truthahnfedern, 47,5 x 60,5 x 36 cm

3 Horizontales Objekt mit Steinen, 1973 (Detroit, USA), Acrylglas und Schwefelkies, 56 x 58 x 32,5 cm

4 Vertikales Objekt mit Steinen, 1973 (Detroit, USA), Arcrylglas und Schwefelkies, 66 x 53,5 x 26 cm

5 Goldgeflecktes Resopal und weiße Federn, 1973 (Detroit, USA), Resopal und Truthahnfedern, 53 x 64 x 44 cm

6 Kelch, 1973 (Detroit, USA), Acrylglas und Quarz, 62,5 x 43 x 35 cm

7 Rundes Federnobjekt (Detroit, USA), Acrylglas und Truthahnfedern, 73 cm Æ x 12 cm

8 Skulptur mit Knochen, 1974, Beton und Stierknochen, 24,5 x 103 x 60 cm

9 Skulptur mit glattem Vorhang, 1974, Beton und Taft, 57,5 x 63 x 29 cm

10 Skulptur mit Vorhang, 1974, Beton und Taft, 57,5 x 63 x 29 cm

11 Skulptur mit Stab, 1974, Beton und Stahl, 57,5 x 63 x 29 cm

12 Skulptur mit Beton-Vorhang, 1974/75, Beton, 57,5, 63 x 29 cm

13 Flamingos, 1975, Beton, 60 x 52 x 25 cm

14 Marabus, 1975, Beton, 52,5 x 48 cm Æ

15 Palmen, 1975, Beton, 57,5 x 55 x 37 cm

16 Landschaft, 1976, Beton, 51 x 63 x 29 cm

17 Pudel, 1976, Beton und Blattgold, 42 x 50 x 40,5 cm

18 Vierteilige Plastik mit Nofretete, Pferd, Haus und Geweih, 1976, Beton, je Teil 65 x 54 x 16 cm

19 Diptychon mit Haus, Baum und Zaun, 1976, Resopal (helle Kieferimitation) und Blattgold, je Tafel 121,5 x 250 cm

20 Diptychon mit Haus und Nofretete, 1977, Resopal (helle Kieferimitation) und Blattgold, je Tafel 110 x 95 x 9 cm

21 Diptychon mit Pferdeköpfen und Blumen, 1977, Resopal (helle Kieferimitation) und Blattgold, je Tafel 121,5 x 250 x 10,5 cm

22 Diptychon mit sechs Pferdeköpfen, 1977, Resopal (Marmorimitation) und Blattgold, je Tafel 121,5 x 250 x 11 cm

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Ausstellung Georg Ettl, in: Rheinische Post, 6.12.1977

Berichte / Rezensionen / Kommentare

Amine Haase, Georg Ettl stellt in Mönchengladbach aus. Ein goldener Pudel und Nofretete, in: Rheinische Post, 17.12.1977
CJ [Claudia Junkers], Goldene Pferdeköpfe. Arbeiten von Georg Ettl in Mönchengladbach, in: Westdeutsche Zeitung, 17.12.1977
Wolfgang Stauch von Quitzow, Ettl in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, 21. Jg., Nr. 1, Januar 1978