DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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Eine Malerei-Ausstellung mit Malern,
die die Malerei in Frage stellen könnten

Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten. Daniel Buren, Alan Charlton, Giorgio Griffa, Bernd Lohaus, Brice Marden, Agnes Martin, Palermo, Robert Ryman, Niele Toroni Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten, Museum Mönchengladbach 1973, Raum IX: Werke von Bernd Lohaus, Foto: Unbekannt, Archiv Museum Abteiberg, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarten Eine Malerei Ausstellung mit Malern die die Malerei in Frage stellen könnten (Vorderseite), 1973

Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten.

Daniel Buren, Alan Charlton, Giorgio Griffa, Bernd Lohaus, Brice Marden, Agnes Martin, Palermo, Robert Ryman, Niele Toroni, 15.11. – 23.12.1973

Treppenhaus, EG/ Hochparterre und 1OG

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert

Was ist nun Malerei?1(René Denizot)

Konzeption der Ausstellung von den französischen Kunstkritikern und Kuratoren Michel Claura und René Denizot, die ihre zuvor in Paris gezeigte Schau konzeptueller und minimalistischer Malerei für das Museum Mönchengladbach adaptiert hatten und hier teils neue Werke präsentierten. 

Bei der vergleichsweise kurzfristigen Suche nach geeigneten Arbeiten nutzten Claura/​Denizot ihr internationales Netzwerk. So wurde der New Yorker Kritiker Douglas Crimp zu Agnes Martin kontaktiert: The first problem will again be to find Agnes Martin´s paintings in Europe. If you have any idea about that, please let us know. We thought that it might be a good idea to have, apart from the catalogue but on the occasion of the exhibition, a publication including texts by the participating artists. If you think there would be anything available from Agnes Martin, please let me now.“2Agnes Martins Gemälde The Garden, 1964, wurde letztlich von Hans Mayer (Galerie Denise René – Hans Mayer, Düsseldorf) für die Ausstellung entliehen. 

Der Düsseldorfer Galerist Konrad Fischer war offensichtlich in besonderer Weise behilflich. Ihm schrieb Michel Claura am 3. Oktober 1973: Dear Konrad, I am sorry I could not see you last week while I was in your city. Next time, soon, I hope. […] Our problem will be, as last time, to borrow paintings of Ryman, Marden and Agnes Martin. Especially for the two first ones, I trust you could be of great assistance to us, either in lending pieces you possess to the Museum, or in trying to get them from their current owners. Sorry to bother you with that, but I would most appreciate your help.”3

Aus der Krefelder Sammlung Dr. Wolfgang Hock, der zu Fischers Kunden zählte, kamen sieben Arbeiten US-amerikanischer Maler nach Mönchengladbach: drei Werke von Brice Marden, vier von Robert Ryman. Eine weiteres Werk Rymans stellte Konrad Fischer selbst als Leihgeber zur Verfügung. 

Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten, Museum Mönchengladbach 1973, Treppenhaus: Daniel Buren, Peinture/ Sculpture suspendue, 1973, Foto: Unbekannt, Archiv Museum Abteiberg, VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten, Museum Mönchengladbach 1973, Treppenhaus: Daniel Buren, Peinture/ Sculpture suspendue, 1973, Foto: Unbekannt, Archiv Museum Abteiberg, VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten, Museum Mönchengladbach 1973, Treppenhaus: Daniel Buren, Peinture/ Sculpture suspendue, 1973, Foto: Unbekannt, Archiv Museum Abteiberg, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Presse

Georg F. Schwarzbauer in der Frankfurter Rundschau zur Ausstellung, zu der im übrigen auch Johannes Cladders´ Eröffnungsrede wesentliche Informationen vermittelt: Mit dem fast poetisch klingenden Titel Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten‘, beschließt das städtische Museum Mönchengladbach seine diesjährigen Veranstaltungen. Hat man noch in Düsseldorf, anläßlich von Prospect‘, bei den Presseaussendungen beteuert, daß die Situation von einem man malt wieder‘ Standpunkt aus zu beurteilen sei, so wird nun der berechtigte Zweifel in den Vordergrund gerückt. […] Was jenen neun Malern, die in Mönchengladbach gezeigt werden, gemeinsam ist, läßt sich auf eine einfache Formel bringen. Sie reduzieren den malerischen Vortrag auf ein Minimum, stellen den Betrachter bewußt vor das Problem ihrer Schlichtsprache und evozieren gerade durch die spärlichen optischen Anhaltspunkte eine Erweiterung der Erfahrungswerte. […] Palermos spärliche Raumzeichen, Alan Charltons wörtlich genommene Bild-im-Bild-Kompositionen und die nur flüchtig angelehnten Bildwände von Bernd Lohaus intensivieren den Blick. Sie veranlassen genaueres Hinsehen, das bei Agnes Martin zu einer Aufschlüsselung detaillierter Einzelbeobachtungen führt. Das scheinbar Gleiche einer beinahe homogenen Bildstruktur entdeckt sich als eine Fülle von immer neuen Konstellationsmöglichkeiten.4

Wolfgang Stauch-von Quitzow schreibt in seinem Artikel Malerei mit Fragezeichen in Mönchengladbach“ in Neues Rheinland: „‚Ohne Titel‘ heißen zu Recht die Weißquadrate von Robert Ryman aus New York, die im Gladbacher Museum zudem noch an weißen Wänden angebracht sind. Helleres oder dunkel getöntes Grau ist in dieser Präsentation von Minimal‘-Malerei en vogue. Bernd Lohaus etwa lehnt seine Farbwände an die Raumwände an. Er setzt das Hellgrau an den Seiten mit Schwarz oder Weiß ab. Alan Charlton aus London unterbricht seine grauen Farbflächen und schafft dadurch Rahmenbilder‘. Dem Auge sollen dadurch Fixpunkte geschaffen werden, wodurch sich allerdings wieder Konzessionen an die Vergangenheit einer ruhmreichen Malgeschichte einschleichen könnten. Doch es ja auch nur von könnten‘ bei der In-Frage-Stellung von Malerei die Rede. Niele Toroni respektiert diesen Konjunktiv und kehrt mit seinen Pinselabdrücken‘ in Grün, Blau und Rostrot zu den Ausgangspunkten malerischer Tätigkeit zurück.“5

Und Werner Lippert hält in der Rheinischen Post fest: Bernd Lohaus stellt seine Bilder schräg an die Wand gelehnt auf, führt sie mit Farbe auf der Wand, auf dem Boden weiter aus. Sein Bildträger ist nicht mehr durch die Leinwand allein bestimmt, setzt sich fort, dehnt sich in einen im Grunde unbestimmten Raum aus und verweist darin schon auf die Arbeiten Daniel Burens.“6

Daniel Buren machte in der Ausstellung eine besonders markante Setzung. Seine 13 Meter lange und 2,80 Meter breite weiß/​braun gestreifte Stoffbahn mit gemalten weißen Streifen an beiden Rändern war an der Oberlichtdecke im 2. OG befestigt und hing durch das gesamte Treppenhaus bis in den Eingangsbereich hinab. Peinture / Sculpture suspendue, so der heutige Titel der Arbeit7, verweist besonders anschaulich auf das offene Format der Ausstellung: Was ist nun Malerei?8 (René Denizot)

Probleme der Rekonstruktion

Aufgrund inkonsistenter Dokumente und fragmentarischer Listen im Archiv des Museum Abteiberg lassen sich Anzahl und Titel aller Werke nicht mehr genau benennen. Vermutlich waren 21 Arbeiten ausgestellt. Die Versicherungslisten (6.11.1973) zählen neben den schon erwähnten Werken Brice Mardens und Robert Rymans drei Bilder von Alan Charlton, drei von Bernd Lohaus, zwei Werke von Giorgio Griffa und drei weitere von Niele Toroni auf. Agnes Martin – von der ausschließlich The Garden gezeigt wurde – und Palermo finden hier allerdings keine Erwähnung (?). Auch wenn von Palermo offenbar nur eine Arbeit ausgestellt wurde9, standen vorher mehrere Werke zur Diskussion. Das macht das Schreiben von Michael Claura deutlich, der am 3. Oktober 1973 schreibt: Dear Palermo, […] In order to choose the pieces you will present, it might be more practical for you to deal directly with Dr. Cladders. Incidentally, it happens that I am still in possession of the pieces you showed in Paris.”10

St.-v.Qu., Malerei mit Fragezeichen in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, Nr.1/74
St.-v.Qu., Malerei mit Fragezeichen in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, Nr.1/74
St.-v.Qu., Malerei mit Fragezeichen in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, Nr.1/74

Räume

Zur Verteilung und Anordnung der Werke in den Räumen lässt sich anhand der – im Archiv des Museum Abteiberg vorhandenen Fotos – bisher folgendes feststellen: Bis auf Brice Marden und Palermo, die sich offenbar Raum VII im 1. OG teilten, wurde jedem Künstler ein eigener Raum zugeordnet. 

Treppenhaus: Daniel Buren [Peinture / Sculpture suspendue], 1300280 cm]
EG, III: Niele Toroni
EG, II (Gartensaal): Giorgio Griffa
1.OG, Flur (V) : Agnes Martin
1. OG, VI: Robert Ryman
1. OG, VII: Brice Marden, Palermo
1. OG, VIII: Alan Charlton
1. OG, IX: Bernd Lohaus

Katalog

Zur Ausstellung erschien ein Katalog, den die Einladungskarte wie folgt ankündigt: Die Ausstellung wird begleitet von einem Katalog im Format 29,521 cm, 42 Seiten, 28 Abbildungen. Zusammengestellt von M. Claura und R. Denizot. Deutsche Ausgabe 400 Exemplare. Preis DM 5,00. An unsere Abonnenten: Es handelt sich nicht um einen Kassetten-Katalog. Falls Sie daher die Zusendung nicht wünschen, erbitten wir Nachricht bis zum 24. November 1973. Der Versand erfolgt am 26. November.“

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Die Ausstellung, die wir hier zeigen, ihre Idee, ihr Konzept und die Auswahl der Künstler stammen von Michel Claura und Rene Denizot in Paris. Vom 29. Mai bis zum 23. Juni veranstalteten sie in Paris, 16 Place Vendôme, in eigens dazu angemieteten Räumen in einem Privathaus ein gleiches Unternehmen wie unsere Ausstellung. Allerdings mit zum Teil anderen Exponaten, doch mit den gleichen Künstlern.

Wir haben die Idee übernommen, die Auswahl der Künstler und auch den Titel „Une exposition de peinture reunissant certains peintres qui mettraient la peinture en question“. Allerdings in der Übersetzung: Eine Malerei-Ausstellung mit Malern, die die Malerei in Frage stellen könnten. Die Übersetzung hat uns einiges Kopfzerbrechen bereitet. Zwischen einer wortwörtlichen Überführung ins Deutsche bis zu der knappen und sehr freien Interpretation „Maler befragen die Malerei“ schwankten unsere Versuche. Was blieb, ist die Ihnen vorliegende Version, die weder wörtlich noch frei ist, die das Holprige für die deutsche Zunge zu mildern suchte, es aber auch in Kauf nahm.

Doch auf die Formulierung sollte es nicht ankommen. Wohl aber auf den Sinn, auf das Anliegen, das in der Pariser Schau angeklungen war. Nach der Objekt-Kunst eines Nouveau Réalisme‚ nach der Öffnung des Kunstwerks zur künstlerischen Aktion im Happening und in der Fluxus-Bewegung und mitten im Aufbruch der Conceptual Art, der Kunst reiner Idee, war der Ruf nach der Malerei, nach dem Bild unüberhörbar geworden. Man wollte offensichtlich wieder etwas „Solides“ an der Wand hängen haben, etwas Brauchbares, etwas, das sich leichter konsumieren ließ, dessen Konsum nicht zugleich auch ein Missbrauch war. Man wollte eben guten Gewissens etwas an der Wand hängen haben, etwas, das sich dem eigenen Postulat unterwarf, aber dennoch Ausfluss einer Unabhängigkeit sein sollte, die die Kunst adelt.

Es schien gefunden im Super-Realismus oder Foto-Realismus. Es war endlich wieder ganz „Bild“ und doch so „avantgardistisch“, dass sich die documenta 5 seiner sofort annahm. Und danach noch so manches andere Unternehmen. Es war chic, wieder „Bild“ zu tragen – oder ist es noch. Und auch das, was an anderer Malerei existierte, wurde freudig oder bedenkenlos in den Sog des Aufatmens einbezogen. Die Malerei war endlich wieder durch – ist endlich wieder durch!

Es soll hier nicht über den Super-Realismus, seine Begleiterscheinungen oder über das, was völlig anders ist, doch im Zuge seines Trends einfach mit vereinnahmt wurde, gehandelt werden. Nicht über seine Berechtigung und seine Qualitäten und erst recht nicht über das, was als Feigenblatt der Liberalität und Großzügigkeit gleichzeitig mit in ein allgemeines Bewusstsein gehoben wurde. Was mit dem gesamten Trend zugleich aber an die Oberfläche gespült wurde, war die Frage nach der Malerei schlechthin. Sie jedoch blieb ohne Antwort, zumindest ohne kritische, das heißt jenseits von Opportunität und Trendbezogenheit liegend.

Der Ansatz: der Pariser Ausstellung mag zwar in deren allgemeinen Trend gelegen haben, wenn nicht, so war er doch eine Entgegnung darauf. Und zwar eine kritische. Denn sie erhob die Malerei schlechthin zur Frage, zur essentiellen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, auf welche Maler sie sich stützte. Die Auswahl entbehrt sicherlich nicht der Subjektivität ihrer Initiatoren Michel Claura und Rene Denizot. Entscheidender aber ist die Frage selbst. Sie lässt sich durchaus an den gewählten Beispielen exemplifizieren. Ich übernahm daher gern diese Auswahl, weil ich das Konzept als die Situation erhellend fand.

In dieser Ausstellung sehen Sie keinen Photo-Realismus, noch irgendwelche Derivate oder Vereinnahmungen. Sie sehen nur Arbeiten, auf die zutreffen könnte, dass in ihnen die Frage nach der Malerei selbst zur Frage geworden oder zur Frage gestellt ist. Ich will versuchen, im Rahmen der einer solchen Eröffnungseinführung gebotenen Kürze, Ihnen einige Hinweise zu geben.

Allen Arbeiten gemeinsam erscheint mir, dass sie den Träger der Malerei in das Werk einbeziehen. Sie lassen sehen, dass auf etwas gemalt ist. Mehr noch: in einigen Stücken wird deutlich, dass nicht nur auf etwas – im Sinne eines Materials – gemalt ist, sondern auch im Sinne einer Umgebung als eines zum Teil materialen und zum Teil auch ideellen Trägers. Obwohl die Gemeinsamkeiten lediglich über das „Nur“ des Trägers in den Blick zu treten scheinen, manifestiert sich gerade hier der Ansatzpunkt der Fragestellung dieser Ausstellung als Spiegelbild der Frage nach der Malerei, die gleichzeitig die Frage der Malerei selbst und ihrer eigenen Infragestellung ist. Die Arbeiten lassen sehen, dass auf etwas gemalt ist: Sie kaschieren nicht den Träger der Malerei. Sie beziehen ihn ein oder streichen ihn sogar heraus.

Bei Agnes Martin handelt es sich zwar dem Augenschein nach um eine hergebrachte Bildform, die darüber wegtäuschen mag, dass sich diese Malerei auf der nackten Leinwand befindet; aber sie befindet sich eben doch auf dieser bloßen Leinwand. Und zwar als Malerei, als im Prinzip in ebenso hergebrachter Weise wie sie die Bildform zunächst signalisiert. Aber eben zwischen dem Augenschein und dem Tatsächlichen leuchtet das Problem, die Fragestellung auf.

Brice Marden deckt den Malerei-Träger sogar so dicht mit einer Wachs-Farbschichtung zu, dass schon allein dieses Beschichten auf einen Träger, der beschichtet und damit offensichtlich – im Sinne von bewusst – mitgedacht wird, schließen lässt. Doch scheint mir das Problem noch deutlicher und erkennbarer aufzuleuchten in dem Umstand, dass jede Farbe, die hier gleichzusetzen ist mit der Farbfläche, ihren eigenen Träger besitzt. Jede Farbe, beziehungsweise Farbfläche, ist auf einen eigenen Keilrahmen gespannt. Die Malerei – sprich das Bild – komponiert sich also nicht nur aus Farbflächen, sondern gleichzeitig auch aus den Trägern der Farbe, indem die separaten Farben auf ihren ebenso separaten Trägern zum Bild zusammenmontiert werden. Die einzelnen Keilrahmen sind zusammengeschraubt, die Stoßstellen der jeweils separat aufgespannten Leinwände sind auf der Sichtseite des bemalten Trägers erkennbar und konstituieren nicht nur das Bild mit, sondern auch die Fragestellung.

Toroni visualisiert die Frage, indem er eine stereotype Grammatik von punktartigen Farbsetzungen auf verschiedenartige Träger aufbringt. In dieser Ausstellung sind es Papier, Leinwand und Kunststoff. Die Farben sind verschieden, die Träger sind verschieden, die Formate der Träger sind verschieden im gegebenen und hier zu benennenden Beispiel. Das kann, doch das muss nicht unbedingt alles zugleich sein. Wichtig ist jedoch, dass in allen diesen möglichen – und eben auch jeweils nur zum Teil realisierten – Alternativen der Träger der Malerei mit in die Malerei hineinprojiziert wird.

Auch bei Palermo, von dem wir hier im Frühjahr schon eine Einzelausstellung sahen, ist die Bedeutung des Trägers seiner Malereien unverkennbar. Die Trägerflächen sind entweder „zugestrichen“ und verraten sich so als Träger, oder sie sind auseinandergerissen – stehen einzeln für sich – und geben sich auf diese Weise als Träger preis. Im letzten Fall sind die Flächen weniger „zugestrichen“ zugunsten der Eigenständigkeit und Dinghaftigkeit des Trägers, was auch dem Künstler die Bezeichnung „Objekt“ für solche Arbeiten in den Mund legte.

Eine solche Bezeichnung könnte auch – unter Ausklammerung allerdings des Materials, auf dem die Malerei stattfindet – auf die Arbeiten von Griffa zutreffen. Das Material ist das konventionelle eines Bildes, nämlich ein textiles.Doch da es nicht gespannt ist, drängt sich die Trägerschaft der Malerei so in den Vordergrund, dass ihre betonte Materialität das Wort „Objekt“ nahelegt. Die Fragestellung äußert sich zusätzlich noch in der Art der Bemalung selbst. Die jeweils benutzten Struktur- oder Formelemente bleiben in ihrer Wiederholung unvollendet. Die Linien und Reihungen reißen ab. So entsteht ein Flächenrest, ein Rest, der den Träger hervorkehrt, auf dem gemalt ist. Das Ganze ist vergleichbar einem unvollendeten Brief, bei dessen Anblick einem bewusster wird, dass man auf etwas schreibt, nämlich auf Papier.

Charlton verlegt den Rahmen, der aus Tradition so wesentlich zum Bild gehört, dass er es nahezu mit konstituiert, in die Malerei selbst. Und zwar in Form einer Aussparung, die für den Rahmen gehalten werden könnte. Jenseits dieser Aussparung setzt sich die Malerei noch ein Stück fort. Die Malerei, und damit ihr Träger wird durch den Kunstgriff des im Bild gelegenen, ausgesparten Rahmens erst bewusst.

Das Hinauswachsen der Malerei über ihre eigentliche Begrenzung, wie wir sie bei Charlton in der ihm spezifischen Weise sehen, erweitert sich bei Bob Ryman zur optischen Besitznahme der ganzen Wand. Die gemalte Fläche differiert farblich kaum von einer vorgegebenen Wandfläche. Die Malerei, obwohl sie nicht auf der Wand ist, befindet sich dennoch auf ihr in dem Sinne, dass sie sie als Träger mitdenkt. Die Trägerschaft der Malerei ist hier auf die Umgebung des eigentlich Gemalten ideell ausgedehnt. Die Malerei geschah zwar auf einem speziellen Träger, doch – im Beispiel der kleinen Stücke in unserer Ausstellung – zugleich auch schon auf der Wand, wovon die Stellen Zeugnis geben, die ohne Farbe blieben, weil hier der Klebestreifen haftete, mit dem der Malereiträger an der Wand befestigt war. Diese Stelle ist so etwas wie die Reizstelle für die Frage.
Lohaus lockt die Frage dadurch, dass er die Malerei auf die Wand und den Boden hin ausdehnt. Auch er bezieht so die Umgebung als Träger mit ein. So sehr sogar, dass, wenn man die Bilder entfernt, sie anhand ihrer verbleibenden Spuren imaginärerweise noch anwesend sind. Es bleibt eine Umgebung, die Umgebung, auf der gemalt wurde, die Umgebung als Träger der Malerei.

Der Malereiträger als Umgebung ist bei Lohaus schon nicht mehr nur material fassbar. Erst recht bei Daniel Buren. Hier ist zwar ein Stück Stoff. Und es ist auch bemalt, nämlich auf Vorder- und Rückseite der beiden äußeren weißen Streifen. Und der Stoff ist auch Träger der Malerei und als solcher erkennbar. Doch die Malerei selbst ist kaum erkennbar. Sie verschwindet in der im Stoff vorgegebenen Streifen-Struktur. Was zurückbleibt, ist aber jetzt nicht nur der Träger in seiner Materialität – denn er hätte in sich keinen Sinn‚ sondern mehr eine Idee, eine Vorstellung. Diese Vorstellung verweist auf einen Träger, der nicht sichtbar, doch ebenso eine Realität ist, wie jeder materiale Träger auch. Es ist die kulturelle Umgebung, in der Malerei erst als solche erscheint und nur erscheinen kann. Sie ist der eigentliche Träger von Kunst schlechthin. Als ich den Text von René Denizot übersetzte, den er in Bezug auf die Fragestellung dieser Ausstellung verfasste, fiel mir auf, dass wir in der deutschen Sprache zwischen malen und bemalen unterscheiden. Ein Ding bemalen sagt, dass auf ihm Farbe aufgetragen wird. Ein Ding malen meint, es mit Hilfe von Malerei wiedergeben. Die Fragestellung dieser Ausstellung versteht Malen als ein Malen auf etwas, und damit letztlich als ein Bemalen. Hier eröffnen sich Fragen und Aspekte, die in dieser Einführung abzuhandeln wohl nicht mehr möglich ist. Ich möchte deswegen nur darauf hingewiesen haben. Vielleicht noch dieser Fingerzeig: Durch das 20.Jahrhundert läuft wie ein roter Faden die Frage nach der Identität von Darstellung und Dargestelltem. Sowohl in Yves Kleins monochromen Bildern wie in den „Objekten“ des Nouveau Réalisme. Ich meine, in dieser Ausstellung klingt eine neue Saite auf dem Instrument dieser Frage, dieses Problems, an. Was ist Malerei, was ist ihre Identität, was ist ihre Realität? Die anderen, früher angeklungenen Saiten kennen wir. Sie sind auch in dieser Ausstellung nicht vergessen. Ich glaube aber, dass uns gerade die Saite, die in dieser Ausstellung speziell anklingt, in nächster Zukunft noch beschäftigen wird und muss.

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St.-v.Qu. [Wolfgang Stauch von Quitzow], Malerei mit Fragezeichen in Mönchengladbach, in: Neues Rheinland, Nr.1/74
Werner Lippert, Die Frage nach den Elementen der Kunst. Eine Ausstellung im Museum Mönchengladbach stellt die Malerei in Frage, in: Rheinische Post, 17.11.1973
cj [Claudia Junkers], Gegen den Foto-Realismus. Maler befragen die Malerei, in: Westdeutsche Zeitung, Nr. 273, 24.11.1973
Georg F. Schwarzbauer, Noch Malerei? Ausstellung im Städtischen Museum in Mönchengladbach, in: Frankfurter Rundschau, 8.12.1973