DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

Menü
Play
Pause
00:00
00:00
Schließen
48

8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER

8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER Kassettenkatalog 8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 1973
Grundriss Erdgeschoss 2 neu
Einladungskarte 8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 1973

8 Arbeiten von Lawrence Weiner, 4.10. – 4.11.1973
(1942 New York – 2021 New York)

EG: Gartensaal (II)

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

Der Amerikaner Lawrence Weiner, der heute in Amsterdam lebt, zählt zu den ersten und bedeutendsten Künstlern einer Richtung, die unter dem Namen Konzept-Kunst (Conceptual Art) bekannt wurde. Nicht mehr die materiale Realisierung eines Werkes ist für diese Künstler das Wichtigste, sondern die Idee.
Weiner arbeitet mit Worten und Sätzen. Acht solcher Arbeiten bilden den Kern der Ausstellung und werden gleichzeitig auf dem Plakat und im Katalog mitgeteilt. Um diese acht Arbeiten gruppiert sich in der Ausstellung das Gesamtwerk des Künstlers, soweit es in Büchern erfaßt ist.“1(Johannes Cladders, 1973)

8 Arbeiten von Lawrence Weiner war eine Ausstellung, in der sich die Vorstellung eines weitgehend entmaterialisierten Werks programmatisch manifestierte.2 Sprache als Träger von Konzeptkunst: 8 Texte = 8 Arbeiten.

Bei den 8 Arbeiten handelt es sich um 8, im Partizip Perfekt verfasste, Texte/​Statements, die von den vier Elementen handeln: Feuer, Erde, Luft und Wasser. Jeder Text besteht aus 4 Zeilen und bildet eine eigene Arbeit. Durch die 2‑sprachige Konzeption (englisch und deutsch) ergeben sich insgesamt 16 Texte/​Statements. Sie sind in Versalien auf dem Deckel des Kassettenkatalogs und auf dem Plakat zur Ausstellung abgedruckt. Grüne Schrift, angeordnet in 2 vertikalen Spalten. Links der englische Originaltext des US-amerikanischen Künstlers. Rechts die deutsche Übersetzung.3 2, 4, 8, 16 … Die mathematische Logik, die der gesamten Textstruktur zugrunde liegt und die Poesie einzelner Wörter verbinden sich hier zu einem gleichermaßen elementaren wie ephemeren Werk“.

FEUER EINGEHÜLLT (VERMINDERT) UMARMT (ERSTICKT)
DURCH WASSER (ZISCHEND)
FEUER DURCH ETWAS ANDERES ALS WASSER GELÖSCHT
(FEUER UND WASSER GEMISCHT)
[…]
VOLLGESTOPFTES WASSER (GESTOSSEN) ÜBERSÄTTIGT (GESTOSSEN)
MIT HOLZ (ZISCHEN)
WASSER DURCH ETWAS ANDERES ALS ERDE BEREICHERT
(NOCHMAL GESTOSSEN)

Probleme der Rekonstruktion 

Die Zeitungen, die über Weiners Ausstellung im Städtischen Museum Mönchengladbach berichteten, titelten: Kunst-Stücke in Gedanken“4, Kunst in Gedanken“5oder Kunst: nur noch eine Idee“6 Wie sah die Austellung aus? In welchen Räumen fand sie statt? Waren die 8 Arbeiten von Lawrence Weiner lediglich als Text auf dem Kassettenkatalog und Plakat präsent? 

Am Beispiel der 8 Arbeiten lässt sich gut darstellen, wie kompliziert die Rekonstruktion einer Ausstellung sein kann, wenn sie nicht fotografisch oder filmisch dokumentiert wird. Denn Weiners Ausstellung gehört zu den wenigen Veranstaltungen der Ära Cladders im alten Städischen Museum an der Bismarckstraße, die weder Ruth Kaiser noch Albert Weber fotografierten. Auch im Archiv der Galerie Konrad Fischer (Düsseldorf) existieren keine Aufnahmen. 

Die Ausstellungsrezensionen, die 1973 im Handelsblatt, in der Rheinischen Post, in der Westdeutschen Zeitung und in der Neuen Rhein Zeitung erschienen, beschrieben zwar Weiners konzeptuellen Ansatz, doch nicht das Ausstellungs-Display. Der – bei der Eröffnung anwesende – Künstler selbst, den ich im November 2016 kontaktierte, erinnerte sich nur noch ausschnitthaft7, ebenso verschiedene Zeitzeug:innen.

Vage war auch Johannes Cladders, als er in der Eröffnungsrede zur Ausstellung sagte: Diese Ausstellung, die wir heute eröffnen, präsentiert acht Arbeiten von Weiner. Sie präsentiert sie als Plakat, als Katalog und als singulare Exponate. Immer aber sind es die gleichen acht Arbeiten. Der Informationsträger selbst ist gleichgültig. Man hätte ebenso gut auch die Sätze mit großen Lettern auf die Wand schreiben können. Die acht Arbeiten in dieser Ausstellung werden begleitet von 11 Büchern, in denen praktisch das gesamte Werk Weiners innerhalb eines Zeitraumes von sechs Jahren seinen Niederschlag gefunden hat. Auch das Transportmittel Buch ist ein ebenso gleichwertiges wie alle anderen denkbaren auch. Die ausliegenden Bücher nehmen daher so etwas wie die Stelle einer Retrospektivausstellung ein.“8

Vor diesem Hintergrund sind die präzisen Erinnerungen von Peter Terkatz ein Glücksfall. Der langjährige Techniker des Museums, der 1970 als junger Schreiner ans Haus kam, war seit diesem Zeitpunkt auch verantwortlich für die Produktion und Installation aller Ausstellungsprojekte. Im Zusammenhang mit 8 Arbeiten von Lawrence Weiner beschreibt Terkatz, dass in der Nische vor dem großen Saal, links, das Ausstellungsplakat gerahmt hing und auf dem Nischenboden, mit einer Schnur befestigt, das kleine rote Buch des Katalogs zum Blättern lag. 11 oder 12 kleine rote Bücher (das Gesamtwerk) waren in Tischvitrinen ausgestellt und im Saal platziert. An den Wänden hingen 16 Bilderrahmen (50 × 60) mit den Texten der Arbeiten, auf Din A4 Fett gedruckt und mit Plakatkarton (silber) hinterlegt. Die obere Etage war leer. Der Treppenaufgang war mit einem dicken Seil abgesperrt.“9

Künstlerbücher in Vitrinen 

In Mönchengladbach hatte Johannes Cladders sein Museum in einer Etage dann auch zum Lesesaal umfunktioniert. An drei Tischen konnten die Besucher insgesamt 11 Weiner Broschüren mit Anregungen für das Vorstellungsvermögen einsehen. U.a. heißt es da: Feuer, durch etwas anderes als Holz genährt.‘“10

Die erhaltene Korrespondenz im Archiv des Museums Abteiberg gibt Aufschluss darüber, welche Künstlerbücher im Gartensaal des Museums in Tischvitrinen gezeigt wurden. Am 9. August 1973 orderte Johannes Cladders folgende neun Publikationen bei Weiners Amsterdamer Galerie Art & Project, die diese am 5. September auch bestätigte11: TRACES, Galleria Sperone, Turin 1970; LAWRENCE WEINER, Art & Project, Amsterdam 1971; 10 WORKS, Galerie Yvon Lambert, Paris 1971; FLOWED, Nova Scotia College of Art & Design, Halifax 1971; CAUSALITY: AFFECTED AND/OR EFFECTED, Leo Castelli, New York, 1971; HAVING BEEN DONE AT/HAVING BEEN DONE TO, Galleria Sperone, Turin 1972; GREEN AS WELL AS BLUE AS WELL AS RED, Jack Wendler, London 1972; WITHIN FORWARD MOTION, Kabinett für aktuelle Kunst, Bremerhaven 1973; ONCE UPONTIME, Galleria Toselli, Turin 1973

Hinzu kamen zwei Künstlerbücher, die die Buchhandlung Walther König in Köln an das Mönchengladbacher Museum lieferte.12 Es war zum einen die Publikation STATEMENTS, die Seth Siegelaub und Louis Kellner 1968 in New York veröffentlicht hatten. Und zum anderen A PRIMER / EIN ELEMENTARBUCH, das die documenta 5 1972 herausgab. Davon bestellte Cladders insgesamt 400 Exemplare. 330 Bücher waren für den Kassettenkatalog bestimmt, der in einer Auflage dieser Höhe erschien und jeweils ein Exemplar von A PRIMER enthielt. 

8 Arbeiten von Lawrence Weiner basiert auf den Texten von A PRIMER. Das kleinformatige rote Buch enthält exakt dasselbe Material, allerdings zerlegt“ in kleinere Textmodule. Auf insgesamt 40 beidseitig bedruckten Seiten erscheint hier jede Textzeile (oder auch nur Teile der Zeilen) auf jeweils einer Blattseite. Englische und deutsche Texte sind nicht voneinander separiert, sondern laufen hintereinander. Dadurch ergibt sich auf jeder Seite nicht nur viel leerer – gedanklich zu füllender – Raum“, der in einem gewissen Gegensatz zur blockhaften Dichte des Mönchengladbacher Textbilds steht. Vor allem vermittelt A PRIMER aber den Eindruck, als handele es sich hier um 80 einzelne Statements“. Der Inhalt derselbe, Struktur und Form eine gänzlich andere: 80 Texte = 80 Arbeiten.

Kassettenkatalog 8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 1973
Kassettenkatalog 8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 1973
Kassettenkatalog 8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 1973

Kassettenkatalog

Lawrence Weiner und Johannes Cladders lernten sich im Sommer 1972 während der documenta 5 in Kassel kennen, die der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann organisierte. Weiner zählte zu den teilnehmenden Künstler:innen, Cladders zu den von Szeemann berufenen Gastkuratoren, die einzelne Ausstellungssegmente kuratierten13. Am 14. Juli 1972 schreibt Weiner dann erstmals an Johannes Cladders nach Mönchengladbach: 

Dear Dr. Cladders
I was very pleased with our conversation at Kassel.
I should appreciate to hear from you any ideas of concerning
either the general or specific demeanor of an exhibition
itself.
Enclosed please find a book which I hope may be of interest.
With best regards and looking forward to a collaboration
I remain
Lawrence Weiner”14

Wie aus der anregenden Korrespondenz zwischen Konzeptkünstler und Museumsdirektor hervorgeht, wurden die Planungen erst Ende Februar 1973 wieder aufgenommen und im Sommer 1973 intensiviert. Aufschlussreich ist der Briefwechsel vor allem im Hinblick auf die Produktion des Kassettenkatalogs. Weiner, der in New York und Amsterdam lebte und arbeitete, meldet sich mal aus der einen, mal aus der anderen Stadt. Anfang August trifft ein Luftpostbrief aus Amsterdam in Mönchengladbach ein: 

Dear Dr. J. Cladders
I trust your holiday was successful
Enclosed please find the general idea of the poster and
box we had spoken of
With best regards
I remain
Lawrence Weiner”15

Diesem Brief ist eine – mit Schreibmaschine getippte – Liste der 8 Texte/​Statements beigelegt und eine Zeichnung, die mit dem Kommentar GENERAL IDEA OF THE BOX“ versehen ist. Bei der Filzstiftskizze handelt es sich um den Entwurf für den Kassettenkatalog, der nahezu 1:1 umgesetzt wurde. Wenige Tage nach Erhalt des Briefs antwortet Johannes Cladders: I agree in the general idea of the poster and the box“ und schreibt weiter, dass er Walther König in Köln zu Weiners Buch A PRIMER“ kontaktiert habe, das in die Schachtel eingelegt werden solle. Er werde sich, so Cladders, auch um die anderen Publikationen kümmern, die dann in jeweils dreifacher Ausführung auf Tischen in der Ausstellung ausliegen würden. Am selben Tag wendet er sich in dieser Sache an Art & Project in Amsterdam. Weiner in einem Brief, der am 20. August 1973 im Museum eintrifft: 

Dear Dr. J. Cladders
Am pleased that the general idea of the poster and
box is OK
Can only hope that obtaining A PRIMER” resolves
itself […]“16

Aus der Korrespondenz Lawrence Weiner – Johannes Cladders

Postscriptum: Aus einem E‑Mail Interview von Lawrence Weiner und Susanne Rennert, 15.12.2016

Rennert: How did you get in touch with Johannes Cladders? (documenta 5, Konrad Fischer, Wide White Space …?) 

Weiner: AT THAT MOMENT IN TIME DUSSELDORF WAS THE CENTER OF THE RHINELAND (AS FAR AS ART WENT) & JOHANNES ASKED IFWOULD MAKESHOW IN MONCHENGLADBACH & FISCHER DROVE ME OUT TO LOOK AT THE SPACE
SAID YES & WE DECIDED TO PLAN TO MAKESHOW 

Rennert: How did the organisation of the exhibition come along? How long-term was it planned? How did you plan it — before or in Mönchengladbach? 

Weiner: EVERYONE AT THAT MOMENT WAS MOBILE THROUGHOUT THE UNITED STATES CANADA & EUROPE SO WHEN & WHERE DECISIONS WERE MADE IS NOTMOOT POINT […]

Rennert: Reviews in german newspapers tell that the museum then had changed into a reading room” — is that right? […]

Weiner: DON NOT REMEMBER THE REFERENCE IN THE GERMAN NEWSPAPERS IN THE READING ROOM
I DON´T THINK IT WAS REFERRING TO MY EXHIBITION

Rennert: One of the former visitors I interviewed, remembered wall-texts. Right, wrong?

Weiner: AS TO THE WALL TEXT QUESTION THE 8 WORKS & ETC WERE ONPOSTER & THE POSTER WAS USED WITHIN THE INSTALLATION AT MÖNCHENGLADBACH & THE BOX CONSISTED OFBOOK OF THE WORKS THAT HAD BEEN SHOWN IN DOCUMENTA CALLEDPRIMER 

Rennert: […] How did you see Johannes Cladders as a museum director?

Weiner: SAW JOHANNES CLADDERS ASSAW KONRAD FISCHER (KONRAD LUEG) AS COMPLEX BUT QUITERATIONAL SITUATION OF WORKING INCULTURE THAT WAS BEING DEVELOPED AS OPPOSED TO ATTEMPTING TO CARGO CULT INTO WHAT AT THE MOMENT WAS THE DOMINANT POSITION

Rennert: How do you remember the audience in Mönchengladbach? […]

Weiner: IT WAS THE TRAVELING AUDIENCE OF ANY MANIFESTATION WITHIN THE RHINELAND AT THAT MOMENT 

Rennert: […] How innovative have you perceived the box catalog format back then? Where layed its benefits compared to an ordinary exhibition catalogue? 

Weiner: THE BOX FORMAT AT THE MOMENT ALLOWED THE VARIOUS ARTISTS TO PRESENT VARIOUS OBJECTS THAT THEY FELT REPRESENTED THEIR OEUVRE AT THE TIME 17

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung und Johannes Cladders, Text Kassettenkatalog

Vorgestern erzählte mir Lawrence Weiner ein kleines Erlebnis am Rande seiner großen Ausstellung In London, von der er gerade zurück kam. „Große Ausstellung“ insofern, als sie sich über den weiten Raum der Stadt erstreckt, in der an vielen Stellen seine Plakate – allerdings anonym – aushängen; Plakate, die, wie auch in unserem Falle, gleichzeitig die Ausstellung darstellen. Und hier das Erlebnis am Rande: Weiner ging in eine Kneipe, um zu horchen, was man denn so am Tresen über seine Plakataktion denkt und sagt. Um also so etwas zu tun, wie dem weidlich bekannten Volk auf das ebenso bekannte Maul zu schauen.

Auf seine Frage, was es mit dem Plakat auf sich habe, erhielt er die bündige Antwort: That is art. Das sei eben Kunst. Auf seine weitere Frage, wer denn solche Kunst gemacht habe, kam die entwaffnende Antwort: ein Künstler. Und als er dann noch wissen wollte, woran man denn sehen könne, dass es Kunst sei, mischte sich der Wirt hinter der Theke ein und stellte lapidar fest: Kunst ist Kunst.

In einem anderen Lokal war man etwas vorsichtiger: Es scheint sich wohl um Kunst zu handeln, hieß die Auskunft.

Wir wollen hier nicht die Gründe für solche unkomplizierten Aussagen, die als Anekdoten ihren Reiz in sich haben, untersuchen. Vielleicht liegen sie gerade im Unverständnis, in dem Umstand, dass das, was man nicht begreift, erfahrungsgemäß identisch ist mit dem, was andere Kunst nennen; andere, die es halt wissen müssen, die sozusagen zuständig dafür sind. Dann wären die bestimmt und sicher klingenden Auskünfte, es sei Kunst, nichts anderes als so etwas wie ein anderer Ausdruck für das Unverständliche, für das, was man als Normalmensch sowieso nicht begreift und das man aus diesem Grunde einfach als so und nicht anders hinzunehmen hat.

Meiner Erfahrung nach jedenfalls haben Menschen, die es wissen möchten – also nicht einfach hinnehmen – gerade vor Arbeiten wie die von Lawrence Weiner viele Fragen, mehr Fragen als Antworten, vielleicht nur Fragen und keine Antworten. Was logischerweise beinhaltet, dass sie das, was sie sehen, nicht a priori für Kunst halten, zumindest, dass sie erhebliche Zweifel anmelden. Denn sonst gäbe es die Fragen nicht.

Eine Ausstellung wie diese ist nicht einführend zu eröffnen mit einem mehr oder weniger breiten Auswalzen der bündigen Antwort am Tresen: That is art. Erst recht nicht mit der Feststellung im Stenogrammstil: Das ist Kunst. Basta!

Und dennoch: Eine solche, einfach hingeworfene Antwort hat für sich, dass sie auf eine Ebene zurückweisen könnte, auf der Kunst als etwas Selbstverständliches, nicht näher zu Erläuterndes oder zu Beweisendes steht. Diese so selbstverständliche, ja geradezu paradiesisch natürliche Ebene wäre doch wohl eigentlich der Garten Eden, als den wir uns die Kunst gerne wünschen, als die wir sie sehen möchten, nicht zuletzt als Äquivalent zu dem, was wir „Alltag“ oder „banale Wirklichkeit“ nennen.

Offensichtlich besitzen wir jedoch nicht die erforderliche Unschuld, um in den Garten Eden eintreten zu können, um vorbehaltlos Kunst Kunst sein zu lassen, sozusagen ohne Scham und ohne Feigenblatt. Ich bin deswegen auch nicht von der natürlichen Unschuld hinter dem Tresen überzeugt, als die die dort herzuholenden bündigen Antworten erscheinen könnten.

Wir hinterfragen - sofern wir uns dieser Mühe nicht aus vielerlei Gründen entziehen oder ihr mangels Hoffnung, das Ziel je zu erreichen, von vornherein ausweichen. Wir wollen es wissen.

An dieser Stelle möchte ich allerdings am liebsten meine Kapitulation anmelden. Und zwar aus zwei Gründen:
1. Weil ich glaube, dass Kunst trotz allem das Reservat oder auch eine der wesentlichsten Quellen des Natürlichen, Selbstverständlichen und in sich Abgerundeten ist; eine Sache, deren Schlüssigkeit und Überzeugungskraft in ihr selbst ruht. Und
2. Weil ich im Gegensatz zu diesem „erstens“ gleichwohl der Meinung bin, dass Kunst nur dann Kunst ist, wenn sie das Hinterfragen provoziert und deswegen als Kunst sich erst voll im Hinterfragen öffnet und als solche in Erscheinung tritt.

Beide Aspekte stehen im Widerspruch zueinander. Wie ich meine, allerdings in einem nur scheinbaren. Die Kunst von Lawrence Weiner – und gerade die in dieser Ausstellung vorgewiesene – stellt die Frage nach der Kunst schlechthin. Sie steht in diesen Werken ebenso zur Debatte wie vor ihnen. Das heißt, sie ist vom Produzenten ebenso gestellt, wie sie vom Rezipienten zwangsläufig aufgeworfen wird.

Zwangsläufig durch die ungewöhnliche Form, in der Kunst sich hier präsentiert (so vom Rezipienten her gesehen) und eben in diese Form vom Produzenten gebracht, um die Frage in das Werk hineingeben zu können. Denn letztlich stellt jedes Werk diese Frage nach der Kunst; und nach dem Maße, in dem sich die Frage in einem Werk manifestiert, bemisst sich die Kunst im Werk. Allerdings stellt sich die Frage immer wieder anders. Und wenn sie nicht anders gestellt wird, bleibt es bei der Kopie, bei einem Sachverhalt, über den niemand als Kunst spricht.

Wenn Ihnen also die Dinge in dieser Ausstellung, die Ihnen vom Künstler wie seitens des Museums als Kunst präsentiert werden, als solche zunächst fremd und unverständlich erscheinen, dann halten Sie sich bitte vor Augen, dass sie auf der Basis des Bekannten nie rezipiert werden kann. Denn ihr Charakter ist der der Kreation und Innovation, nicht der des Plagiats oder der Kopie. Antworten, die längst bekannt sind, haben keine echten Fragen mehr zum Auslöser, sondern lediglich Scheinfragen.

Ich handele immer noch von der Kunst, obwohl ich meine Kapitulation vorhin schon anmeldete, eine Kapitulation vor dem „wir wollen es wissen“, mithin vor der Antwort. Wobei ich nicht einmal die sicherlich überzogene Erwartung einer Patentlösung unterstelle. Doch ich möchte jede Antwort vermeiden, die auch nur den Anschein eines Patents hat. Ich möchte den Zweifel – das Fragen – im Raum stehen lassen.

Gerade vor den Arbeiten dieser Ausstellung, deren Autor den Charakter der Kunst im Befragen sieht, nicht in Antworten. Nicht einmal in zielgerichteten Fragen, sondern im Befragen als eines Zustands schlechthin, eines permanenten Zustands.

Sie möchten – ich weiß das – natürlich doch um das konkrete Warum, Wieso, Weshalb wissen, Sie möchten das Handfeste haben, das Ihnen den Einstieg erst in eine Sache zu erlauben scheint, die Ihnen so befremdlich vorkommen mag, so extrem jenseits dessen, wie Kunst sonst aufzutreten und entgegenzutreten pflegt. Klaus Honnef hat Anfang dieses Jahres eine Einführung publiziert, die Werk und Intention Weiners gerade von der Seite eines praktischen Einstiegs her angeht. Weil es nutzlos wäre, seine Ausführungen zu variieren, zitiere ich daraus:

Honnef geht von folgendem Statement des Künstlers aus:
1. Der Künstler kann die Arbeit ausführen
2. Die Arbeit kann (von einer anderen Person) ausgeführt werden
3. Es ist nicht notwendig, die Arbeit auszuführen.

Jede dieser Möglichkeiten hat denselben Wert und jede entspricht der Absicht des Künstlers. Über die Ausführung der Arbeit wird der eventuelle Besitzer entscheiden.

Ich zitiere nun Honnef selbst dazu: Diese drei knapp gefassten Sentenzen samt der folgenden Erläuterung enthalten Lawrence Weiners künstlerisches Programm: Eine künstlerische Arbeit wird realisiert allein in der Sprache durch eine sprachliche Artikulation; sie kann darüber hinaus - vom Künstler oder von jeder beliebigen Person - in einer Geste durch eine körperliche Aktion, in einem Ding durch materielle Ausführung realisiert werden; dass sie realisiert wird in einem anderen Medium als der Sprache, ist aber nicht unbedingt erforderlich, da sie existiert, sobald sie in sprachlicher Form ihren Niederschlag gefunden hat. Weiner verlagert die Existenz von Kunstwerken aus der Realität in die Sphäre der Imagination, er appelliert an die Vorstellungskraft des Rezipienten, nicht an seine sensuelle Empfindsamkeit. Die Vermittlung einer künstlerischen Vorstellung erfolgt nicht mehr in der Beschränkung auf die traditionell darstellenden Medien, Malerei, Zeichnung und Skulptur, sondern potentiell ist jedes verfügbare Medium, also auch die Sprache, ihr Informationsträger.

Hier zitiert Honnef nun Lucy R. Lippard: „Die Arbeit selbst befasst sich mit einer visuellen Vorstellung (visual image), die eine prägnante und eindringliche Konkretisierung erfährt, wenn sie ausgeführt wird. Doch was Weiner interessiert, ist, dass sie auf dem Papier eine ebenso große Schlüssigkeit besitzt, als wäre sie ausgeführt.“

Honnef fährt fort: Lawrence Weiner löst mit Hilfe der Sprache Assoziationen aus, die sich auf Sinneswahrnehmungen richten. Die Arbeit „Langsam gestiegenes Wasser“ (Slowly raised water, in der Sammlung Hock, Krefeld) suggestiert einen Vorgang und stellt ihn zugleich als abgeschlossen hin. Beides, sowohl der Prozess (langsam steigend) als auch das Faktum (gestiegen) ist in der Realität niemals gleichzeitig wahrnehmbar. Durch die sprachliche Dichte wird ein Phänomen vorstellbar, das besteht, aber nicht anschaulich wahrgenommen werden kann. In der Arbeit „Langsam gestiegenes Wasser“ wird deutlich, worauf es Weiner ankommt. Der Entscheid für eine ausschließlich verbale Realisierung seiner künstlerischen Vorstellungen resultiert aus der Einsicht, dass eine manifeste Realisierung, eine gestuale - indem der Künstler eine bestimmte Aktion ausführt - ebenso wie eine dinghafte indem der Künstler ein bestimmtes Objekt herstellt - in ihrer Vollendung, das heißt: wenn sie realisiert ist, stets nur das Resultat präsentiert, jedoch nicht den Prozess, der in dem Resultat einer Realisierung gipfelt. Die Frage des Kunstwerks, würde Weiner sagen, reduziert sich auf die Frage seiner Präsentation. Während im traditionellen Kunstverständnis das Kunstwerk als die visualisierte Idee, als die visualisierte künstlerische Vorstellung begriffen wird, und sich die künstlerische Qualität demzufolge danach bemisst, ob die Idee adäquat visualisiert ist, ist hier die Idee, die künstlerische Vorstellung das Kunstwerk und visualisiert wird lediglich der Hinweis darauf. Gleichwohl verbleibt die Möglichkeit einer tatsächlichen Ausführung eines Hinweises keineswegs außerhalb der Betrachtung; sie ist integraler Bestandteil des Kunstwerkes. Inwieweit, enthüllt in der sprachlichen Umschreibung der Absichten Lawrence Weiners die Verwendung des Wortes „Möglichkeit“. Denn jede ausgeführte Arbeit, sei es, dass der Künstler oder eine andere Person sie ausführt, sei es, wie im Falle „Langsam gestiegenes Wasser“, dass sie Ergebnis eines natürlichen Vorgangs ist, stellt nur eine Möglichkeit von einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten dar. Die sprachliche Fixierung lässt die Fülle dieser unendlich vielen Möglichkeiten aufscheinen, die jeweilige Form einer faktischen Realisierung jeder Möglichkeit ist offen gehalten; sie ist Sache desjenigen, der Weiners Arbeit aufnimmt. „Jeder Zustand (der Arbeit) ist gleichwertig und ist im Sinne der Vorstellungen des Künstlers. Über den Zustand der Arbeit wird im Falle der Aufnahme der Empfänger (des verbalen Hinweises) entscheiden.“

Honnef wendet sich dann Fragestellungen von Kunst und Gesellschaft zu, die auch in das Werk Weiners eingeflossen sind, und zwar unter dem speziellen Aspekt der Besitzmöglichkeit an seinem Werk. Ein nur durch die Sprache transportiertes Werk unterscheidet sich hier wesentlich von anderen, deren Transportmittel materialer Art ist. Ich klammere diesen Komplex hier aus und zitiere nur noch den Schluss des Artikels von Honnef:

Es ist eine müßige Frage, ob Lawrence Weiner, weil er mit Sprache umgeht, nicht der Kunst, sondern der Literatur zugerechnet werden muss. Sol LeWitt verneint dies: „wenn Worte benutzt werden und sie aus Ideen über Kunst hervorgehen, dann sind sie Kunst und keine Literatur. Zahlen sind keine Mathematik.“ Immerhin die Grenzen zur Literatur hin hat er verschoben, wie er auch die Grenzen zum Film und zur Schallplatte verschoben hat. Doch im Zeitalter der Massenkommunikation ist jedes Medium erlaubt, zumal wenn das spezielle Medium lediglich als Informationsträger benutzt wird, das Informationen dessen, was ein Kunstwerk beinhaltet, transportiert und nicht mehr unverzichtbarer Teil des Kunstwerkes ist. Soweit also Honnef.

Diese Ausstellung, die wir heute eröffnen, präsentiert acht Arbeiten von Weiner. Sie präsentiert sie als Plakat, als Katalog und als singulare Exponate. Immer aber sind es die gleichen acht Arbeiten. Der Informationsträger selbst ist gleichgültig. Man hätte ebenso gut auch die Sätze mit großen Lettern auf die Wand schreiben können.

Die acht Arbeiten in dieser Ausstellung werden begleitet von 11 Büchern, in denen praktisch das gesamte Werk Weiners innerhalb eines Zeitraumes von sechs Jahren seinen Niederschlag gefunden hat. Auch das Transportmittel Buch ist ein ebenso gleichwertiges wie alle anderen denkbaren auch. Die ausliegenden Bücher nehmen daher auch so etwas wie die Stelle einer Retrospektivausstellung ein.

Unsere Ausstellung ist eigentlich wenig für eine „Eröffnung“ im üblichen Sinne geeignet - obwohl wir uns doch zu einer solchen Eröffnung entschlossen haben. Sie ist eher eine Art Reizstelle für Auseinandersetzungen, für eine intensive Beschäftigung in Ruhe und Muße.

Abschließend möchte ich eine in Frage und Antwort aufgelöste Feststellung Weiners zitieren: Frage: Wo ist Kunst heute verwendbar und/oder nützlich und wie rechtfertigt sich Sprache als ihr (Medium) Mittel?
Antwort: Als Auslöser dialektischer Auseinandersetzungen.

Ich glaube, an solchen Auseinandersetzungen wird es diesem Ausstellungsunternehmen nicht mangeln.

Johannes Cladders, Text Kassettenkatalog

NICHT DIE KUNST GIBT UNS PROBLEME AUF, SONDERN WIR DER KUNST. Wir verlangen von einem Gegenstand, dessen Charakter das Befagen ist, Antworten. Er wird sie immer schuldig bleiben müssen.

Kunst ist nicht nützlich.

Das besagt jedoch nicht, daß sie sich nicht benutzen ließe, das heißt: gebrauchen oder auch mißbrauchen. Jeweils für etwas, was nicht Kunst ist.

Die Verwendbarkeit von Kunst ist in sich ebenso ein Mißverständnis wie die Antwort, die Kunst bereitwillig zu liefern scheint.

Wie man in den Wald ruft, so klingt es heraus.

Das gilt von jedem Kunstwerk: von den Werken der Prähistorie, die erst die Kunstgeschichtsschreibung zur Kunst erhob, wie von den Werken von heute, die wie ein Regen sind, der die Pilze der Interpretation aus dem Boden schießen läßt.

Antworten und Brauchbarkeit der Kunst sind ebenso selbstverständlich wie die Wechselwirkung zwischen Regen und Pilzen natürlich. Aber es macht den Regen nicht aus wie auch nicht die Pilze.

Kunst hat den Charakter des Befragens. Das ist ihre Antwort.

Kunst ist unnütz. Das ist ihre Nützlichkeit.

Kunst ist eine immaterielle Welt. Das ist ihre Materialität.

Üblicherweise manifestiert sie sich material. Sie visualisiert auf der Ebene materialier Realisationen. Ihr Befragen ist Stein, Farbe, Form oder alles weitere, was sich sichtbar darbietet.

Aber sie ist nicht Stein, Farbe, Form. Selbst da, wo ihr metaphysische, literarische, ikonographische Bezüge abgehen. Sie ist aber auch nicht etwas jenseits solcher Erscheinungsformen, sondern befindet sich parallel dazu.

Lawrence Weiner unternimmt es, diese parallel laufende Linie zu zeichnen. Die, die nicht materialer Natur ist.

Es läßt sich eine Linie von hier nach Berlin ziehen; mit einer Kordel wie mit einer Mauer. Eine solche Linie läßt sich aber auch denken, rechnen, vorstellen. Ist sie weniger exakt, ist sie weniger wirklich?

Das Beispiel ist dem Leverkusener Katalog der Ausstellung „Konzeption – Conception“ aus 1969 entnommen. Es handelt sich um einen Beitrag von Marchetti, nicht von Weiner.

Doch er sitzt mehr oder weniger damit in einem Boot. Conceptual Art ist es getauft worden. Es ist nur ein Name. Was liegt unter ihm denn wirklich auf dem Wasser?

Darin sehe ich die tragfähige Konstruktion des Bootes von Weiner: Das Kunstwerk ist eine Idee von Kunst, eine Vorstellung über Kunst. Das Transportmittel (Medium) ist nicht die Kunst.

„Jedermann sieht zum Beispiel ein anderes Rot. Ich sehe eine generelle Idee.“ (Weiner)

Weiner malt nicht das Rot, er benennt es. Er ruft es in den Bereich der Vorstellung. Mit Worten. Dieses Transportmittel ist offen genug für eine generelle Idee. Und selbst offen für eine materiale Realisierung. Weiner hält sie nicht für zwingend, stellt sie aber anheim.

Sofern sie überhaupt möglich ist. In früheren Arbeiten eher als jetzt; zumindest als in den acht Arbeiten, die er hier vorlegt.

Sie sind nur in Vorstellung umzusetzen. Idee stößt zu Idee – zu dem ihr adäquatesten Medium. Seine Materialität ist das Immaterielle.

Hier schließt sich ein Kreis, dessen Schlüssigkeit im Paradoxon lieft. Dieser Versuch eines Einstiegs in ihn bemühte deshalb nicht zufällig das Paradoxon.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

1 / 6

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
8 Arbeiten von LAWRENCE WEINER, 4.10.–4.11.1973

Schachtel aus graubraunem Karton, Deckel grün bedruckt mit Text der 8 Arbeiten“, dt. u. engl., geklammert, 20,5 × 16 × 2,5 cm 

Inhalt: Faltblatt, Buch, Plakat 

Faltblatt mit Titel, Impressum und einem Text von J. Cladders
Buch PRIMER von Lawrence Weiner, documenta GmbH, Kassel 1972; 14,5 × 10,5 cm
Plakat der Ausstellung, gefaltet, 78 × 60 cm 

Auflage: 330 Exemplare (Auflage des Buchs: 2000 Exemplare) 

Preis in der Ausstellung: 6 DM 

sr

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Ausstellung Weiner, in: Rheinische Post, 28.9.1973
o. V., Allerheiligen geschlossen, in: Rheinische Post, 2.11.1973
o. V., Ausstellung Weiner, in: Westdeutsche Zeitung, 2.11.1973

Berichte / Rezensionen / Kommentare

Werner Lippert, Kunst: nur noch eine Idee. Ausstellung mit Werken Lawrence Weiners im Museum, in: Rheinische Post, 9.10.1973
CJ, Kein Wunschtraum von Garten Eden. Lawrence Weiner in Mönchengladbach, in: Westdeutsche Zeitung, 10.10.1973
Klaus U. Reinke, Kunst in Gedanken. L. Weiner in Münster und Mönchengladbach, in: Handelsblatt Düsseldorf, 2.11.1973
Klaus U. Reinke, Kunst-Stücke in Gedanken. Lawrence-Weiner-Ausstellung in Münster und Mönchengladbach, in: Neue Rhein Zeitung, 14.12.1973