Anatol.
Königsstuhl und Hausbau,
12-Stunden-Veranstaltung



Anatol. Königsstuhl und Hausbau, 12-Stunden-Veranstaltung, 19.9.1969
Anatol (Karl-Heinz Herzfeld) (1931 Insterburg [Tschernjachowsk] / RUS – 2019 Moers)
veranstaltet vom Museumsverein
EG/Hochparterre: Gartensaal (II)
Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert
Die Aktion fand von 10 bis 22 Uhr im Gartensaal des Museums statt. Mitakteur von Anatol war Kurt („Shorty“) Verhufen, ein befreundeter Kommilitone aus der Klasse von Joseph Beuys.
Zu den Materialien der „12 Stunden-Veranstaltung“ zählten: ein Stuhl aus Stahl (Königsstuhl)1, eine Bleiplane2, in die Kurt Verhufen von Anatol eingehüllt wurde, eine Stoffplane, Ton3, aus dem der Künstler vier Reliefs formte, Hagebutten4, die zu einem Dreieck und einem langen Rechteck ausgelegt waren, sowie Holzstöcke, Reisig und Stoffstreifen, aus denen Anatol ein fragiles Gestänge als „Haus“ baute. Den Stuhl, aus 1 t schweren Stahlplatten produziert, brachte der Künstler zur Aktion mit.5 Die Veranstaltung konnte vom Publikum zu beliebiger Zeit besucht und wieder verlassen werden.6Die während des Aktionsprozesses entstandenen Werke – Zeichnungen und Tonreliefs – blieben im Museum am Wochenende 20./21.9.1969 ausgestellt.7

Trotz des aufschlussreichen Gesprächs, das ich im Februar 2017 mit Anatol zu Königsstuhl und Hausbau führte8, lässt sich der Aktionsablauf aufgrund des vorliegenden Materials bislang nur in Ausschnitten erschließen. Presseartikel fehlen, hinzu kommt, dass sich die Reihenfolge der Fotos, die Albert Weber während der Veranstaltung aufnahm (Archiv MAM) wegen fehlender Negativfilme nicht rekonstruieren lässt. Vor allem Anfang und Ende des Geschehens bleiben so offen. Für eine umfassende Darstellung wären Gespräche mit Kurt Verhufen und anderen Zeitzeugen sowie Recherchen zu den Zeichnungen und Plastiken notwendig, die während der Aktion entstanden. Dass die Tonreliefs von Rolf und Erika Hoffmann angekauft wurden – wie Anatol in unserem Gespräch vermutete – kann mittlerweile ausgeschlossen werden.9
Fest steht jedoch, dass es sich bei Königsstuhl und Hausbau um Anatols erste lange Manifestation handelte, die sich über einen bestimmten vorab festgelegten Zeitraum hin entwickelte und damit vorwegnahm, was der Künstler wenig später mit dem Begriff „Arbeitszeit“ einführte. In seinem 1972 formulierten, von Beuys Kreativitätsbegriff inspirierten, “Arbeitszeit”-Manifest erklärte der – als Schmied, Polizist und Verkehrserzieher für Kinder – multiprofessionell ausgebildete Künstler „programmatisch Arbeit zur Kunst“ und verwies „damit auf die schöpferischen Qualitäten von Arbeit schlechthin, auf die grundsätzliche Möglichkeit des Menschen sich durch Arbeit zu verwirklichen.“10


In einer Sequenz der Aktion Königsstuhl und Hausbau schlägt Anatol Kurt Verhufen in eine Plane aus Blei ein. Hier wird besonders deutlich, wie der Bildhauer künstlerisches Tun, gesellschaftsbezogenes Handeln und politisches Bewusstsein miteinander verband und in Beziehung setzte. Auf meine Frage antwortete der Künstler 2017 im Gespräch: „Da habe ich ihn [Kurt Verhufen] als Mensch verbleit. Er schläft, und er bekommt jetzt einen Bleimantel, das heißt, er ist vor Radioaktivität geschützt. Ich habe ihn ganz verbleit – natürlich ein Tuch über das Gesicht gelegt – und dann aufgeschnitten. Und dann lag das [Objekt] da. […] Damals gab es ja die Nukleargefahren, aber man wusste eigentlich überall noch nicht, was los war. Teilweise gab es ja radioaktive Unfälle. Damit habe ich mich damals beschäftigt. […] Heute – nach Tschernobyl – weiß man, dass die Gefahr sehr groß war.“11
Im Anschluss an die Aktion wurden Königsmantel und Königsstuhl von Johannes Cladders für die Sammlung des Museums angekauft.12Der Königsstuhl steht heute im Skulpturengarten des Museums Abteiberg.