DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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JONAS HAFNER
Lacrimae – La Crime

JONAS HAFNER. Lacrimae – La Crime JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach 1976, Jonas Hafner im Garten des Museums, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, 1976

JONAS HAFNER. Lacrimae – La Crime, 8.7. – 15.8., 1976
Jonas Hafner (1940 Augsburg, lebt in Augsburg)

EG/ Hochparterre und 1. EG: alle Räume, Treppenhaus und Garten 

Rekon­struk­tion und Text: Susanne Rennert 

Ich meine, ich hätte die Freiheit bekommen, das gesamte Haus zu bespielen‘. Dazu gehörten einzelne Räume, in denen verschiedene Seiten des Abbruchs der Düsseldorfer Dominikanerkirche dokumentiert waren. Der Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung war der Kirchenabbruch. […] Darum hat sich niemand gekümmert. Es war sozusagen vollkommen ungeschehen. Derart ungeschehen, dass es außer meinen Fotos keine Dokumentation davon gibt.“1 (Jonas Hafner)

Mit Lacrimae – La Crime (Die Tränen – Das Verbrechen) legte Jonas Hafner den Finger in eine Wunde, die nordrhein-westfälische Denkmalpflege, Kirchen– und Landespolitik gleichermaßen betraf. Die Ausstellung bezog sich auf den drei Jahre zurückliegenden Abriss der neogotischen Dominikanerkirche an der Herzogstraße in Düsseldorf, die – im 19. Jahrhundert vom Wiener Dombaumeister an St. Stephan, Friedrich von Schmidt erbaut – 1973 mitsamt dem Kloster abgerissen wurde, um Platz für den Neubau der expandierenden Westdeutschen Landesbank zu schaffen.2Hafner, der bei Joseph Beuys an der Kunstakademie studiert hatte und an der Universität Düsseldorf in Philosophie promoviert worden war, näherte sich dem Thema als Wissenschaftler und als Künstler. Er dokumentierte den Abriss in Texten, Zeichnungen und über 200 Fotografien, sicherte Objekte und Fragmente und setzte sich in eigenen Werken (Bildern und Plastiken) mit dem Geschehen auseinander, um die Erinnerung an die verschwundenen kulturellen, religiösen und spirituellen Inhalte zu bewahren. 

Es spricht für die Brisanz des Projekts, dass das Museum Mönchengladbach hier in einer modifizierten Variante wiederholte, was die Düsseldorfer Kunsthalle bereits ein Dreivierteljahr vorher mit der Ausstellung Lacrimae vorstellte, die von einem umfangreichen Katalogbuch begleitet wurde (31.10 – 30.11.1975).3


Die Mönchengladbacher Ausstellung wurde von Clara Weyergraf betreut.4 Sie ging, so der Künstler, maßgeblich auf die Initiative des Viersener Architekten Heinz Döhmen zurück5, der Architektur an der FH Aachen lehrte und im Rheinland u.a. in den Bereichen Kunst am Bau und in der Sakralarchitektur einflussreich tätig war. Mit ihm arbeitete Hafner zuvor an einem Projekt in Aachen zusammen.Ebd. Im Gespräch mit mir betont Hafner die zentrale Rolle des Architekten und bringt in Erinnerung, wie sich Johannes Cladders diplomatisch mit Stellungnahmen zur explosiven Thematik, in der Versäumnisse, Verflechtungen und Fehlentscheidungen offenlagen, zurückhielt. (Dr. Cladders war einverstanden, hat sich aber klugerweise nicht in die Konzeption eingemischt.“6)

Die Relevanz des Projekts unterstrich der Museumsdirektor indes, in dem er Hafners 1973 entstandenes Tagebuch über den Abbruch der ehemaligen Dominikanerkirche Düsseldorf mit 76 Bleistiftzeichnungen auf Kalenderblättern für das Museum erwarb.7 1972 hatte Cladders erste Arbeiten Hafners angekauft; in diesem Jahr war der Künstler einer der Akteure von Joseph Beuys´ Friedensfeier, die am Karfreitag 1972 vor dem Mönchengladbacher Münster St. Vitus stattfand.8

Ausstellung

Über die Ausstellung Lacrimae – La Crime und die performativen Aspekte der Eröffnung berichtete die Journalistin Claudia Junkers ausführlich in der Westdeutschen Zeitung: Das Wortspiel Lacrimae – La Crime (Tränen – Verbrechen) geleitet in die Jonas-Hafner-Ausstellung […]. Das Verbrechen’ weist vorwurfsvoll auf den Abbruch der neugotischen Dominikanerkirche an der Herzogstraße/​Ecke Talstraße in Düsseldorf im Jahre 1973. Die Tränen’ gelten dem kulturellen Verlust, der nach Hafner erst in der Situation des Abbruchs recht bewußt wurde. Hafner selbst trug zur Mönchengladbacher Vernissage einen schwarzen Kranz um die Stirn, geschnitten aus einem geplatzten Autoreifen, in der einen Hand einen Palmwedel’ aus dem gleichen Material, im Arm die rotgekleidete, mit Kerzen behängte Figur eines Christuskindes. Die Düsseldorfer Dominikaner – so berichtet Hafner im Katalog der Mönchengladbacher Ausstellung – verkauften Kirche und Kloster zu Beginn der 60er Jahre an die Westdeutsche Landesbank Düsseldorf. Das Geld wurde für die Kranken- und Altersversorgung der Mönche benötigt. Ein Pater im Gespräch mit Jonas Hafner: Der Beschluß, das Kloster umzulegen und den alten Konvent zu verkaufen, kam fünf Jahre vor der Sensibilisierung für die Neugotik und acht oder zehn Jahre vor dem Denkmalschutzgedanken, das heißt vor der Erkenntnis der Denkmalschutzwürdigkeit einer solch maßgebenden Neugotik‘. Zum ersten Mal zeigte Hafner die Dokumentation dieses Abbruchs neben eigenen bildhaften Gedanken zum Sinngehalt dieser Architektur und Kultstätte im vergangenen Herbst in der Kunsthalle Düsseldorf. Das Jahr des Denkmalschutzes’ kam der Präsentation am honorigen Ort sicherlich zugute. Die kleinere Mönchengladbacher Ausstellung komprimiert die Düsseldorfer Mammutschau’ – quer durch Hafners zeichnerisches, malerisches, bildnerisches, fotografisches und literarisches Werk – auf eine wesentliche Aussage. Geblieben ist die Chronik des Abbruchs in Wort und Fotografie, daneben kunst- und kultgeschichtlich bedeutende Relikte wie acht abgebrochene Säulen, alte Baupläne, ein Küchenschrank aus dem Kloster […] Dazu steuert Hafner selbst einen Kern’ bei, vom Künstler gemeint als hinterlassene Hoffnung’, Symbole, die beim Betrachter eingeschlafene und abgestorbene Bildkräfte lebendig machen‘. Zu diesen Symbolen der Unzerstörbarkeit gehören ein Schrottkreuz im Garten der Bismarckstraße 97, ein Gekreuzigter in Holz (‚Ömmes’ 1968), ein Lamm, aus Brotlaiben gebaut und gebunden, Schlangen aus Kupferdraht und überaus sensible Radierungen wie das Noli me tangere’ von 1973. Schwieriger gestaltet sich dem Betrachter der Zugang zu Hafners religiösen Ölbildern in der ersten Etage des Hauses, beispielsweise zu der großen in schrill-grellen Farben gemalten Auferstehung. Hafner über die verletzenden Töne seiner Palette: Ich verstehe Farbe nicht formal, sondern als Lebens- und Bedeutungsträger.’ Angesprochen auf seine Beziehung zu Beuys antwortete Hafner am Mönchengladbacher Eröffnungsabend: Da ist keine Abhängigkeit im Sinne eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses, es war mehr eine Begegnung. Richtig ist: Wir schöpfen aus denselben Quellen‘.“9

Am Abend des 20.7.1976 fand eine vom Museumsverein organisierte Veranstaltung in der Ausstellung statt, die die Rheinische Post wie folgt ankündigte: Diese Führung fällt anders aus als üblich: Hafner ist selbst da, um mit den Gästen zu reden. Die Form der Führung‘, so der Museumsverein, erscheint einem Werk angemessen, das in hohem Maße auf die Vermittlung von Inhalten hin angelegt ist‘.“10

Das Ausstellungsprojekt Lacrimae – La Crime ist durch Fotografien Eckhard Goldbergs dokumentiert, der viele Jahre als Pfarrer in Mönchengladbach wirkte, die Museumsaktivitäten aufmerksam verfolgte und dabei immer wieder auch die Ausstellungen fotografierte.11 Im Archiv des Künstlers existieren keine weiteren Dokumente.12

JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach, 20.7. 1976, links: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach, 20.7. 1976, links: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach, 20.7. 1976, links: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach 20.7.1976, rechts: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach 20.7.1976, rechts: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg
JONAS HAFNER, Lacrimae - La Crime, Museum Mönchengladbach 20.7.1976, rechts: Jonas Hafner, Foto: Eckhard Goldberg, Archiv Museum Abteiberg

Quellenangaben / Anmerkungen

Es folgen zwei Texte: Clara Weyergraf, Anmerkungen zur Ausstellung von Jonas Hafner/ Eröffnungsrede und Jonas Hafner, TRÄNING. Text des Kassettenkatalogs

Clara Weyergraf, Anmerkungen zur Ausstellung von Jonas Hafner/ Eröffnungsrede

„Lacrimae – La Crime“ (die Tränen – das Verbrechen) lautet der Titel dieser Ausstellung. Er bezieht sich auf den Abbruch einer neugotischen Kirche. Die neugotische Dominikanerkirche in Düsseldorf an der Herzogstraße/ Ecke Talstraße wurde 1973 abgebrochen. Das Grundstück, auf dem die Kirche stand, war vom Kloster an einen Bankkonzern verkauft worden. Ein wesentlicher Teil der Ausstellung besteht aus Fotografien und einem Abbruchtagebuch, dessen Zeichnungen wie die Fotos den Abbruch dieser Kirche dokumentieren. Aus der Kirche beziehungsweise dem dazugehörigen Kloster stammen weitere Bestandteile dieser Ausstellung, wie beispielsweise acht Sandsteinsäulen, ein großer Brotschrank wie auch die Drucke mit einer Mariendarstellung.

Fotos und Abbruchzeichungen sind mehr als bloße Dokumentation einer Aktion, die eine denkmalschutzwürdige Kirche zerstörte. Die Bewahrung der Architekturbestandteile und der Teile des Klosterinventars [sind] mehr als die Konservierung irgendwelcher Erinnerungen an etwas nicht mehr Existentes. Hafners Interesse am Abbruch der neugotischen Kirche ist weitreichender, tiefgründiger. Einige Sätze aus einem Text, dem Jonas Hafner dem Katalog zur Ausstellung beigefügt hat, erhellen sein mehrschichtiges Interesse. Er schreibt, daß der Zusammenbruch der Kirche 1942 durch Kriegszerstörungen eingeleitet wurde und sich 1973 im Abbruch vollendet. „Er (der Zusammenbruch) kam für diese Kirche 1973 ins Ziel: das Werk mit Gewalt zurückrollend bis in sein Fundament, brachte der Bruch den Raum und seinen Gegenhalt in sein letztes Licht, das blendend die Kunst der Erbauer und den Entzug ihrer Göttlichkeit in einem einzigen Blick zusammen im Fall vor die Füße schlug.“ Auf die „Kunst der Erbauer“ und den „Entzug ihrer Göttlichkeit“ hebt Hafner ab. Die Kunst der Erbauer interessiert ihn unter rein formalen Aspekten. Auch das formuliert er selbst sehr klar: „Die Formen erschienen erst im Abbruch wieder nahe und gaben ihre Vermummung durch 100 Jahre Geschichte von Religion in Deutschland auf, waren nur noch Werk, das im klaren Dingsein bestand.“ Die Zerstörung, die einerseits die Formschönheit der Architektur freisetzt, bewirkt zugleich den „Entzug ihrer Göttlichkeit“, das heißt zerstört die Funktion der Architektur der Kirche. Diese Funktion bestand wesentlich darin, dem Kollektiv der Gläubigen als Versammlungsort zu dienen, als Ort, an dem die religiösen Rituale sich vollziehen. Diese Funktion war aber bereits zu der Zeit fragwürdig geworden, als die Kirche erbaut wurde. Die neugotische Kirche des 19. Jahrhunderts ist nurmehr Symbol für eine Situation, in der der Religion noch kollektive Verbindlichkeit zukam. Wie der Verlust der kollektiven Verbindlichkeit im historischen Prozeß verlief, worin exakt er begründet ist, kann hier nicht untersucht werden. Jonas Hafner jedenfalls konstatiert diesen Verlust in einem Text über seinen Lehrer Joseph Beuys. Er schreibt in diesem Text: „Der heutige Mensch ist durch den materialistisch-technischen ‚Abnabelungsvorgang‘ der neuzeitlichen Geschichte von den Kräften der schützenden Autorität (religiös-kollektiver Führung) getrennt, auf sich selbst gestellt (individualisiert) und zur Entscheidung gestellt.‘ Der Abbruch der Kirche kann also seinerseits wieder als Symbol gedeutet werden, als Symbol für eine Situation – die aktuelle nämlich –, in der die Funktion der Kirche als Institution zumindest problematisch geworden ist. Auf eine solche Situation ‚in der der Mensch‘, wie Hafner schreibt, ‚von den Kräften der schützenden Autorität, von religiös-kollektiver Führung getrennt‘ ist, reagiert er durch individuelle Sinnfindung. Ausprägungen solch individueller Sinnfindungen sind die Werke Hafners, die diese Ausstellung zeigt.

Sämtliche Werke dieser Ausstellung, diejenigen, die unmittelbar auf den Abbruch der Dominikanerkirche sich beziehen wie auch diejenigen, die den Rahmen zum eigentlichen Ausstellungskern bilden – beispielsweise die Bilder Hafners, seine Gouachen und Graphiken – sind in ihrer Thematik religiösen Themen verhaftet. Hafner malt jedoch keine Kultbilder. Etwas überspitzt könnte man viele seiner Bilder als Anti-Kultbilder bezeichnen. Obwohl der Topos des Kultbildes häufig sowohl thematisch als kompositionell erhalten bleibt, wie beispielsweise bei dem ‚Kreuzbild‘, beim ‚Schrottkreuz‘, wie auch bei der Holzplastik, die Hafner als ‚Ömmes‘ betitelt und die eindeutig auf den Korpus des Gekreuzigten anspielt, werden durch die in Form, Farbe, Material bedingte aggressive Wirkung die dem Kultbild ursprünglich gemäße Andachtshaltung wie aber auch ein heute häufiger praktiziertes ästhetizistisches Genießen ausgeschlossen. Ein oberflächlicher und zudem empfindlicher Betrachter mag sich verletzt fühlen in seinen religiösen Gefühlen, mag sogar manches als gotteslästerlich empfinden. Ein Schock ist von Hafner vielleicht sogar intendiert. Eine Zerstörung religiöser Inhalte beabsichtigt er sicher nicht. Eine solche Zerstörung oder Nivellierung ist durch Devotionalien-Kitsch wirkungsvoller zu erreichen. Das allerdings macht Hafner auf eindrucksvolle Weise klar, in dem er eine im Druck vervielfältigte Madonnendarstellung, von einem Mönch des Düsseldorfer Klosters ausgeführt, in einem Raum seriell anordnet. Durch die serielle Aufreihung mehrerer Drucke wird die im Kitsch der Darstellung erfolgreich erzielte Sinnentleerung überdeutlich.

Hafners Sinnfindungen, die zwar einerseits religiöser Thematik verhaftet sind, weichen von tradierter Verwirklichung solcher Thematik entscheidend ab. Die Neudeutungen und Umdeutungen sind nicht ohne weiteres objektivierbar, und zwar in dem Maße nicht, als es sich eben nicht mehr um Realisierungen religiöser Stoffe handelt, die von kollektiver Übereinkunft getragen ist, sondern um in hohem Maße individualisierte Interpretationen. Vielleicht sollte man eine Objektivierung, eine definitive Entschlüsselung der Darstellungsinhalte nicht erzwingen, sondern es dem jeweiligen Betrachter überlassen, seine ebenso individuelle Sinnfindung zu betreiben. Sicher ist, daß Hafner inhatliche Botschaften übermitteln will. Seine Arbeiten gehören nicht zu der Tendenz aktuellster Kunst, die sich einzig auf Formprobleme konzentriert.


Jonas Hafner, TRÄNING. Text des Kassettenkatalogs

Die neugotische Kirche und das Kloster der Dominikaner in Düsseldorf an der Herzogstraße wurden im Winter und im Frühjahr 1973 abgerissen. Ein Bankhochhaus sollte auf ihrem Grunde hochgezogen werden. 1866-69 wurde der Chor der Kirche und ein Klosterflügel gebaut (Kirchenraum am 19. April 1869 geweiht); erst 1888-90 die Kirche fertiggebaut; 1893/94 die zweit weiteren Klosterflügel erstellt.* (* Quellen: Chronik des Düsseldorfer Dominikanerkonventes. Manuskript: Archivum Provinciae Teutoniae Ordinis Praedicatorum, Düsseldorf. Lohrum, M.: Die Wiederanfänge des Dominikanerordens in Deutschland nach der Säkularisation 1856-1875. Mainz 1971.

Baumeister war einer der hervorragendsten Architekten der neugotischen Reformarchitektur, der damalige Dombaumeister von St. Stephan in Wien, Friedrich Freiherr von Schmidt.

Von ihm stammt auch das monumentale neugotische Wiener Rathaus.

Sein schönstes Werk war die Düsseldorfer Dominikanerkirche: während mit dem Wiener Rathaus Schmidt die technische Emanzipation seines Jahrhunderts zurückzwingen wollte in das gotische Erwachen der Bürger zur Gründung eigener Stadtkultur, so versank bei seiner Düsseldorfer Schöpfung der Trotz der Gründerjahre in der Harmonie einer sprossenden Raumblüte, die in ihrem Kern sich im 14. wie im 19. Jahrhundert gebildet hat als eine Gotik mit zwei Wurzeln.

Friedrich von Schmidt entwarf dieses sein leichtestes Werk, die Düsseldorfer Dominikanerkirche, nach dem Vorbild des Altenburger Domes*, den die Zisterziensermönche im Hochmittelalter als schönes Gegenbild zum Kölner Dom gotisch ausbauten. (* Noch reiner in der „Altenberger Stilisierung“ ist Friedrich von Schmidts Pfarrkirche St. Gertrudis in Krefeld-Bockum: hier sind die Kapitelle mit Blättern heimatlicher Pflanzen erhaben aus dem Stein gehauen, ganz wie im Chor des Altenberger Domes. Die Kirche steht noch. Sie wurde sogar nachgebaut, getreu kopiert: in Lövenich Kreis Aachen die dortige Pfarrkirche.)

Typisch für dominikanische Kirchen der Ordensgründungszeit (13. Jahrhundert) ist die Kargheit und die Konzentration in den Raum hinein, wie das in anderem Geist auch für die Zisterzienserkirchen gilt.

Der Architekt folgte also einer rückschauenden Aufklärung, indem er

den Dominikanern, (die erstmals seit Napoleonischen Säkularisation wieder als Orden in Deutschland hier in Düsseldorf festen Fuß fassten), das klare Maß und die blütenhafte Entfaltung eines hochmittelalterlichen Baues in neuer Lösung bot.

Auf Altenbergs Vor-Bild, durch viele liebenden Kräfte dem Verfall entrissen, ließ sich ein physischer und geistiger Raum gründen.

Die Großartigkeit dieser Rückgründung in die Vergangenheit ermißt man vielleicht, wenn man hört, daß der ganze Entwurf Schmidts dem damaligen Generalmeister des Ordens, P. Jandel, entschieden zu luxuriös war. Die tatsächliche Sachbezogenheit und Treue zur Ordensidee des Entwurfes wurde jedoch erkannt und setzte sich durch.

Jedenfalls für die Kirche, deren Altenberger Vorbild aus einer Naturlandschaft hier direkt in ein Neubauzentrum einer expandierenden Stadt gestellt wurde, gilt das. Sie stellte sich nach außen, zu den Bürgern hin, dar in der urbanen Nähe des Baues zur Straße: Kontemplativer Innenraum als andere Seite öffentlicher Werktätigkeit.

In Schmidts Lösung dominierte die für die Neugotik überraschende Bescheidenheit., eine große Kirche ohne städtisch-repräsentativen Platz in die Straßenflucht einzufügen, so als handelte es sich um ein barockes städtisches Kloster der Gegenreformation, das den Kult und die Predigt zu den Leuten tragen wollte, wie wenn sie in ihm ihre „Cantina“ oder ihre Kanzlei fänden: Verbindung von Alltag und Festtag über die Straße hinweg.

War die Nähe zur öffentlichen Sache zu vereinbaren mit der intensiven Kraft des inneren Raumes?

Oder (über)forderte dieser den Durch-Schnitt der Zeit durch die Religion?

Wahrscheinlich hat gerade die direkte Nähe einer architektonisch höchsten Raumveredlung, die im Inneren herrschte, zur Straße durch den Einschluß der Fassade in das Normale einer Straßenflucht die Kirche am Ende dem Abbruch näher gebracht.

Kaum vorstellbar, daß ein bedeutend auftrumpfender neugotischer Repraesenations-Dom, auf freiem Platz stehend und weiterhin Zentralsymmetrie verbreitend, abgebrochen werden wäre für einen Bankneubau.

Die Dominikaner verkauften Kirche und Kloster zu Beginn der 60er Jahre an die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf. Ihr ursprüngliches Vorhaben, vom Erlös unweit vom ehemaligen Grundstück eine moderne Kirche und Kloster in funktional angemessener Form zu errichten, gaben sie wegen der rapide gestiegenen Baukosten auf. (Das Geld wurde darauf für die dringend nötige Kranken- und Altersversorgung der Mönche der ganzen Ordensprovinz verwendet.)

Einer der Patres sagte nach dem Abbruch: „Der Beschluß, das Kloster umzulegen und den alten Konvent zu verkaufen, kam 5 Jahre vor der Sensibilisierung für die Neugotik, und 8 oder 10 Jahre vor dem Denkmalschutzgedanken, das heißt vor der Erkenntnis der Denkmalschutzwürdigkeit einer solch maßgebenden Neugotik.“

Die Dominkaner hätten aus eigener Kraft den Unterhalt der Klostergebäude und der Kirche nicht mehr tragen können. Der Komplex konnte seinem ursprünglichen Plan nicht mehr dienen, nämlich der Ausbildung der Ordensstudenten. Früher waren über 100 Patres und Brüder samt Novizen und Studenten dort wirksam, zuletzt nur noch 20.

Eine Sanierung und Restauration gerade im Hinblick auf die Folgeschäden des Krieges hätte Millionen gekostet.

Die Erhaltung der Bauten, vor allem der Kirche als authentisches Echo auf den Altenberger Dom, hätte deshalb in öffentliche Hand gehört.

Unter der Erkenntnis der Unersetzbarkeit eines solch durchdachten und durchseelten Bauwerkes, – als eines einmaligen Fensters des 19. Jahrhunderts i die Hochgotik des 14. Jahrhunderts hinein –, hätte ein öffentlicher Träger Kirche und Konvent übernehmen und in ein kulturelles Zentrum für die Menschen umwandeln müssen, denen dieses Fenster in eine geschichtlich andere Dimension auch nach Aufhebung einer kirchlichen Zweckbindung den Raum zur Umwandlung von Arbeit in ihren Sinn geboten hätte.

Auch unter der teilweise stark mitgenommenen Hülle der äußeren Erscheinung ließ sich diese Möglichkeit ins Auge fassen: die sprechende Stille des Inneren, die feurigen Rosettenfenster, die vielfältigen Wandlungen der Blattkapitelle und Schlußsteine konnten einen Betrachter so bezaubern, daß er nicht wahrnahm, daß er sich in einen n e u - gotischen Bausinn aufhielt.

Diese Substanz des Baues hatten die Mönche und Bürger bis zum Verkauf Mitte der 60er Jahre weitgehend erhalten und die Folgen der schweren Zerstörung durch Bomben 1942 (das Kloster war damals Lazarett) behoben.

Schlußsteine, Kapitelle, Gesimse, Zwerggalerie im Inneren der Kirche, die meisten Steinmetzarbeiten im Oberbereich des Schiffes und die Gewölbe waren der Bombadierung herabgestürzt und beschädigt. Sie wurden nach dem Krieg im alten Stile, eben in jener zisterziensisch strengen Auslegung des Kathedralstiles der Ile de France sowie der entsprechenden Phase des Kölner Domes, wieder frisch aus Sandstein oder Muschelkalk gehauen. Beim Abbruch ließ sich die Qualität dieser Neuanfertigungen unsere Tage aus der Nähe erkennen.

Sie waren gleichwertig mit den 100 Jahre älteren „wirklich neugotischen“ Bildhauereien, gefertigt nach dem gleichen Schema der Metamorphose von Urpflanzen: jedes Kapitell, jeder Schlußstein eine Abwandlung von drei-, fünf-, sechs- oder siebengliedrigen Pflanzensprossen. Also Wirklichkeit im Bild, die sich nach dem Evolutionsprinzip in die sinnliche Welt als ihr Geist hineinstellt: wie nennen sie Kunst.

Diese Formung im Einzelnen entsprach harmonischen Bezügen des Raumes im Ganzen.

Lediglich die Höherlegung des Chores im Zuge der Nachkriegsrestauration brachte eine Schwächung der ursprünglichen Freiheitsdimension ein, die den Raum durchzog.

Die großen Radfenster-Rosetten jedoch im Osten und Westen in den Stirnwänden des geräumigen Langhauses besaßen ein unerhöhtes Feuer und stärkten die Freisetzung kontemplativer Kräfte in diesem Raum.

Diese Rosetten, die unwiderstehlich eine Halluzination französischer Kathedralräume im Anschauenden hervorriefen, waren tatsächlich nach 1945 (!) neugeschaffen worden; sie waren besser „gotisch“ als die der Neugotik. Ein weiteres Rätsel dieses verlorenen Raumes.

Fast ebenso hochfein wie dieser Schau-Raum des vierzehnt-neunzehnten Jahrhunderts war der Kreuzgang um das Geviert von Kloster und Kirche. Besonders die 31 Schlußsteine im Zenith der Rippengewölbjoche waren von großer Delikatesse, obgleich sie die technische Kühle der Werkmacher eines 19. Jahrhunderts spüren ließen, die auf die unschuldigen gotischen Vorbilder mit dem Stolz des besseren Wissens, und besserer Werkzeuge sich bedienend, zurücksahen.

Ihre Lösungen sind zugleich handwerklich und maschinentechnisch den Möglichkeiten des Steines gerecht und dem geistigen Vorbild gemäß.

Gleiches gilt von den Mittelsäulen, der Kreuzgangfenster zum Quadrum, dem Innenhof des Klosters, hin: Sandsteinsäulen gebunden an massive rechteckige Stützrücklagen. Diese Säulen zeigten alle voneinander verschiedene Blattornamentkapitelle und Rundwulstsäulenfüße mit zwei aufliegenden Blättern über den Ecken der Würfelunterlage, und waren in ihren Proportionen der späten Gotik, in ihrer technisch scharfen Anbindung an die Fensterstützen industriellem Bewußtsein gerecht.

Lediglich acht dieser Fenstersäulen wurden drei Bildhauern von Hand ausgebaut und gerettet. Alle übrigen Schlußsteine, Kapitelle, Säulen und die meisten figürlichen Steinmetzarbeiten, die in den Bau eingelassen waren (insbesondere die Reliefs und Medaillons der Portalfront nach Norden) wurden weggekippt: Mit Bagger und Planierraupe heruntergestürzt und dann auf den Schutt geschmissen.

Der Baumeister und seine Steinmetzen hatten hier in der Düsseldorfer Dominkanerkirche einen klassischen Raum streng bis in die Details geschaffen, an welchem sich die neugotisch-gotische Entsprechungsabsicht zur wirklichen S c h ö p f u n g entfaltet hatte. Die wunderbaren Einzelheiten der Steinmetzarbeiten offenbarten, daß ihre Künstler in einer ungebrochenen Tradition die Kunst der Metamorphose eines Urbildes der Bauganzheit noch beherrschten. Ihre Lösungen waren so einprägsam, daß sogar die Nachgestaltung nach der Bombadierung noch authentische Formen erbrachte.

Ein Phänomen besonderer Kraft war die Neuschöpfung der Rosetten-Radfenster nach dem Krieg, welche die Raumdimension besser „gotisch“ durchleuchtete als die neugotischen Fenster davor es vermocht hatten.

Schlimm für das Schicksal dieses Gesamtkunstwerkes Dominikanerkirche Düsseldorf war, daß der Sandstein derart mit Binderfarbe zugeschmiert war – um die Kriegsschäden zu decken –, daß dem oberflächlichen Blick unserer Zeit nichts Erhaltungswürdiges daran schien. („Was ist denn schon an der Neugotik dran?“)

So zog der Irrtum ins Urteil, ohne daß seine Wurzel geahnt worden wäre: der Irrlauf deutscher Geschichte.

Die Formen erschienen erste im Abbruch wieder nahe und gaben ihre Vermummung durch 100 Jahre Geschichte von Religion in Deutschland auf, waren nur noch Werk, das im klaren Dingsein bestand:

Säule gegen Raum, selbst frei im Offenhalten, das nicht in den Sinn derer kam, die es brauchten:

wir und heute.

Beim Abbruch der Bagger und Planierraupe roch es wieder nach „Brand“, die Farbe platzte im Sturz von den Steinen, und das Brandschwarze von 1942 kam wieder ans Licht.

Die Geschichte roch, feuersbrünstig über 31 Jahre hinweg, nach Zusammenbruch.

Er kam für diese Kirche 1973 ins Ziel: das Werk mit Gewalt zurückrollend bis in sein Fundament, brachte der Bruch den Raum und seinen Gegenhalt in ein letztes Licht, das blendend die Kunst der Erbauer und den Entzug ihrer Göttlichkeit in einem einzigen Blick zusammen im Fall vor die Füße schlug – LACRIMAE – La Crime

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
JONAS HAFNER. Lacrimae – La Crime, 8.7.–15.8.1976

Schachtel aus braunem Karton mit lochgestanztem Fisch im Deckel, roter Aufdruck auf der Seite, geklammert, 20,5 × 16 × 2,5 cm

Inhalt: 26 Karten, 3 Plakate, Prägedruck, gestempelte Oblate

Karte mit Titel, verso Impressum, 19,5 × 15 cm

Karte mit Text Fisch“, verso Text Abendmahl“, recto rot, verso blau gedruckt, 19,5 × 15 cm

24 Karten, einseitig bedruckt in der Handschrift des Künstlers mit Text zum Abbruch der Dominikanerkirche in Düsseldorf, rot überdruckt mit Zeichnungen, 19,5 × 15 cm

Ausstellungsplakat (mehrfarbig), 77,8 × 59 cm (auseinandergefaltet)

Plakat mit Darstellung eines Abendmahls, 29,6 × 39 cm (auseinandergefaltet)

Plakat mit S/​W‑Reproduktion eines Brotlamms, 56,8 × 43 cm (auseinandergefaltet), darin eingepackt: Prägedruck eines Kelchs, 19,4 × 14,8 cm, gestempelte Oblate ø 6 cm

Foto Brotlamm: Ute Klophaus
Prägedruck: Tünn Konerding
Katalogkonzeption, Entwurf des Plakats und des Prägedrucks: Jonas Hafner (Vermerk Impressum)

Auflage: 330 Exemplare

Gesamtherstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach

Preis in der Ausstellung: 14 DM

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Die Liste folgt der Versicherungsliste, Typoskript, 22.6.1976, Archiv MAM.

1 8 Sandsteinsäulen
2 1 Holzskulptur „Ömmes“
3 48 Photos DIN A 4
4 24 Photos DIN A 3
5 50 Photos DIN A 4
6 25 Photos DIN A 3
7 7 Gouachen
8 1 Schrank
9 5 Radierungen
10 1 Radierung
11 6 Platten zu den Radierungen
12 14 Übermalungen, Aquarelle mit Gewürzen, übermalt
13 6 Schlangen (Kupferkabel)
14 8 bedruckte Tücher
15 1 Brotlamm, Plastik aus Brot
16 1 Holzkrone, Holzplastik
17 1 Skizzenbuch mit 75 Blatt

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Neue Museumsausstellung, in: Rheinische Post, 7.7.1976
o. V., Hafner führt, in: Rheinische Post, 15.7.1976

Berichte / Rezensionen / Kommentare

CJ [Claudia Junkers], Verbrechen, Tränen, kultureller Verlust, in: Westdeutsche Zeitung, 14.7.1976
W. L. [Werner Lippert], Abbruch als Anklage?, in: Rheinische Post, 16.7.1976