JASPER JOHNS.
Das graphische Werk 1960–1970
JASPER JOHNS, Das graphische Werk, 1960 – 1970, 22.6. – 1.8.1971
Jasper Johns (1930 Augusta, Georgia/USA, lebt und arbeitet in New York und Edisto Beach, South Carolina/USA)
EG/Hochparterre und 1. OG
Ausstellungsübernahme von der Kunsthalle Bern. Erste Präsentation des grafischen Gesamtwerks von Jasper Johns in der BRD
Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert
„Die Ausstellung umfaßt das gesamte graphische Werk von Jasper Johns (132 Arbeiten, zusätzlich eine Auswahl von 40 Probedrucken und Varianten) und stellt es erstmalig in der Bundesrepublik aus.“1
1970 erwarb Johannes Cladders das erste Werk von Jasper Johns für die Sammlung des Städtischen Museums Mönchengladbach in der Kölner Galerie Zwirner: Light Bulb (Glühbirne) von 1969 – ein Relief aus Blei in den Maßen 99 x 43,2 x 4 cm.2
Im selben Jahr traf er im Louisiana Museum bei Kopenhagen den Direktor der Kunsthalle Bern, Carlo Huber. Huber berichtete von seinen Plänen, Jasper Johns‘ grafisches Gesamtwerk im Rahmen einer Europa-Ausstellungstournee zu präsentieren. Cladders bekundete ein großes Interesse des Mönchengladbacher Museums, das er am 24. August 1970 in einem Brief nach Bern erneut bekräftigte. Am 7. September 1970 antwortete Huber:
„Lieber Herr Cladders,
Ich war in der Tat in Ihrem Hause und habe mich an der sehr schönen Richard Long Ausstellung gefreut. Für die Jasper Johns Ausstellung sind sie bei mir seit Louisiana vorgemerkt. Die Ausstellung soll bei uns voraussichtlich vom 8. Mai bis 13. Juni gezeigt werden. Es schliesst sich eine Tournée von 6 – 8 Stationen an, sodass viele Termine möglich sind. Sobald ich in der Vorbereitung etwas weiter bin, werde ich alle Interessenten informieren und versuchen, einen Terminplan zusammenzustellen.“3
Mönchengladbach folgte als zweite Station auf die Kunsthalle Bern; der Kunstverein Hannover und die Kunsthalle Ludwigshafen schlossen sich an. Fester Bestandteil der gesamten Ausstellungstournee war zum einen das Ausstellungsplakat – ein vom Künstler produzierter Siebdruck, dessen Text man für die einzelnen Institutionen individuell anpasste. Zum anderen die von Carlo Huber herausgegebene Publikation Jasper Johns. Werkverzeichnis der Graphik 1960 – 1970 (Verlag Kornfeld und Klipstein, Bern), die von den Folgestationen in Kommission übernommen wurde. Zusätzlich gab Cladders in Mönchengladbach einen Kassettenkatalog heraus, der in einer vergleichsweise hohen Auflage von 550 Exemplaren erschien. Beim Kassettenkatalog JASPER JOHNS handelt es sich um eine Schöpfung von Johannes Cladders, der sie ohne konkrete Absprache mit dem Künstler konzipierte.4 Die fluxushafte spielerische Anmutung der Schachtel, die die Rezipient:innen gewissermaßen aktiviert (zur Aktion auffordert) – zwei innen liegende Fächer können geöffnet, eine rote Plastikrose entnommen, drei Schriftrollen entrollt werden – steht in einem verblüffenden Gegensatz zur materiellen, seriellen und konzeptuellen Ästhetik des in der Ausstellung präsentierten Werks. Cladders verstand den Kassettenkatalog ausdrücklich „als verbale und intermediale Interpretation“5der – zwischen dem Abstrakten Expressionismus und der Pop Art – positionierten Arbeit des US-amerikanischen Künstlers. Innerhalb der Reihe der insgesamt 35 Mönchengladbacher Kassettenkataloge zählt die Schachtel von JASPER JOHNS sicherlich zu den eigenwilligsten Produktionen.
Eine der Schriftrollen enthält Texte von Johannes Cladders und Carlo Huber. Aus dessen aufschlussreicher Einführung in Jasper Johns‘ Werk wird nachfolgend zitiert.
„JASPER JOHNS GEHÖRT ZU JENEN MALERN, DIE EINES TAGES PLÖTZLICH ALS GEREIFTE KÜNSTLER DASTEHEN. Fünfundzwanzigjährig hatte er 1955 die erste seiner berühmt gewordenen amerikanischen Fahnen gemalt und sich damit genau auf die Kippe zwischen gegenständlich und ungegenständlich gesetzt, an jene Stelle, wo die Unsinnigkeit dieser Unterscheidung offenbar wird. Das Bild steckt voller beabsichtiger Widersprüche: Johns gibt darin eine individuelle, handschriftliche Darstellung von etwas, das sich bestenfalls abbilden lässt, wie es ist. […]
Johns war es, der, zum Teil unter Voraussetzungen, die von Robert Rauschenberg vorbereitet worden waren, den Gang der zeitgenössischen Kunstgeschichte sozusagen eigenhändig umgeleitet hat. Er steht am Wendepunkt zwischen dem abstrakten Expressionismus der ersten Generation amerikanischer Nachkriegskunst und Pop Art. In bezug auf Bildinhalte und auf das Verhältnis zwischen Mensch und Wirklichkeit hat er alle jene Möglichkeiten eröffnet, die die Pop Art überhaupt erst möglich gemacht haben. Johns ist zwar nicht älter als die meisten Künstler der Pop-Generation, er trat jedoch früher als die ander[e]n als selbstständiger Künstler auf, und es ist die Klarheit seiner philosophischen Position, die ihn zum Wegbereiter macht.
Als Jasper Johns 1960 seine ersten Lithographien schuf, konnte man vielleicht noch annehmen, die Druckgraphik bedeute in seinem Werk nicht mehr als eine Nebenlinie. Doch schon mit der ersten größeren lithographischen Unternehmung, der Zahlenreihe 0 bis 9 von 1960 – 1963, wurde offenbar, daß Johns die Druckgraphik nicht als Nebensächlichkeit betrachtet, sondern sich entschlossen hatte, größere künstlerische Entscheidungen gerade hier zu treffen. Von etwa 1964 an kann man sogar sagen, daß die Graphik gegenüber der Malerei die Führung übernommen hat. Und von allem Anfang an hat Johns spezifische Möglichkeiten der Druckgraphik erkannt, die vor ihm nicht oder kaum gesehen worden sind: Möglichkeiten seriellen Charakters, die bereits auf den Bereich der Conceptual Art hinweisen; ein Motiv, das ihn bis heute weiter beschäftigt hat, die Beziehung zwischen Zahlenreihen und Farbkreis, verfolgt er seit dem Anfang seiner lithographischen Beschäftigung.
Bei einer Übersichtsausstellung wird besonders deutlich, wie wenige Bildthemen Johns verwendet. Es kommt aber, um einen beliebten Allgemeinplatz zu wiederholen, nicht auf den dargestellten Gegenstand an; es geht bei Johns aber auch nicht um die Darstellungsweise, sondern um das oft paradox gehaltene Verhältnis zwischen beiden; und auch das ist nicht die Hauptsache selbst, sondern das, was die Erkenntnis dieses Verhältnisses im Betrachter auslöst. Alles ist auf das ‚Dazwischen‘ angelegt, auf den Funken, der vom Werk auf den Betrachter überspringt. Johns hat gelernt, diesen Funken so präzis zu handhaben, daß er im Geiste des Betrachters genau dort zündet, wo er hingezielt war. Das erklärt, warum Johns mit so wenigen Bildmotiven auskommt. Hartnäckig nimmt er immer wieder die gleichen Gegenstände; indem er sie aber jedesmal in andere Bildzusammenhänge stellt, löst er jedes Mal einen neuen Funken aus, der an einer neuen Stelle zündet. Die demonstrative Wiederholung des Bildgegenstandes lenkt paradoxerweise von ihm ab, betont, wie unwichtig der Gegenstand ist. Sie lehrt uns vielleicht, allmählich unsere Aufmerksamkeit auf den künstlerischen Vorgang zu richten, zu dem er eingesetzt wird. Das druckgraphische Werk umfaßt bis heute 131 Werke, die zum ersten Mal in Europa gesamthaft gezeigt werden. (Bisher hatte man nur eine Gruppe von 30 Werken sehen können.) Eine Auswahl an Probedrucken und Varianten, die überhaupt noch nie ausgestellt waren, kommt als Ergänzung dazu; an ihnen läßt sich verfolgen, wie Johns ‚auf dem Stein denkt‘.
Mit Ausnahme der dreißig von Gemini G.E.L. in Los Angeles herausgegebenen Lithographien und Bleireliefs sind sämtliche Werke dieser Ausstellung, einschließlich der Probedrucke, von Jasper Johns für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt worden. […]
Mit dem Siebdruck, den er als Plakat geschaffen hat, hat Jasper Johns dieser Ausstellung seine besondere Zuneigung bezeugt.
Wir danken ihm herzlich dafür.“6
Quellenangaben / Anmerkungen
Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Die Kunst unseres Jahrhunderts scheint wie durch eine Klammer zusammengehalten. So verschiedenartig und unterschiedlich nämlich die einzelnen Kunstäußerungen auch sein mögen - vom Kubismus bis zur Conceptual Art, vom Dadaismus bis zur Action Painting, vom Konstruktivismus bis zur Monochromie - immer stellt sich am Ende das gleiche Problem - tauchen die gleichen Fragen auf - direkt und vordergründig gestellt oder auch versteckt, verdeckt und im Hintergrund. Es geht um Wirklichkeit. Und zwar um die Wirklichkeit des außerbildnerischen Gegenstands, um die Wirklichkeit der gegenständlichen Welt einerseits und andererseits um die bildnerische, die kunstimmanente Wirklichkeit, um die Wirklichkeit der Kunst, des Kunstwerks.
Jasper Johns scheint sich zwischen diesen beiden Möglichkeiten, zwischen diesen beiden Aspekten zu bewegen. Ich sehe zunächst einmal von dem hier ausgestellten graphischen Werk ab, das, als die ersten Blätter 1960 erschienen, noch als eine Art Nebenwerk empfunden werden konnte und auch tatsächlich noch lange so bewertet wurde. Vielleicht bietet aber gerade diese Ausstellung, die das inzwischen auf über 130 Blatt angewachsene graphische Oeuvre - vermehrt noch um Probedrucke und Varianten - erstmalig und komplett vorstellt ‚ auch erstmalig Gelegenheit zur Korrektur dieser anfänglichen Vorstellung. Die Geschlossenheit dieses graphischen Werks zwingt einfach dazu, Und die Fülle des bis jetzt schon vorliegenden und in dieser Ausstellung vorweisbaren graphischen Materials kann letztlich nicht nur als Quantität, sondern muss auch als qualitativer, idealer Stellenwert im Gesamtoeuvre begriffen werden.
Darüber aber zunächst noch nicht. Wie gesagt: Jasper Johns scheint sich zwischen den beiden Möglichkeiten oder Aspekten Wirklichkeit der gegenständlichen Welt einerseits und andererseits Wirklichkeit des Kunstwerks zu bewegen. In seinen Bildern greift er zum Beispiel das Sujet der Flagge - der amerikanischen Nationalflagge - auf. Aber er nimmt nicht eben diese Flagge und stellt sie sozusagen im Original vor, sondern er nimmt diesen eigentlich unmalerischen, völlig unpitoresken Gegenstand und malt ihn. Wenn auch durch die ganz offensichtlich erkennbare Malerei der Gegenstand Flagge nicht in die Dubiosität von Kunstwerk und Alltagsgegenstand gezogen wird, wie das etwa bei den ready-mades von Duchamp geschieht, wo man lediglich durch den Ort der Ausstellung bemerkt, dass der vorgeführte Gegenstand, seiner ursprünglichen Funktion beraubt, eine andere, nämlich eine Funktion der Kunst übernommen hat, so verweist doch bei Jasper Johns die Trivialität des gewählten Sujets den malerischen Aspekt in die Ecke des Unwahrscheinlichen. Die Flagge ist zwar offensichtlich gemalt, aber sie ist doch nur eine gemalte Flagge. Was ist sie nun: eine Flagge oder ein Bild. Die Dubiosität, für die Duchamp oft nur den Ausstellungsort bemühen musste, sie zu erreichen, wird bei Johns durch Malerei bewirkt. In diesem Beispiel der Flaggenbilder ist das so.
Noch dubioser aber zum Beispiel wird Jasper Johns in seinen Abgüssen. Prototypisch stehen dafür die Güsse der Konservenbüchsen mit Pinseln darin. Es handelt sich um Bronzegüsse mit der Darstellung einer Blechbüchse und Pinseln darin, so wie sie in einem Atelier eines Malers herumsteht: eine Konservenbüchse mit noch haftendem Etikett und Pinseln, deren Stiele mit Farbe beschmiert sind. Aber das Auge verfällt einer Täuschung. Was sich da als Blechbüchse mit Pinseln gibt, ist in Wirklichkeit gar nicht das, was es augenscheinlich vorgibt. Es ist nicht einmal ein Abklatsch, sondern vom Künstler modelliert. Es ist eine alte künstlerische Disziplin: ein Guss, der durch eine farbliche Fassung in einen Wirklichkeitsbereich verwiesen wird, der nicht als Kunstwirklichkeit wahrgenommen wird, sondern als die Wirklichkeit der gegenständlichen Welt. Die Kunstwirklichkeit ist der Gegenstandswirklichkeit in diesem Beispiel täuschend ähnlich. Erst die haptische Erfahrung beim Aufheben des als leicht vermuteten Gegenstands, der sich nun als gegen alles Erfahrungswissen schwer erweist, oder das scharfe Hinsehen, das das Gemaltsein von Etikett und Farbspuren auf den Pinselstielen schließlich doch entdeckt, lässt den Gegenstand von der gewähnten Gegenstandswelt des Alltags in die Gegenstandswelt
des Kunstdings, des künstlichen, des künstlerischen umkippen.
Jasper Johns scheint also im Zwischenbereich der Wirklichkeit von Kunstwerk und Gegenstandswelt anzusiedeln zu sein. Zumindest scheint er den Zweifel provozieren zu wollen. Aber dann wäre er im Prinzip letztlich doch nichts anderes als eine Variante des großen, schon historisch gewordenen Zweiflers unseres Jahrhunderts: Marcel Duchamp.
Nun bietet aber andererseits gerade diese Ausstellung von Graphiken kaum einen Anlass, Johns in das Variieren der Machweisen von Duchamp zu verweisen. Was hier zu sehen ist, sind ganz offensichtlich künstliche Dinge der Art, die wir durch die Weise, wie sie uns entgegentreten, durch ihre Technik, durch ihre Zugehörigkeit zur Disziplin Graphik a priori als Kunstdinge ansprechen müssen und anzusprechen gewohnt sind. Hier wird kein Zweifel laut wie im Beispiel des Abgusses der Blechbüchse mit Pinseln. Hier erinnert nichts an ein ready-made. Hier ist auch nicht der kulturelle Rahmen des Museums nötig, den Kunstaspekt in die Diskussion zu tragen. Hier ist es tatsächlich der alte Rahmen der Disziplin Graphik, der die Zugehörigkeit dieser Dinge in den Bereich Kunst garantiert. Auch außerhalb des Museums, selbst auf einer Müllhalde gefunden, bleibt erkennbar, dass diese Blätter - ohne damit bereits etwas über ihre Qualität auszusagen - der Kunstwelt angehören.
Johns Blätter zeigen nichts Abstraktes im herkömmlichen Sinn des Wortes. Sie zeigen Gegenstände oder doch Gegenständliches: Zahlen, Glühbirnen‚ Taschenlampen‚ Büchsen‚ Landkarten‚ Buchstaben‚ Zahnbürsten, Zielscheiben, Flaggen. Sie treten nicht als Dinge selbst auf, in einer Wirklichkeit, die der Gegenstandswirklichkeit angehört, sondern in ihrer Abbildlichkeit. Am Beispiel der Büchse mit Pinseln sahen wir schon - wenn auch zum Verwechseln ähnlich mit der Wirklichkeit der Gegenstandswelt - dass der Gegenstand nicht dieser, sondern der Kunstwirklichkeit angehörte. Musste in diesem Beispiel noch offen bleiben, welche Wirklichkeit denn Johns tatsächlich meint - und sei es auch durch den Kunstgriff der Verunsicherung meint - so belegen doch Umfang und Bedeutung seines graphischen Oeuvres, dass er die Wirklichkeit der Kunstwelt, speziell der Malerei meint.
Duchamp setzte sich zwischen die beiden Stühle von Wirklichkeiten. Seine ready-mades kippten je nach dem Ort, an dem sie erschienen, von der einen Wirklichkeit in die andere. Johns Arbeiten können in dieser Weise gar nicht kippen. Sie sind eindeutig auf die Kunstwelt festgelegt. Er bietet nicht Gegenstände dar, sondern bildet Gegenstände ab. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch er vom Zweifel geleitet ist. Er richtet sich sicherlich auch hintergründig auf die Wirklichkeit des Gegenstands - selbst in seiner außerkünstlerischen Faktizität -‚ aber er meldet sich als Malerei an und bleibt daher automatisch und vordergründig im Bereich der Wirklichkeit des Kunstwerks. Und dort ist er bohrend und bleibt Antrieb zu immer erneutem Fragen.
Gerade in dieser Ausstellung von Graphiken wird das sehr deutlich. Es sind ja immer wieder die gleichen Gegenstände, die sich Johns vornimmt. Nur wenige Gegenstände. Ich nannte sie schon. Hier unten im Saal, wo zwei seiner Mappenwerke ausgebreitet sind und eines dieser Werke auch noch im Druck von der gestrichenen Platte, haben wir die Gegenstände von Johns praktisch fast alle vor uns und gleich dreifach. So wenige sind es also nur. Und sie wiederholen sich immer wieder, nicht nur hier unten im Saal. In den beiden anschließenden Kabinetten sind die Zahlen ausgestellt, die Zahlen von 0 - 9. Dieses Thema ist quantitativ bei Johns am stärksten vertreten. Noch durch das ganze Treppenhaus hindurch bis auf die oberste Etage ziehen sich die Zahlenbilder hin. In den Räumen der oberen Etage finden sich die kleineren Gruppen: die Darstellungen der Flagge, der Zielscheibe, der Landkarte, der Glühbirne und das Bild mit zwei Kugeln, dessen jüngste Variante von Johns als Plakat für diese Ausstellung entworfen wurde.
Es sind also immer wieder die gleichen Dinge, die Johns aufgreift. Er hat sie im Bronze- und Bleiguss bearbeitet; er hat sie gemalt, und er hat sie schließlich alle auch als Graphik behandelt - vollständig, so dass gerade eine Graphikschau in der Lage ist, sein Werk umfassend darzustellen. Und dabei zeigt sie natürlich auch, dass der thematische Rahmen dieses Werkes sehr klein ist, so auffallend klein, dass der ständigen Wiederkehr und Wiederholung schon eine besondere Bedeutung beigemessen werden muss - es sei denn, man wolle Johns lediglich Armut an Fantasie unterstellen.
Die thematische Begrenztheit dieses Werkes verweist uns darauf, dass die gewählten Gegenstände als Gegenstände selbst kaum nennenswerte oder gar entscheidende Bedeutung haben können. Die Wirklichkeit als Gegenstandswirklichkeit ist offensichtlich nicht gemeint. Dafür aber die eigene Wirklichkeitsform der Abbildlichkeit. Immer die gleichen Gegenstände erscheinen in immer anderer Weise des Abgebildetseins.
Und hier entwickelt Johns eine erstaunliche Vielfalt. Allerdings weniger in der Weise, dass er den Gegenstand aus immer wieder verschiedenen Blickrichtungen, mal aus dieser, mal aus jener perspektivischen Sicht, mal von oben oder unten, mal von dieser oder jener Seite, mal in dieser oder jener Umgebung abbildet. Der Gegenstand ändert sich kaum in seiner Position, in seiner einmal gewählten Stellung und Sicht. Aber er ändert sich in seiner malerischen - hier eben graphischen Behandlung. In dieser Behandlung liegt die Vielfalt. In dieser Behandlung entwickelt Johns eine Sensibilität, der auch die unscheinbarste Nuance nicht gleichgültig ist. So finden wir hier zum Beispiel Arbeiten in Schwarz und Grautönen, die man zunächst als einfarbige Drucke von einer Platte ansieht. Aber sie stammen von mehreren Platten. Diesen druckgraphischen Aufwand braucht Johns allerdings nicht um seiner selbst willen, sondern um die Nuancen auch bei scheinbarer Einfarbigkeit zu erzielen, die den malerischen Aspekt auf das dargestellte Ding gewährleisten.
Johns lässt praktisch keine graphische Technik aus. Er bedient sich der Lithographie und des Siebdrucks und der verschiedenen Techniken der Radierung. Lediglich Holz- oder Linolschnitt benutzt er nicht. Aber er greift auch auf die Prägung zurück - in Papier und Blei - und auf die Fotogravure. Auch die verwendeten Papiere werden bewusst in die malerische Konzeption einbezogen. Zum Teil entstehen die Varianten nur durch Rückgriff auf ein anderes Papier. Diese Ausstellung zeigt eine Vielzahl von Varianten. Auch von solchen, die dann nie in den Auflagendruck gingen. Bei Johns haben sie aber mehr als nur die Bedeutung von Andrucken oder gar verworfenen Versuchen. Ebenso wie die Drucke von den gestrichenen Platten bezeichnen gerade sie sehr deutlich, auf welche Wirklichkeit dieses Werk aus ist: auf die Wirklichkeit des Kunstwerks in seiner künstlichen Gemachtheit. Bei gleichbleibendem Sujet wird diese Wirklichkeit durchgespielt.
Gerade durch das gleichbleibende Sujet verliert der Gegenstand letztlich überhaupt seine Bedeutung. Nicht er erscheint als das Gemeinte, nicht einmal sein Abbild, sondern das Abbilden, das Bildnerische. In Johns Werk geht es nicht um gegenständlich oder abstrakt. Sein Werk könnte geradezu die Unsinnigkeit dieser Unterscheidung bezeichnen. Einer Unterscheidung, die zwischen den Wirklichkeitsbereichen von Gegenstands- und Kunstwelt zu trennen geeignet ist, aber im Bereich der Kunstwelt allein insofern ihren Sinn verliert, als sie nicht mehr eine Wirklichkeit trifft.
Jasper Johns scheint sich nur zwischen zwei Wirklichkeiten zu bewegen. Aber dass sein Werk diesen Anschein haben kann, dass es sich selbst überdeckt, zeigt, wie souverän es in der Wirklichkeit der Kunstwelt zu Hause ist. Es vermag als Kunstding in den Hintergrund zu treten und gerade dadurch alle die Fragen an die Wirklichkeiten der Gegenstandswelt zu stellen, die diese selbst überhaupt nicht stellen kann.
„Fragen“, so Carlo Huber im Vorwort zum Katalog dieser Ausstellung, „Fragen über die Beziehung zwischen Abbild und Wirklichkeit, über unsere Möglichkeiten, Wirklichkeit auch nur annähernd wahrzunehmen und somit über die Gültigkeit all unserer Welterfahrung und letztlich unseres Denkens.“
Ich möchte hier abschließend Herrn CarIo Huber, von dem ich dieses Zitat genommen habe, für die große Mühe danken, die er sich mit dem Zusammentragen des Materials dieser Ausstellung gemacht hat.
KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
JASPER JOHNS. Das graphische Werk 1960–1970, 22.6.–1.8.1971
Schachtel aus grauem Karton mit schwarzem Aufdruck, 20,5 × 16 × 3,5 cm
Inhalt: Plastikrose, fotografische Reproduktion der Plastikrose, 3 Schriftrollen
Der Innenbereich der Schachtel in zwei verschieden große Fächer unterteilt, verschlossen durch eingeklebte, aufklappbare Deckel aus weißem Karton, rot bedruckt mit der Reproduktion einer Skulptur von Jasper Johns (rechts) und dem Text „A rose is a rose …“ von Gertrude Stein (links). Auf der Innenseite der Klappdeckel links das Impressum, rechts ein Zitat von Jasper Johns. Das schmale linke Fach enthält eine Plastikrose, das rechte drei Schriftrollen: Rolle mit 10 S/W- Werkabb. und Text, 19,5 × 70,7 cm; Rolle mit Verzeichnis der ausgestellten Werke (132 Nummern), 71,3 × 19,5 cm; Rolle mit Texten von J. Cladders und Carlo Huber, 49 × 19,5 cm. Nach Entnahme der Rollen befindet sich im linken Fach unter der Plastikrose, lose im Boden liegend, die S/W‑Reproduktion der Plastikrose. Die Rollen sind mit rotem Haushaltsgummi zusammengehalten.
Auflage: 550 nummerierte Exemplare
Preis in der Ausstellung: 9 DM
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