DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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GERHARD RICHTER.
Graue Bilder

GERHARD RICHTER. Graue Bilder GERHARD RICHTER. Graue Bilder, Museum Mönchengladbach 1974/75, Gartensaal (II), Foto: Archiv Museum Abteiberg, © Gerhard Richter 2022 (05102022).
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte GERHARD RICHTER. GRAUE BILDER (Vorderseite), 1974

GERHARD RICHTER, Graue Bilder, 4.12.197412.1.1975
Gerhard Richter (1932 Dresden, lebt in Köln)

EG / Hochparterre und 1OG

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert

Grau ist für mich die willkommene und einzig mögliche Entsprechung zu Indifferenz, Aussageverweigerung, Meinungslosigkeit, Gestaltlosigkeit.1(Richter, 1975)

Gerhard Richter, der die Ausstellungsgeschichte des Museums aufmerksam verfolgte, ist auf zahlreichen Archivfotos zu sehen, so bereits – mit Ehefrau Ema und Sigmar Polke – auf der Eröffnung der Ausstellung von Joseph Beuys 1967

Bei Richters Mönchengladbacher Ausstellung handelt es sich um die erste der beiden Werkschauen, die sich ausschließlich auf eine Präsentation grauer Bilder konzentrierte. Die Ausstellung, mit der Richter alle Museumsräume und das Treppenhaus in (quasi) monochromem Grau bespielte, wanderte anschließend in den Kunstverein Braunschweig.2

Speziell im räumlichen Kontext Museum Bismarckstraße – ehemaliges großbürgerliches Wohnhaus, neogotischer Bau, der auch über einen kleinen, kapellenartigen Andachtsraum verfügte – kamen Richters Bilder als besonders enigmatisch, indifferent und konzeptuell zur Geltung. Da, wo mehrere Bilder an einer Wand hingen – wie an den langen Seitenwänden des Gartensaals – wurde die Monotonie der Reihung durch eine einheitliche Hängung der unterschiedlichen Formate auf Bildunterkante noch betont. 

Manifest in Grau“ betitelte Werner Lippert seine Ausstellungsrezension für die Rheinische Post und beschreibt das Spezifische dieser Bilder: Sie […] unterscheiden sich voneinander in den Grauwerten und im Malduktus. Die Bildoberfläche ist verschieden – pastos, gespachtelt, glatt zugestrichen etc. Die Farbwerte verschieben sich – mal gleichmäßig und dunkelgrau, dann schattiert oder tachistisch in helle und dunklere Grauwerte aufgelöst.3

Gerhard Richter – seit 1971 Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, 1972 deutscher Biennale-Vertreter in Venedig – hatte für Mönchengladbach ursprünglich 43, in Öl auf Leinwand gemalte, Bilder aus den Jahren 1968, 1970, 1972, 1973 und 1974 ausgewählt – 18 große, 11 mittlere und 14 kleine Formate.4 Tatsächlich wurden nur 31 Bilder gezeigt, die vom Künstler gemeinsam mit Johannes Cladders und Konrad Fischer arrangiert und gehängt wurden.5 Einer handschriftlichen Notiz Richters zufolge erfolgte ein Rücktransport (ins Atelier) von 12 Bildern am Tag vor der Ausstellungseröffnung.6

Ein einziges Bild 170/8 / Stadtbild M 8 (grau) – stammte aus dem Jahr 1968; die Hälfte der Werke datiert von 1974 und war offenbar eigens für die Ausstellungen in Mönchengladbach und Braunschweig produziert worden.7170/8 / Stadtbild M 8 (grau) zählt zu jenen ersten monochrom grauen Bildern, die infolge eines Destruktionsprozesses entstanden waren: Hierfür hatte der Künstler ein aus seiner Sicht missglücktes Stadtbild in neun Teile zerschnitten und eine der Tafeln grau übermalt.8

Richter 1975: Als ich anfangs (vor ungefähr acht Jahren) einige Leinwände grau zustrich, tat ich das, weil ich nicht wusste, was ich malen sollte oder, was zu malen wäre, und es war mir dabei klar, daß so ein erbärmlicher Anlass auch nur unsinnige Resultate zur Folge haben könnte. Mit der Zeit jedoch bemerkte ich Qualitätsunterschiede zwischen den Grauflächen und auch, daß diese nichts von der destruktiven Motivation zeigten. Die Bilder fingen an, mich zu belehren. Indem sie das persönliche Dilemma verallgemeinerten, hoben sie es auf; das Elend geriet zu konstruktiver Aussage, relativer Vollkommenheit und Schönheit, also zu Malerei.9

Die Ausstellung - Fotos von Gerhard Richter

Noch 1975 kaufte Johannes Cladders mit Fördermitteln des Landschaftsverbands Rheinland Richters 8 Graue Bilder, 1975 (GRAU, Werk Nr. 367/1 – 8) für die ständige Sammlung des Museums an. Bei diesen acht, je 226176 cm großen, Bildtafeln handelt es sich um eine eigenständige Werkgruppe, die nicht Teil der Ausstellung 1974/75 war. 8 Graue Bilder wurden im darauffolgenden Jahr in der Gruppenausstellung Räume – Carl Andre, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, Hans Hollein, Bruce Nauman, Gerhard Richter, Ulrich Rückriem (29.8. – 3.10.1976) gezeigt und im dazugehörigen Kassettenkatalog – mit zwei variierenden Präsentationsanweisungen für mögliche Anordnungen im Raum – dokumentiert. Im Kurztext zitiert Cladders den Künstler, der zur Programmatik dieser Werkgruppe schreibt: Ein Bild soll ja nicht schöner und auch nicht anders sein als das andere, es soll dem anderen auch nicht ähnlich sein, sondern gleich; gleich, obwohl jedes einzeln und für sich gemalt wurde, also nicht in einem und von einem Stück wie Multiples. Es war meine Absicht, daß sie gleich aussehen, aber nicht gleich sind, und daß man das sehen kann.10

Kassettenkatalog

Der Kassettenkatalog Gerhard Richter Graue Bilder erschien 1974 in einer Auflage von 330 nummerierten Exemplaren.11Der Deckel wurde innen mit grauer Farbe vollständig ausgespritzt; außen bleiben Farbspuren an den Rändern sichtbar. Der graue Innendeckel – das Bild“ – entspricht sozusagen der bemalten Rückseite einer vom Keilrahmen abgespannten Leinwand. Neben einem Text von Johannes Cladders enthält die Kassette ein beidseitig bedrucktes Leporello mit 12 verschiedenen Abbildungen eines einzigen unter verschiedenen Lichtverhältnissen fotografierten Bildes, das zum Konvolut der Mönchengladbacher Ausstellung zählte: GRAU, Öl auf Leinwand, 1974, 250200 cm (Nr. 361/2).

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, GERHARD RICHTER, Graue Bilder, Text des Kassettenkatalogs

GRAU IST DOCH AUCH EINE FARBE, UND MANCHMAL IST SIE MIR DIE WICHTIGSTE. IN DIESER AUSSTELLUNG IST SIE DIE EINZIGE. (Richter im Interview, „Deutsche Zeitung“ Stuttgart 1972).

Richter hat eine Art auszuweichen, die Methode ist: dem Stil, der Komposition, dem Sujet, dem Ästhetischen, der Aktualität, der Kreation, der gesellschaftlichen Relevanz und vielem mehr, was „man“ dem Kunstwerk abverlangt Auch der Farbe weicht er aus.

Richter wurde Anfang der 60er Jahre mit seinen Foto-Bildern bekannt. Sie passten in die damalige Landschaft der Pop Art. Bis auf ihren Grisaille-Ton, der von der „poppigen“ Buntheit befremdlich abstach. Bis 1966 malte er seine Bilder in einer Schwarz-grau-weiß-Skala. Dann wurde er auch „farbig“.

Der Grund: „…Schwarz-weiß ist wirklich keine Farbe in dem Sinne, wie ich sie vermeiden wollte. Dass im Verlauf daraus Farbe wurde, ist ein unbeabsichtigtes Ergebnis. Es ergab sich aus der Umgebung: wenn ich ein Grau neben Rot oder Grün hänge, ist es jedes Mal eine andere Farbe.“ Und die Konsequenz: „Wenn Schwarz-weiß zur Farbe wird, kann ich auch gleich richtige Farben nehmen.“ (Aus einem Interview mit R.G. Dienst in „Noch Kunst“, Düsseldorf 1970).

Mit seinen grauen Foto-Bildern hatte Richter der Farbe ausweichen wollen. Mit seinen „Farbtafeln“, die 1966 beginnen, war er jedoch nicht zu ihr zurückgekehrt oder auf sie gestoßen. Er hatte sich eigentlich nur mit Farbe gegen Farbe gewehrt. Und nicht einmal direkt gegen die Farbe selbst, sondern gegen den Umstand, dass die bis dahin benutzte Grau-Skala die von ihm angestrebte Indifferenz nicht mehr gewährleistete. Diese Aufgabe übernahm nun die ganze Breite des Farbangebots – in den „Farbtafeln“ sogar im wörtlichsten Sinne –‚ darunter auch die „Farbe“ Grau. Denn Richter griff auch weiterhin zum Grau. Die Bilder dieser Ausstellung entstanden nach 1966, und er beschäftigt sich bis heute damit.

Allerdings ist in diesen Bildern das Grau anders gebraucht als in den Foto-Bildern vor und nach 1966 oder als in den Stadt- und Gebirgsbildern. Es bindet sich nicht an ein – wenn auch noch so belangloses – Sujet, und es spaltet sich nicht deutlich in seine Komponenten Schwarz und Weiß auf, wie in den anderen Bildern der Grau-Skala. Es transportiert keine fremden Bezüge. Es bringt nur sich selbst ins Bild.

Bild, verstanden als das Gemachte, dem das Machen vorausgeht, ehe es seine endgültige und eigenständige Wirklichkeit gewinnt. Der Malvorgang, das Tun ist Richter wichtig. Ihm beweist sich Kunst heute nur im Machen. Allerdings nicht begriffen als Selbstzweck, etwa als motorische oder kalkulierte Gestik, als Umsetzung einer Gestimmtheit, als Behandlung eines Vorwurfs oder Entwicklung eines Innovativen. Er meint das Erstellen einer in sich selbst gültigen und ruhenden Wirklichkeit, der Wirklichkeit Bild.

Alle Mittel sind dazu recht, wenn sie nur Mittel bleiben. Durch seine Methode des Ausweichens verweist Richter sie immer wieder in ihre Schranken. Er lässt Komposition, Stil, Sujet usw. nicht groß werden. Er wechselt sie, löst sie ab mit bedachter Willkür. Er gebraucht sie einfach nur. So auch in den grauen Bildern dieser Ausstellung. Sofern die Gestik des Pinselduktus an Tachistisches, die dicht zugestrichenen oder ebenmäßig strukturierten Flächen an Monochromes erinnern, signalisiert gerade diese Vergleichbarkeit, dass hier lediglich etwas in Gebrauch genommen wurde.

Auch die Farbe, die jeweilig gewählte, ist für Richter nur Material, eine Art Werkzeug, die Wirklichkeit Bild – und nur sie – werden zu lassen. Allerdings hat das Grau in seinem Gesamtwerk einen besonderen Stellenwert; nicht nur historisch, entwicklungsgeschichtlich, nicht nur quantitativ. Auch und insbesondere qualitativ; denn sie enthält bereits in sich selbst als „Farbe“ oder auch „Nichtfarbe“ etwas von der Indifferenz, die Richter erstrebt und erwartet.

Das gilt in erhöhtem Maße von den grauen Bildern der Machart dieser Ausstellung. Grau ist hier ein teigiges Material, das im malerischen Vorgehen zwar Differenzierungen erlaubt, sie aber kaum sichtbar und damit differenzierbar für die Rezeption werden lässt. Richter erreicht in diesen grauen Bildern ein Höchstmaß von Indifferenz, von Kühle und Distanziertheit. Auf dem Hintergrund dieser Zurücknahmen kann die Wirklichkeit Bild voll hervortreten. In diesem Sinne spiegeln die grauen Bilder exemplarisch das Wollen und Werk Richters.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
GERHARD RICHTER. Graue Bilder, 4.12.1974–12.1.1975

Schachtel aus grauem Karton, Deckel innen mit grauer Farbe ausgespritzt, schwarzer Aufdruck auf der Seite, geklammert, 

20,2 × 15,8 × 2,8 cm

Inhalt: Doppelkarte, Leporello 

Doppelkarte mit Titel, Impressum und einem Text von J. Cladders
Leporello (Karton) mit 12 Abb. des Bildes Grau, 1974, Werknummer 361/2, Leporello: 91,5 × 19 cm (auseinandergefaltet)

Auflage: 330 nummerierte Exemplare

Preis in der Ausstellung: 9 DM

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Verzeichnis der ausgestellten Werke

Das Verzeichnis folgt der Versicherungsliste, 27.11.1974, Typoskript, Archiv Museum Abteiberg.

1) 170/8, 1968, 85 x 90 cm
2) 247/2, 1970‚ 200 x 150 cm
3) 247/7, 1970, 115 x 95 cm
4) 247/9, 1970, 86 x 91 cm
5) 334/3, 1972, 250 x 200 cm
6) 334/4, 1973, 250 x 200 cm
7) 334/10, 1972, 100 x 100 cm
8) 334/11, 1972‚ 200 x 100 cm
9) 348, 1973, 175 x 125 cm
10) 348/1, 1973, 250 x 200 cm
11) 348/2, 1973, 250 x 200 cm
12) 348/6, 1973‚ 65 x 75 cm
13) 348/7, 1973, 90 x 65 cm
14) 349/2, 1973, 250 x 200 cm
15) 349/3, 1973, 250 x 200 cm
16) 361/2, 1974, 250 x 200 cm
17) 361/3, 1974, 250 x 200 cm
18) 362/2, 1974, 96 x 102 cm
19) 362/3, 1974, 102 x 96 cm
20) 362/5, 1974‚ 150 x 120 cm
21) 363/1‚ 1974‚ 250 x 195 cm
22) 363/3, 1974, 250 x 195 cm
23) 363/4, 1974, 250 x 195 cm
24) 364/1, 1974, 90 x 75 cm
25) 364/2, 1974, 80 x 60 cm
26) 365/1, 1974, 250 x 200 cm
27) 365/2, 1974, 250 x 200 cm
28) 365/3, 1974, 250 x 200 cm
29) 366, 1974, 200 x 150 cm
30) 366/1, 1974, 200 x 150 cm
31) 366/3, 1974, 200 x 150 cm

Alle Arbeiten Öl auf Leinwand.

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Ausstellung Gerhard Richter, in: Rheinische Post, 2.12.1974

Berichte / Rezensionen / Kommentare

F. E. [Fritz Eisheuer], Kühl und distanziert, in: Westdeutsche Zeitung, 6.12.1974
Werner Lippert, Manifest in Grau. Ausstellung Gerhard Richter in Mönchengladbach, in: Rheinische Post, 9.12.1974
Wolfgang Stauch von Quitzow, Gerhard Richter, in: Die Welt, 18.12.1974
Wolfgang Stauch von Quitzow, Ausstellung in Mönchengladbach: Ein ganzes Museum voller grauer Bilder. Arbeiten von Gerhard Richter aus den Jahren 1968 – 1974, in: Aachener Volkszeitung, 30.12.1974/ General-Anzeiger Bonn, 31.12.1974/ Tagesblatt Heidelberg, 3.1.1975/ Mannheimer Morgen, 3.1.1975
Wolfgang Stauch von Quitzow, Richter in Mönchengladbach,in: Neues Rheinland, 18. Jg., Nr.1, Januar 1975, S. 36f.