DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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DER gefundene, veränderte, eingesetzte, entdeckte, (um)gedeutete, reale ... GEGENSTAND

DER gefundene, veränderte, eingesetzte, entdeckte, (um)gedeutete, reale ... GEGENSTAND DER gefundene, veränderte, eingesetzte, entdeckte, (um)gedeutete, reale ... GEGENSTAND, Museum Mönchengladbach 1977, Robert Filliou, Création permanente (1969), Foto: Unbekannt, Archiv Museum Abteiberg

DER gefundene, veränderte, eingesetzte, entdeckte, (um)gedeutete, reale … GEGENSTAND. Europäische Avantgarde der 60er Jahre. Eine Zusammenstellung aus dem Sammlungsbestand des Museums, 24.7. – 21.8.1977

Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte DER gefundene, veränderte, eingesetzte, entdeckte, (um)gedeutete, reale ... GEGENSTAND, 1977

Im Archiv des Museums Abteiberg existiert – abgesehen von den hier abgebildeten Dokumenten – kein Material zur Ausstellung.

Johannes Cladders, Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Das Wort „Gegenstand“ im Zusammenhang mit Werken der Kunst gebraucht, spricht sowohl das Dargestellte wie auch die Darstellung an. Es ist doppeldeutig, denn es kann zum Beispiel den Baum in der Natur meinen (Dargestelltes) oder auch seine Abbildung, das heißt den gemalten Baum auf einem Bild (Darstellung).

Doch der gemalte Baum ist kein Baum. Er ist Ölfarbe auf Leinwand oder farbige Kreide auf Karton. Zwischen Dargestelltem und Darstellung besteht also ein wesentlicher Unterschied. Beide sind von grundsätzlich verschiedener Natur.

Diesen Unterschied hat man nicht immer erkannt oder doch für uninteressant gehalten. In frühen Epochen der Kunst oder heute auch noch bei Naturvölkern, decken sich sogar oft Dargestelltes und Darstellung. Sie sind identisch. Zum Beispiel in Darstellungen von Gottheiten, die nicht nur als Abbildungen, sondern als die Dargestellten selbst verstanden werden.

Die Kunst des 20sten Jahrhunderts, Zeitgenossin eines allgemeinen naturwissenschaftlich exakten Denkens und kritischen Bewusstseins, musste sich an dem Widerspruch der verschiedenen Seinsebenen reiben. Die Versuche, diesen Widerspruch aufzulösen, durchziehen die jüngste Kunstgeschichte wie ein roter Faden.

Unsere Ausstellung, zusammengestellt aus den eigenen Sammlungsbeständen des Museums, bezieht sich nur auf ein kurzes Stück dieses Fadens, nämlich, wie ihr Untertitel anzeigt, auf die „europäische Avantgarde der 60er Jahre“. Die Betonung liegt besonders auf „europäisch“. Vor allem die amerikanische, aber auch die japanische Kunst, haben sich mit den gleichen Fragestellungen beschäftigt. Sie bleiben (allein schon wegen des begrenzten Raums) hier ausgeklammert.

Aber auch für die europäische Entwicklung beansprucht die Ausstellung nicht Vollständigkeit. Sie greift im weitesten Sinne Tendenzen heraus, die unter den Bezeichnungen „Nouveau Ralisme“, „Fluxus“ und „Zero“ bekannt wurden. Die Bezeichnung „Pop Art“ lässt sich hier nur bedingt ins Spiel bringen. Sie gehört mehr in die amerikanische Kunstszene, obwohl sie in Europa zuerst gebraucht wurde und europäische Künstler (zum Beispiel der Engländer Hamilton) dieser Tendenz den Weg bereiteten.

Die Ausstellung klammert sich jedoch nicht an Begriffe. Sie stellt Kunstobjekte vor, in die der „Gegenstand“ in seiner Doppel- und Vieldeutigkeit eingezogen ist: als der zufällig gefundene und einfach vorgestellte, als der veränderte, umfunktionierte und verfremdete, als der bildkompositorisch wie eine Farbe oder ein anderes Malmittel eingesetzte (Collage), als der neu entdeckte und neu gesehene, als der gedeutete und umgedeutete, als der reale, das heißt als der nicht nur auf einer anderen Ebene dargestellte, sondern als der mit sich selbst identische.

„Gefunden“‚ „verändert“, „eingesetzt“‚ „entdeckt“, „(um)gedeutet“, „real“, diese die Vorgehensweise und Absichten der Künstler andeutenden Bezeichnungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit (daher im Titel um ... verlängert). Zudem lassen sie sich aus den Werken kaum rein herausschälen. Der einerseits zufällig „gefundene“ Gegenstand kann andererseits gleichzeitig „umgedeutet“ oder bildkompositorisch wie in einer Collage „eingesetzt“ oder auch all dies zusammen sein. Immer jedoch spiegeln die Werke den Versuch, Sein und Schein (Dargestelltes und Darstellung) einander näher zu rücken oder gar in völlige Übereinstimmung zu bringen.

Das gilt auch von solchen Arbeiten, die nicht, wie zum Beispiel bei den Tintenlöschern von Arman, bei den Kaufhausauslagen von Raysse oder den Plakatwänden von Dufrêne oder Villeglé, auf einen bereits vorhandenen Gegenstand zurückgreifen. Im Prinzip liegen sie auf der gleichen Linie, nämlich eine Wirklichkeit in das Kunstwerk zu integrieren, die die Kluft zwischen Dargestelltem und Darstellung überbrückt oder gar zuschüttet. Beim Roto-Relief von Heinz Mack zum Beispiel ereignet sich „wirkliche“, nicht vorgetäuschte Bewegung, wie etwa bei den Futuristen zu Anfang unseres Jahrhunderts oder bei Fotos, die bestimmte Bewegungsphasen festzuhalten suchen. Auch bei Tinguely ist „wirkliche“ Bewegung eingesetzt. Bei Hamilton handelt es sich zum Beispiel nicht primär um die Abbildung eines Toasters sondern um die Darbietung einer bereits in der Reklame vorhandenen Abbildung eines Toasters, also um die Wirklichkeit Druckerzeugnis. Oder ein weiteres Beispiel: Ein Poem von Filliou ist nicht nur ein beliebig in Buchstaben umzusetzendes Wortgebilde. Seine Wirklichkeit als eben so und nicht anders geschriebenes Poem wird hervorgekehrt und erhält so Bildeigenschaften. Und schließlich: Ein monochrom blaues oder goldenes Gemälde von Yves Klein schließt jeden illusionistischen Gegenstand aus, um selbst zum Gegenstand zu werden, zu einem Farbobjekt.

Kunst (auch die historische) hat immer mit Erkenntnis zu tun, mit dem Versuch, Einsicht in die Wirklichkeit zu erlangen und Einklang mit dieser Wirklichkeit zu erzielen. Wirklichkeit aber meint letztlich Wahrheit. Hier schließt sich der Kreis des Kunstwerks, denn Wahrheit ist eine tragende Eigenschaft des Schönen, der Ästhetik. In diesem Sinne gewinnt auch die Banalität des Gegenstands, die sich zunächst störend und als Ärgernis vor unser Auge stellen mag, eine andere Dimension.


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