DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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DANIEL BUREN. Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in [...] Ein Manifestation von Daniel Buren

DANIEL BUREN. Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in […] Eine Manifestation von Daniel Buren DANIEL BUREN. Senkrechte farbige und weisse Streifen, Museum Mönchengladbach 1971, Streifen auf den Linien-Bussen der Stadtwerke, Photo-souvenir: Brigitte Hellgoth, Archiv Museum Abteiberg, © Daniel Buren, © VG Bild-Kunst 2024
Grundriss Erdgeschoss Obergeschoss 2 neu
Einladungskarte DANIEL BUREN. Senkrechte farbige weisse Streifen, 1971

Daniel Buren, Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in Aachen, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Münster, Saarbrücken, Saarlouis, Stuttgart – Eine Manifestation von Daniel Buren organisiert vom Städtischen Museum Mönchengladbach für die Zeit vom 28. Januar bis 7. März 1971

Daniel Buren (1938 Boulogne-Billancourt, lebt und arbeitet in Paris)
Erste Einzelausstellung in einem Museum

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

Jede Kunst ist politisch. Wir müssen deshalb den formalen als auch den kulturellen Rahmen (und nicht nur den einen oder den anderen) untersuchen, denn in diesem Rahmen existiert und entwickelt sich die Kunst.“1(Buren 1971)

Mit Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … (1971) und Zweite Folge: Von da an (1975) initiierte Daniel Buren zwei programmatische Manifestationen, die für die Diskussion institutionskritischer und ortsspezifischer Kunst wegweisend sind. Als erste öffentliche Institution gab das Museum Mönchengladbach dem französischen Konzeptkünstler die Gelegenheit, seine grundlegenden theoretischen Untersuchungen und speziell seine Rahmentheorie“ – in den Kassettenkatalogen der beiden Ausstellungen – zu publizieren. 

Buren war der einzige Künstler, der in den Jahren 1967 bis 1978 zweimal von Johannes Cladders eingeladen wurde, eine Einzelausstellung für das Museum an der Bismarckstraße zu konzipieren. Insoweit wich Cladders im Fall Burens – der seine Interventionen im öffentlichen Raum und im institutionellen Kontext als Travail in situ“ (Buren) konzipierte – explizit von seiner sonst üblichen Ausstellungspraxis ab. 

Schon in Burens erstem Kassettenkatalog von 1971 findet sich der Hinweis darauf, dass man das Projekt im Sinne einer Fortsetzung folgt“ weiterführen wollte. Das macht deutlich, welche Relevanz Cladders dem an soziologischen und politischen Prozessen orientierten Ansatz Daniel Burens beimaß. Künstler und Museumsdirektor standen seit 1970 in intensivem Austausch. Beide verband ein (philosophisches) Interesse an der grundsätzlichen Befragung des Phänomens Kunst“ (Cladders) und deren – auch historischen – Bedingtheiten. An den komplexen Funktionsmechanismen des Kunstsystems, die Buren systematisch wie ein Wissenschaftler reflektierte und analysierte. Hier der Künstler als Kunsttheoretiker und Soziologe, dort der Museumsleiter mit institutionskritischen Gedanken (und eigener künstlerischer Arbeit im Hintergrund), beide gleichermaßen Praktiker wie Theoretiker. Beide brannten im Einsatz für Themen wie Demokratisierung und Enthierarchisierung.

Cladders, der bereits 1968 in seinem programmatischen Text zum Antimuseum“ die grundlegende Reformierung der Institution gefordert hatte, dirigierte als Direktor nicht, wie seinerzeit meist üblich, von oben herab, sondern ließ den Künstler:innen größtmögliche Freiheit bei der Realisation ihrer Ausstellungen. („Ich folgte einfach dem, was Künstler machten, darin sah ich meinen Part.“2) Der um vierzehn Jahre jüngere Buren nahm mit seinem radikal konzeptuellen Zugang zur Malerei die anti-autoritären Ideen seiner eigenen Generation – den Traum von einer herrschaftslosen Sprache“ – vorweg. Seit 1965 malte er keine Bilder mehr, sondern arbeitete auf der Suche nach dem Nullpunkt der Malerei“ mit vorfabrizierten vertikal gestreiften Markisenstoffen, später auch mit Streifenpapieren. Jeder Streifen, weiß und farbig im Wechsel, 8,7 cm breit. 1967 entschied der Künstler, sein Pariser Atelier – den Ort klassischer Kunstproduktion – aufzugeben und statt eines begrenzten, auf die Rezeption (elitärer) Kunst fokussierten Publikums die Öffentlichkeit im weitesten Sinne“ (Buren) zu adressieren. Er wählte den öffentlichen Raum als Arbeitsplatz und begann unautorisiert Streifenpapiere zu plakatieren. 

Diese Affichages sauvages sind Burens erste in-situ-Arbeiten. Sie stellen die wilden“ Vorläufer der spektakulären Mönchengladbacher Aktion Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … dar.

So lautete nämlich meine eigene Definition der Arbeit in situ‘, site-specific‘ (ortspezifisch), hergestellt vor Ort, für, gegen und gemäß diesem Ort, nicht transportabel, also nicht verkaufbar. Den Ausdruck in situ‘ verwendete damals keiner, folglich durfte er nicht anders gedeutet werden also so, wie ich ihn für meine Arbeit definierte, auf die er sich ausschließlich bezog.“3(Daniel Buren, 1996)

Senkrechte farbige und weisse Streifen in Mönchengladbach

Buren und Cladders ergänzten sich in besonderer Weise. Entsprechend rasch entwickelte sich aus der 1970 begonnenen deutsch-französischen Arbeitsbeziehung, die der Düsseldorfer Galerist Konrad Fischer vermittelt hatte4, eine Freundschaft von dauerhaftem Bestand. Die Kommunikation erfolgte in englisch. 1975 gibt Cladders in seiner Eröffnungsrede zu Burens Ausstellung Von da an“ einen Rückblick auf 1971:

Anläßlich der Ausstellung [1971] gab das Mönchengladbacher Museum die Schrift Position-Proposition‘ heraus. In ihr stellte Buren bereits die Weichen für diese unsere neue Ausstellung. Er umriß die Rolle, die das Museum für die Existenz der Kunst spielt, grundsätzlich und allgemein. Er wies die Bedeutung des Rahmens‘, des Bildträgers‘ Museum auf, in den hinein bzw. auf den sich die Kunst sozusagen selbst malt‘, wo sie in Erscheinung tritt, sichtbar wird […] Buren endete seine Ausführungen mit dem Hinweis Fortsetzung folgt‘ (der damals irrtümlich ins Deutsche übersetzt war mit Fortsetzung möglich‘). Diese Fortsetzung‘ eröffnen wir heute und zwar im Sinne einer Erweiterung und Spezialisierung der sich gleichgebliebenen Frage auf das Thema Retrospektive‘ hin. In Position-Proposition‘ schrieb Buren: Es ist höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, warum das Museum existiert, welche Rolle es als Bildträger wirklich spielt und wie die Gewohnheit, dort auszustellen, zu verstehen und zu beurteilen ist. Doch nur im Rahmen der umfassenden Frage nach dem Wesen der Kunst, dieser Frage, die sich uns immer wieder aufdrängt, kann diese Teilfrage sinnvoll angegangen werden.“5

Das Projekt 1971

Dear Dr. Cladders […] At least I thank you again for all the support and assistance you gave me from the beginning to install this show as well as it was possible. Our discussion and works preparing the show will stay for me [remain] a great, high experience”6(Buren, 1971)

Buren nutzte die Möglichkeit seiner ersten institutionellen Einzelausstellung für eine großangelegte deutschlandweite Manifestation, die sich zeitgleich mit Mönchengladbach in 13 weiteren Städten der BRD ereignete: in Aachen, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Köln, Krefeld, Leverkusen, Münster, Saarbrücken, Saarlouis und Stuttgart. Das Projekt beschränkte sich nicht auf Institutionen, die im engeren oder weiteren Sinne mit Kunst zu tun hatten, sondern fand an den unterschiedlichsten Orten statt. Sowohl in Innen- wie in Außenräumen. Drei Möbelgeschäfte (Dortmund, Hannover, Krefeld), ein Kaufhaus (Mönchengladbach), öffentliche Straßen (Saarbrücken, Mönchengladbach), der Freizeitgarten der Zigarettenfabrik Jüldis (Saarlouis) und Werbeflächen von Buslinien (Mönchengladbach) wurden ebenfalls bespielt. Das Eröffnungsdatum wurde mit dem 28. Januar 1971 verbindlich für alle beteiligten Institutionen und Kooperationspartner festgelegt. Die jeweilige Dauer blieb den Partnerinstitutionen überlassen.

Senkrechte farbige und weisse Streifen - gleichzeitig zu sehen in ...

Das gesamte Vorhaben wurde von Cladders und seinem (zweiköpfigen!) Team organisiert und moderiert. Für die Realisation blieben – trotz längeren Vorlaufs – nur vier Wochen. Ende Dezember 1970 verschickte Cladders einen Aufruf an zahlreiche Kollegen, in dem er das Projekt vorstellte, um Verständnis für den Zeitdruck warb und zur Teilnahme an der Gemeinschaftsaktion einlud: Das städtische Museum Mönchengladbach veranstaltet in der Zeit vom 28. Januar bis 7. März 1971 eine Ausstellung von Buren. Sie ist nur möglich, wenn sie an verschiedenen Orten realisiert wird. […] Die Variabilität liegt nicht im Exponat selbst (das sich immer gleich bleibt) – oder in einer Vielzahl stilverwandter Exponate, wie sonst bei Einzelausstellungen eines Künstlers –, sondern im Ort (der wechselt). Die Ausstellung bedarf daher, um überhaupt verwirklicht werden zu können, der Partner, der Interessenten, die bereit sind, das Exponat zu zeigen. […] Das Exponat besteht aus einem Papier mit vertikalen farbigen und weißen Streifen. Es sind Papierfahnen von beliebiger Länge und einer Höhe von 55 cm. Sie werden auf die vorgesehene Ausstellungsstelle wie eine Tapete mit Hilfe von Leim oder Kleister geklebt. Die Größe des Exponats kann beliebig gewählt werden. Auch Klebungen über eine Ecke hinweg sind möglich. Falls Bahnen übereinander geklebt werden, ist darauf zu achten, dass die farbigen Streifen jeweils aufeinander stoßen. Bei Klebungen nebeneinander muss der regelmäßige Wechsel von farbigen und weißen Streifen beibehalten werden. Die Streifen dürfen nur in senkrechter Richtung verlaufen!“7

Des Weiteren fasst Cladders in 10 Punkten die wesentlichen organisatorischen und inhaltlichen Aspekte zur Aktion und zum Katalog zusammen. Die Angeschriebenen werden aufgefordert, bis zum 10. Januar 1971 mitzuteilen, welche Mengen an Streifenpapieren benötigt würden, an welchen Stellen sie plakatiert und wie lange sie gezeigt werden sollten. Punkt 9 und 10 des Aufrufs thematisieren Transport und Dokumentation: 9. Wir schicken Ihnen rechtzeitig die von Ihnen benötigten Mengen des Exponats (kostenlos). 10. Sie schicken uns zu und überlassen uns je zwei Fotos des von Ihnen angebrachten Exponats“.

Cladders entfaltete im Vorfeld der Aktion ein immenses Engagement, aktivierte sein großes Netzwerk. Dem Aufruf legte er detaillierte Begleitschreiben bei, die dokumentieren, wie wichtig ihm die adäquate und möglichst variantenreiche Umsetzung des Projekts war. So schreibt er an Rolf Wedewer, den Direktor des Museums Morsbroich in Leverkusen: 

Lieber Herr Wedewer! Zur Zeit arbeite ich an der Zusammenstellung einer Ausstellung von Daniel Buren, die nur aus einem einzigen Streifenexponat besteht, das in den verschiedensten Orten angebracht werden soll und daher der Mitarbeit weiterer Interessenten bedarf. Worum es im einzelnen geht und wie die Sache organisiert ist, erfahren Sie aus beiliegender Information. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Sache unterstützen könnten und mitmachen würden. Ich habe bereits eine Reihe von Kollegen angeschrieben und jeweils verschiedene Orte der Anbringung des Exponats vorgeschlagen, damit eine möglichst große Vielfalt entsteht. In diesem Falle nun fände ich es gut, wenn die Streifenexponate außerhalb Ihres Hauses an Bäumen angebracht werden könnten in der Art etwa, wie man Baumringe anlegt. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie mit diesem Anliegen so kurzfristig überfalle. Die Konzeption des Vorhabens hat sich leider sehr lange hingezogen, so daß ich jetzt erst konkret in die Organisation einsteigen kann. Es würde mich deswegen auch sehr freuen, wenn Sie mir spätestens bis zum 10.1.1971 mitteilten, ob Sie mitmachen wollen. Gegebenenfalls benötige ich bis dahin auch Ihre Angaben zu den in beiliegender Information angeschnittenen Fragen bezüglich Ort und Dauer der Anbringung der Exponate usw. Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für das neue Jahr Ihr C.“8

Rolf Wedewer war einer von vielen, die mitmachten. Wenig später verwendete die Zeitschrift Der Spiegel das attraktive Motiv der plakatierten Bäume vor Schloß Morsbroich zur Illustration des großen Berichts Buren. Neutral bei Null“, der am 8. Februar 1971 erschien. 

Effiziente Netzwerke

Besonders wirksame Unterstützung erhielt Johannes Cladders von seinem Kollegen Klaus Honnef bei der Realisiation des Vorhabens. Er organisierte allein für Münster und Aachen sechs verschiedene Standorte, konnte außerdem Dieter Honisch vom Museum Folkwang in Essen für das Projekt gewinnen.9 Honnef, der vormalige Leiter des Aachener Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst“ und neu berufene Direktor des Westfälischen Kunstvereins, hatte Buren wenige Monate zuvor (Mai/​Juni 1970) in seine Ausstellung Umweltakzente – Expansion der Kunst in der Eifelstadt Monschau integriert. Umweltakzente stellt eine der frühesten Manifestationen von Kunst im öffentlichen Raum überhaupt dar. („Unter dem Stichwort Umwelt-Akzente‘ wird in Monschau der Versuch gestartet, das Aussehen einer ganzen Stadt künstlerisch zu verwandeln.“10)

Verschiedene Orte, verschiedene Farben

Daniel Buren besorgte die Streifenpapiere in Paris, das Museum verschickte das Material am 20. Januar 1971 per Paketpost an die Kooperationspartner.11

Die Tafeln in Saarbrücken wurden mit senkrechten gelb/​weißen Streifenpapieren beklebt, die Säule in Saarlouis erhielt grau/​weiße Streifen. Gelb/​weiß plakatierte man auch in Krefeld (Die Einrichtung Schröer: Schaufenster) und in Münster (Westfälischer Kunstverein, Landeshaus, Kreishaus, Stadthaus), grau/​weiß auch in Dortmund (Interstil Schröer: Parkplatz und Schaufenster). Aachen (Gegenverkehr) und Köln (Kunsthalle: Stellwand im Foyer) erhielten violett/​weiße Streifenpapiere, Essen (Museum Folkwang), Hamburg (Hochschule für bildende Künste, Kunsthaus, Beckmann-Möbel), Leverkusen (Museum Morsbroich: Park) und Stuttgart (Staatsgalerie: Restaurierungsatelier) rot/​weiße. Die Künstlerkooperative Halfmannshof in Gelsenkirchen plakatierte orange/​weiß, Wohnbedarf Loeser in Hannover rosa/​weiß.

Kein Farbwechsel innerhalb einer Stadt, so lautete die konzeptuell eindeutige Entscheidung des Künstlers. Hingegen blieb der Entschluss, an welchen Stellen welche Formationen geklebt wurden, den jeweiligen Kooperationspartnern (abgesehen von Ausnahmen wie Leverkusen und Saarbrücken) weitgehend selbst überlassen. Im Ergebnis entstand eine ungemein anregende Vielfalt an Werken“, die ihre Umwelt aktivierten – wie der Blick auf die fotografische Dokumentation (Archiv Museum Abteiberg) vergegenwärtigt. Demokratie statt Diktat. Buren setzte auf Partizipation und Eigenaktivität, nahm die Partner als souveräne Selbstdenker“ ernst. Auch in dieser Hinsicht transportiert Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … wesentliche Ideen der 1968er-Generation. Die allerdings bereits im Material selbst enthalten sind; der Traum von einer herrschaftlosen Sprache“ manifestiert sich in Burens schlichten neutralen Streifenpapieren schließlich besonders markant. 

Als Sitz der federführenden Institution war Mönchengladbach die einzige Stadt, in der blau/​weiße Streifen plakatiert wurden. Erstens im Museum, zweitens an einem Schaufenster des Kaufhauses Heinemann und drittens an einem Bus der städtischen Verkehrsbetriebe. Im Museum klebten Buren und Ausstellungstechniker Peter Terkatz.12 Hier zogen sich die Streifenpapiere auf Sockelebene (oberhalb der Fußleisten) wie umlaufende Bänder durch das gesamte Haus. Burens Arbeit / Projekt interagierte mit zwei anderen Ausstellungen im Museum. Sie begann während der Laufzeit von Neuerwerbungen Grafik, (20.12. – 24.1.) und endete während der Ausstellung Sammlung Etzold Teil II (7.2. – 14.3.).

Rahmentheorie

Das Museum/​Galerie … ist nicht der neutrale Ort, wie man es uns glauben machen will, es ist der einzige Gesichtspunkt, unter dem ein Werk betrachtet wird. Für diesen Ort wird es schließlich auch hergestellt. Wenn man diesen nicht mit in Betracht zieht, oder wenn man ihn für natürlich und selbstverständlich hält, wird er zum mythischen und deformierenden Rahmen für alles, was dort vorgestellt wird.“13(Buren, 1971)

Der Ort verändert das Werk. Das Werk verändert das Werk: Burens deutschlandweite ortsspezifische Manifestation stellt sozusagen die eine – physische – Seite der Medaille dar. Der großartige Kassettenkatalog die andere. Er bildet das umfangreiche theoretische und intellektuelle Fundament zu Burens institutionskritischer Praxis und seiner Rahmentheorie. Ausgehend u.a. von einer kritischen Untersuchung der Neuerungen, die Paul Cezanne und Marcel Duchamp Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. ins Kunstsystem implementierten, analysiert Buren die Funktionsweisen dieses Systems und dessen aktuellen Status Quo. Er richtet sich dezidiert gegen den Illusionscharakter“ von Kunst. Tritt ein für eine Kunst, die nicht verschleiert, sondern aufklärt, aktiviert, Diskussion provoziert. 

Die leuchtend gelbe Schachtel – plakativ wie die Streifenpapiere – enthält zwei Broschüren. Die umfangreichere erste, Position – Proposition“, mit Texten des Künstlers, die zweite, Das Ausgestellte Museum“, mit einem Text des Museumsdirektors. Deutlich wird hier, wie gut beide Protagonisten sich in ihren Argumentationen ergänzten und wie entscheidend Johannes Cladders, den die Frage Was macht ein Werk zum Werk der Kunst?“ zeitlebens beschäftigte, zur Vermittlung von Burens Rahmentheorie beigetragen hat. 

Wenn – um bei Burens eigenen Streifenstücken zu bleiben – die untereinander völlig gleichartigen Papiere ihren Ort wechseln, wechseln sie mehr als nur ihn. Sie verändern ihre Bedeutung; denn im Museum werden sie automatisch unter dem Blickwinkel Kunst (positiv oder negativ) betrachtet, an der Litfasssäule als Plakat oder eventuell als Makulatur, im Möbelgeschäft oder im Büro als Tapete. […] Das alles ist nicht neu. Wir wissen es. Buren veranlasste es zu seiner Rahmen-Theorie. Allerdings nicht, wie schon einleitend gesagt, um dem Museum auf die Spur zu kommen. Seine Überlegungen gehen das Kunstwerk an und deshalb die Rahmen, die es bedeutunggebend begleiten, beginnend beim Keilrahmen und weitergehend über den Rahmen Museum bis hin zum allgemeinen kulturellen Rahmen, in dem einen Werk erscheint. Das Museum ist nicht der Ort billiger Zerstreuung oder wohlgefälliger Bestätigung einmal gewonnener Ansichten. Es ist der Ort, an dem Prozesse initiiert werden und sich abspielen. […] Die Rahmentheorie geht von der Beobachtung aus, dass die Kunst immer wieder dabei war und dabei ist, die sie wesentlich mitkonstituierenden Rahmen zu sprengen. Nicht zuletzt darin besteht ihre schöpferische Vitalität. Sie bedarf zwar immer wieder eines Rahmens, um als Kunst in Erscheinung treten zu können, und verfällt ihm auch immer wieder, doch kann das nicht davon ablenken, dass sie sich letztlich aller Rahmen entledigen möchte, um zur reinen Freiheit vorzustoßen. Einer dieser Rahmen, und zwar der bedeutsamste nach Burens Theorie, ist das Museum. Die Stoßrichtung der Kunst muss also letztlich gerade gegen diesen Rahmen gerichtet sein, will sie sich dem Idealzustand der reinen Freiheit nähern.“ (Cladders, 1971)

Relevanz von Kunst in einer demokratischen Gesellschaft 

Buren agierte von Beginn an mit größter Klarheit und strategischer Präzision. Schon in seinem ersten Brief an Johannes Cladders (Anfang Februar 1970) macht er die hohe Relevanz des Projekts deutlich und stellt die Notwendigkeit einer Terminverschiebung heraus, die Cladders auch gewährt. 

Dear Doctor Cladders, I spent almost one week to think about our project. I turn it in many ways and I finally make the choice to advise you that I prefer working more on it and to realize this exhibition after summer. All the ideas coming up for this exhibition are too much and I don´t like that, especially with such a short time to choose between them. Maybe no one is good! I also think about the catalog and that is really a problem too. If we like to do all for the best (the best result, the best risk, the best work) and as we were very [much] in accordance to meet us the more possible, to construct this show together and discuss about it, really for April it will be kind of a rush. As I already told you, your proposition having a show in your museum is a fantastic opportunity for me, giving me in the same time lots of problems.” 14

Statt – wie ursprünglich geplant – im Sommer 1970 zu eröffnen, begann die Ausstellung schließlich erst Ende Januar 1971. Das definitive Konzept stand im Gegensatz zum Konzept des Kassettenkatalogs erst im Winter 1970 fest. 

Die Fragen, die Burens Manifestation Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in … und der (gleichfalls manifesthafte) Kassettenkatalog aufgeworfen haben, sind ungebrochen aktuell. Auch mehr als fünfzig Jahre später vergegenwärtigen die Dokumente und Archivalien im Archiv des Museum Abteiberg die enorme Energie dieses Ausstellungs- und Publikationsprojekts, das in vielerlei Hinsicht wie ein Lehrstück für die Relevanz von Kunst in einer demokratischen Gesellschaft funktioniert. Senkrechte farbige und weisse Streifen steht für Teamwork und Teamgeist und für den Mut, sich mit einem intellektuell aufgeladenen Projekt im öffentlichen Raum zu exponieren, das aufgrund seiner vermeintlichen Banalität – Papierstreifen“15 – zu widersprüchlichen Reaktionen aufrufen musste. 

In our western world, so far, an artist invited in the specific location of that world as described above, is really protected to be free to do his/​her activity as freely as possible, with very little constraints. It’s not ideal but it’s generally protective. In the public space, all these protections disappear. The freedom is strongly reduced and in addition to all of that, you are constantly confronted with the most unpredictable reaction of the public who can damage or destroy the work or make it impossible! This is maybe the reason it’s so interesting and important to work in public space, because if you get through all the obstacles without reducing your own work into a mere mediocrity pleasing anyone and immediately accepted by a majority of people, you might have then the possibility to show and impose something, which will benefit the greater amount of people. While such a goal will happen with difficulty (if ever) in the museum walls.“16.(Daniel Buren)

Eröffnung der Ausstellung im Museum Mönchengladbach und After-Show-Party im Hause Diekamp

Quellenangaben / Anmerkungen

Text von Johannes Cladders im Vorfeld der Ausstellung und Johannes Cladders, DAS AUSGESTELLTE MUSEUM, Text des Kassettenkatalogs

DANIEL BUREN (1971)

Senkrechte farbige und weiße Streifen gleichzeitig zu sehen in:

Aachen / Dortmund / Essen / Gelsenkirchen / Hamburg / Hannover / Köln / Krefeld / Leverkusen / Mönchengladbach / Münster / Saarbrücken / Saarlouis / Stuttgart

Eine Manifestation von Daniel Buren – organisiert vom Städtischen Museum

Im Vorfeld der Ausstellung (28.1. – 7.3.1971) erfolgte zunächst der folgende Aufruf von J. Cladders an die kunstinteressierte Öffentlichkeit zur Mitwirkung an der Aktion (Anm.d.Red.)

Das städtische Museum Mönchengladbach veranstaltet in der Zeit vom 28. Januar bis 7. März 1971 eine Ausstellung von Buren. Sie ist nur möglich, wenn sie an verschiedenen Orten realisiert wird.

Darum geht es: Das Exponat ist stets das gleiche, nämlich ein Stück Papier, farbig und weiß gestreift. Nicht das Stück selbst hat Bedeutung (wie etwa das Bild herkömmlicher Art in sich selbst Bedeutung trägt), sondern der Ort, an dem es zu sehen ist, teilt ihm seine Bedeutung mit. Im Museum ist es etwas anderes als an einer Litfasssäule, in einem Möbelgeschäft etwas anderes als in einem Schwimmbad, in einem Restaurierungsatelier etwas anderes als an einem schwarzen Brett, in einem Kunsthistorischen Institut etwas anderes als in einer Kunstakademie, als „Baumring“ etwas anderes als zu einer Fassadenbeklebung verwandt, usw.

Die Variabilität liegt nicht im Exponat selbst (das sich immer gleich bleibt) – oder in einer Vielzahl stilverwandter Exponate, wie sonst bei Einzelausstellungen eines Künstlers -, sondern im Ort (der wechselt). Die Ausstellung bedarf daher, um überhaupt verwirklicht werden zu können, der Partner, der Interessenten, die bereit sind, das Exponat zu zeigen.

Falls Sie die Ausstellung mit verwirklichen wollen, ist von Ihnen zu tun, bzw. wird von uns veranlasst oder bereitgestellt:

1. Sie teilen uns bis spätestens 10. Januar 1971 mit, an welchen Stellen (bitte genaue Angaben) Sie das Exponat zeigen werden.

2. Sie fordern bei uns die entsprechenden „Mengen“ des benötigten Exponats an.

3. Sie teilen uns mit, wie lange (Daten) und zu welcher Zeit (Uhrzeiten) es an den vorgesehenen Stellen zu sehen sein wird. (Für alle Partner verbindliches Anfangsdatum ist der 28. Januar. Die Dauer ist beliebig. Bei Anbringung im Freien kann auf Angabe von Enddatum und Uhrzeiten verzichtet werden.)

4. Sie kleben zu Beginn der Ausstellung das Stück an die vorgesehene Stelle. (Das Stück muss unbedingt aufgeleimtwerden, um völlige Gleichartigkeit des Exponats zu gewährleisten.)

5. Wir lassen ein Plakat drucken, auf dem alle Ausstellungsorte in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt sind. Teilen Sie uns bitte mit, wie viele Exemplare Sie benötigen.

6. Wir lassen eine Ausstellungs-Ankündigung drucken. Auf ihr sind alle Stellen alphabetisch genannt, wo das Exponat zu sehen ist (mit genauer Orts-, Dauer-, und Zeitangabe). Diese Ausstellungs-Ankündigung ist als eine Art Ausstellungskatalog zu werten. Sie eignet sich zur Auslage, falls das Exponat in Innenräumen gezeigt wird. Falls Sie also von diesen Ankündigungen Exemplare benötigen, bitte Anzahl mitteilen.

7. Wir geben eine Kassettenpublikation heraus. Sie ist weniger als Katalog der Ausstellung gedacht, vielmehr als Erklärung und Erläuterung des Vorhabens. Sie enthält umfangreiche theoretische Abhandlungen von Daniel Buren und ein Vorwort von J. Cladders.

8. Falls Sie an der Übernahme dieser Publikation interessiert sind, teilen Sie uns bitte mit, wie viele Exemplare Sie benötigen. Es ist an eine Gesamtauflage von 550 Exemplaren gedacht. Der Herstellungspreis ist noch nicht kalkuliert. Er wird sich zwischen DM 5 und DM 10 bewegen. Der Verkaufspreis steht Ihnen frei. Da eine kommissionsweise Überlassung für unser Abrechnungsverfahren zu umständlich ist, können nur Festbestellungen angenommen werden.

9. Wir schicken Ihnen rechtzeitig die von Ihnen benötigten Mengen des Exponats (kostenlos).

10. Sie schicken uns zu und überlassen uns je zwei Fotos des von Ihnen angebrachten Exponats.

Die Kooperation ist – wie Sie sehen – von der organisatorischen Seite her nicht schwierig. Aber die Sache steht etwas unter zeitlichen Druck. Er ließ sich leider nicht vermeiden, obwohl die Erarbeitung des Ausstellungskonzepts seit Sommer 1970 mit Buren im Gange ist.

Das Exponat besteht aus einem Papier mit vertikalen farbigen und weißen Streifen. Es sind Papierfahnen von beliebiger Länge und eine Höhe von 55 cm. Sie werden auf die vorgesehene Ausstellungsstelle wie eine Tapete mit Hilfe von Leim oder Kleister geklebt. Die Größe des Exponats kann beliebig gewählt werden. Auch Klebungen über eine Ecke hinweg sind möglich. Falls Bahnen übereinander geklebt werden, ist darauf zu achten, dass die farbigen Streifen jeweils aufeinander stoßen. Bei Klebungen nebeneinander muss der regelmäßige Wechsel von farbigen und weißen Streifen beibehalten werden. Die Streifen dürfen nur in senkrechter Richtung verlaufen.

Johannes Cladders, DAS AUSGESTELLTE MUSEUM, Text des Kassettenkatalogs

Die Arbeit (Theorie und Praxis) von Daniel Buren lässt sich – wenn man will – als als Plädoyer für das Museum auslegen; denn er misst dem Museum eine weit über den üblichen Stellenwert hinausgehende Bedeutung bei. Andererseits führt er aber auch einen Angriff gegen das Museum, der in letzter Konsequenz mehr als nur die Oberfläche oder ein Detail angeht. Plädoyer wie Angriff geschehen allerdings gar nicht des Museums selbst wegen, sondern im Hinblick auf die Kunst. Indem er die Position der Kunst anpeilt, löst er automatisch die Fragen des Museums aus. So fordert er beide gleichermaßen heraus.

Das Museum sollte die Herausforderung annehmen.

„Fortsetzung möglich.“ Diese Bemerkung am Schluss der theoretischen Darlegungen von Buren ist sicherlich nicht als Aufforderung an andere zu verstehen. Doch sie reizt zu einer parallelen Beschäftigung. Diese kann weder das gleiche Ziel noch den gleichen Gegenstand haben (sonst wäre sie tatsächlich „Fortsetzung“, im Sinne von Erweiterung, Korrektur oder auch Gegenargumentation). Ihre Richtung ist eher gegenläufig, so dass zwar die gleichen Stationen passiert werden können, ein Zusammenfallen sich jedoch grundsätzlich ausschließt.

Die Herausforderung, die in Burens Arbeit enthalten ist, kommt zu einem Zeitpunkt, da das Museum schlechthin in die Diskussion geraten ist. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass nicht zuletzt auch diese Diskussion Ansatzpunkte für Theorie und Praxis von Buren lieferte. Er besitzt schließlich genügend Erfahrung mit Museen und Galerien – Erfahrungen, die nicht aus der Oberflächlichkeit des technischen Betriebs, des verwaltungsmäßigen Ablaufs oder eines anderen peripheren Aspekts gewonnen wurden, sondern aus tiefer gründenden Bereichen. Nur um sie kann es gehen, wenn hier in parallelen Überlegungen vom Museum die Rede sein soll.

Burens Arbeit entwickelt sich von zwei Seiten her. Die eine zeigt im Wesentlichen statischen Charakter. Sie ist die praktische Seite. Sie besteht aus dem Tun und zugleich aus dem stets gleichen oder ähnlichen Stück, nämlich einem farbig und weiß gestreiften Papier, mit dem etwas getan wird. Im Grunde genommen immer das Gleiche getan wird: Aufleimen auf einen Träger, auf einen Grund, dessen Materialität (sei es Mauerwerk, Holz, Glas oder Beton) weniger von Bedeutung ist als die Verschiedenheit des Ortes, dessen Bestandteil der Träger ist (sei es Museum, Ladengeschäft, Litfasssäule, Bauzaun, Bus oder Park). Die andere Seite charakterisiert sich durch ein prozesshaftes Verhalten und Reagieren. Sie ist die Seite der Theorie, die Seite, die das Tun beobachtend reflektierend und ordnend begleitet. Beide Seiten erst bilden die Arbeit, und zwar eine stets andere Arbeit.

Hier lässt sich bereits einhaken, denn der Vergleich zum Museum drängt sich auf. Auch das Museum, stellen wir es einmal parallel zum Begriff „Arbeit“ bei Buren (und unterschlagen wir die Vorstellung eines bestimmten architektonischen Gebildes, in dem das Museum beheimatet ist), lässt sich nach Theorie und Praxis auseinandernehmen. Praxis hat dann ebenfalls die Bedeutung eines sich fast stets gleichbleibenden Tuns (wie Darbieten und Aufbewahren von Objekten). Die Theorie entwickelt sich ununterbrochen an diesem Tun, selbst dann, wenn sie zeitlich vorausgeht. Denn das Tun bleibt die Kontrollinstanz, die über die Theorie befindet.

Es kann nun nicht Sinn einer Paralleluntersuchung sein, nach solchen und weiteren Vergleichsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Dieser erste sich aufdrängende Vergleich müsste bereits unterdrückt werden, sollte er des Vergleichs und nicht der Möglichkeit wegen betrieben sein, einen Einstieg in die eigentlichen Fragestellungen zu finden.

Auf das Anbringen der farbig und weiß gestreiften Papiere an den verschiedenartigsten Orten und den damit gemachten Erfahrungen gehen Burens Theorien zurück. Ein Werk ist nicht ein Werk der Kunst schlechthin, sondern es ist bedingt durch den Blickwinkel, aus dem heraus es gesehen wird. Das ist eine der Erfahrungen. Der Ort, an dem ein Werk gesehen wird, ist (bewusster oder unbewusster) Teil eines Wahrgenommen-Werdens und zugleich damit Bestandteil des Werkes selbst. Wenn – um bei Burens eigenen Streifenstücken zu bleiben – die untereinander völlig gleichartigen Papiere ihren Ort wechseln, wechseln sie mehr als nur ihn. Sie verändern ihre Bedeutung; denn im Museum werden sie automatisch unter dem Blickwinkel Kunst (positiv oder negativ) betrachtet, an der Litfasssäule als Plakat oder eventuell als Makulatur, im Möbelgeschäft oder im Büro als Tapete.

Diese Erfahrung, so könnte man glauben, lasse sich nur mit Objekten der Kunst machen, die von sich her nicht eindeutig festlegbar sind und sowohl einem außerkünstlerischen wie künstlerischen Bereich angehören können. Doch dieser Eindruck ist vorschnell und täuscht. Buren steigt hier zwar nicht ausdrücklich in eine Korrektur ein, sie ließe sich jedoch unschwer nachholen mit Verweisen auf die Höhlenzeichnungen von Altamira über die monolithischen Skulpturen der Osterinseln bis hin zum Altar- und Votivbild in europäischen Kathedralen. Sie alle werden erst unter dem Blickwinkel Kunst betrachtet, seit sie den Weg ins Museum (Museum in seinen Vorformen und in seinen Erweiterungen in Form von Kunstzeitschriften usw. verstanden) gefunden haben. Und seither werden konsequent und unvermeidlich Dome und Höhlen wie Museen durchwandert.

Das alles ist nicht neu. Wir wissen es. Buren veranlasste es zu seiner Rahmen-Theorie. Allerdings nicht, wie schon einleitend gesagt, um dem Museum auf die Spur zu kommen. Seine Überlegungen gehen das Kunstwerk an und deshalb die Rahmen, die es bedeutunggebend begleiten, beginnend beim Keilrahmen und weitergehend über den Rahmen Museum bis hin zum allgemeinen kulturellen Rahmen, in dem einen Werk erscheint.

In der Diskussion um das Museum spielen Cafeteria und Kindermalstuben, Eintrittspreise und Öffnungszeiten, Besucherorganisation und Stellenpläne oft eine Rolle, als handele es sich um entscheidende Fragen. Sie berühren aber nur die (sicherlich diskussionswürdigen) Außenseiten des Problems. Von dorther ist dem Museum selbst jedoch nicht beizukommen, und sofern man das meint, bedeutet das die Flucht aus dem Museum, weil man den eigentlichen Fragen ausweicht.

Die Rahmentheorie von Buren zielt zwar nicht auf die Lösung irgendwelcher Museumsprobleme ab. Sie basiert jedoch auf Erfahrungen und Realitäten, an denen das Museum nicht vorbeisehen sollte. Die Tatsache, dass das Museum Bedeutung bewirkende und verändernde Funktion besitzt, ist genau die Realität, die es bei der nicht nur zur Zeit, sondern im Grunde ständig erforderlichen Besinnung auf den eigenen Stellenwert und den daraus resultierenden Praktiken zu nutzen gilt.

Wie schon gesagt, Theorie und Praxis bilden auch im Museum eine nicht auseinanderdividierbare Einheit. Die Praxis, das Tun, ist sich im Grunde immer gleich geblieben, doch welche Erkenntnis man jeweils daraus gewinnt und mit welcher Absicht man es begleitet, schafft die Realität immer wieder neu und erhält dem Museum seine kreative Vitalität. Und nur auf sie kommt es an, jenseits aller peripheren Zweckmäßigkeiten.

(Parallel dazu Buren, zwar in anderem Zusammenhang, doch mit vergleichbarer Intention: „Auch wenn eine ‚Realität‘ schon ‚gefunden‘ ist, muss sie befragt und also beständig neu geschaffen werden.“)

Buren wirft – immer mit dem Blick auf die Kunst – den Kubisten und insbesondere Duchamp vor, Scheinlösungen geliefert zu haben, den wirklichen Problemen ausgewichen zu sein und ihrer Verschleierung damit Vorschub geleistet zu haben. Sie hätten deswegen zur Entwicklung der Kunst – trotz ihres äußeren Erfolgs – nicht beigetragen, sondern der Restauration und dem Rückschritt gedient. Es bleibt dahingestellt, ob diese Behauptung einer kritischen Überprüfung standhält. In Burens Theorie besitzt sie Konsequenz und praktischen Wert. Daneben dürfte es jedoch noch andere Aspekte geben, die zu vielleicht gegenteiligen Ergebnissen führen. Das soll und kann hier nicht untersucht werden. Aber eines bleibt festzuhalten, auch applaudierte Lösungen und Erfolge bleiben immer daraufhin zu befragen, ob sie nicht in Wahrheit nur Schein sind. Und das gilt dann auch mit dem Blick auf das Museum.

Das Museum ist nicht der Ort billiger Zerstreuung oder wohlgefälliger Bestätigung einmal gewonnener Ansichten. Es ist der Ort, an dem Prozesse initiiert werden und sich abspielen. Das muss man sich immer wieder klarmachen, wenn man die Probleme nicht verschleiern und in der Diskussion über das Museum das Museum selbst nicht hinausdiskutieren will. Der Weg des Entgegenkommens und der Anpassung an rein äußerliche Bedürfnisse und erst recht der der Zugeständnisse an bestehende Ansichten und herrschende Vorstellungen ist zwar der bequemere, und er bietet sich verführerisch an. Er ist aber auch der gefährliche der Verschleierung und Verharmlosung, der weder zur Ernennung noch Selbstbestimmung des Museums führt.

Einleitend wurde gesagt, Burens Arbeit enthalte ein Plädoyer für das Museum, andererseits aber auch einen Angriff. Worin könnte er bestehen?

Die Rahmentheorie geht von der Beobachtung aus, dass die Kunst immer wieder dabei war und dabei ist, die sie wesentlich mitkonstituierenden Rahmen zu sprengen. Nicht zuletzt darin besteht ihre schöpferische Vitalität. Sie bedarf zwar immer wieder eines Rahmens, um als Kunst in Erscheinung treten zu können, und verfällt ihm auch immer wieder, doch kann das nicht davon ablenken, dass sie sich letztlich aller Rahmen entledigen möchte, um zur reinen Freiheit vorzustoßen. Einer dieser Rahmen, und zwar der bedeutsamste nach Burens Theorie, ist das Museum. Die Stoßrichtung der Kunst muss also letztlich gerade gegen diesen Rahmen gerichtet sein, will sie sich dem Idealzustand der reinen Freiheit nähern.

Unabhängig davon, dass Buren künstlerischen Bestrebungen wie Land Art oder Conceptual Art abspricht, den Rahmen Museum wirklich gesprengt zu haben und in ihnen eher eine Stärkung der Position des Museums sieht, da ja gerade sie des Museums bedürfen, um überhaupt als Kunst wahrgenommen zu werden, unabhängig also von dieser Sicht auf jüngste künstlerische Unternehmungen, bleibt festzustellen, dass der Versuch, den Museumsrahmen zu sprengen, tatsächlich auf breiter Front unternommen wird. Und es spielt bei der Wertung dieses Phänomens nur eine untergeordnete Rolle, ob es sich um geglückte, missglückte oder nur scheinbare Manöver handelt.

Buren selbst tritt mit seiner eigenen Arbeit zum Angriff an, und er ist davon überzeugt, dass ihm das Verlassen des Museumsrahmens gelungen ist und seine Arbeit im nächst weiteren, nämlich im allgemeinen kulturellen Rahmen erscheint. Diesen Rahmen zu sprengen hält er allerdings für unmöglich, zumindest in absehbarer Zeit für verfrüht.

Das kann nicht ohne Kritik hingenommen werden. Allerdings mit einer Kritik, die den Weg des Museums im Augenmerk hat und nicht die Belehrung der Kunst im Sinne eines Zurechtweisens auf den „richtigen Weg“.

Wir müssen davon ausgehen, dass der Angriff der Kunst auf das Museum tatsächlich erfolgt. Sollten wir zugleich nicht auch fragen, ob das nicht immer so war? Die Kunst hat immer die bestehenden Rahmen gesprengt, doch auch immer wieder in einem Rahmen erscheinen müssen. Es stimmt sicherlich, wenn Buren sagt, das Museum sei der stärkste Rahmen. Jedenfalls hat es bis jetzt seine Rahmenfunktion bewahren können, die es einmal aufbaute, als es nach und nach das hineinholte, was ihm nun wirklich nicht eigen sein konnte. Nicht lange danach musste die Kunst auszubrechen versuchen, um überhaupt kreativ und damit Kunst bleiben zu können. Dass es ihr nicht gelang, spricht nicht gegen sie - wohl für das Museum, das seine Rolle immer noch wahrzunehmen verstand.

Ob das so bleiben muss? Buren spricht vom allgemeinen kulturellen Rahmen, der auch das Museum mit umfasst, und der deswegen der nächst weitere sei. Das ist ebenso richtig für sein Bemühen, in den nächst größeren Rahmen auszubrechen, wie unzutreffend aus der Sicht des Museums. Aus dieser Sicht stellt sich der allgemeine Rahmen nämlich aus der Addition der verschiedenartigsten Beiträge dar, ohne die es diesen Rahmen gar nicht gäbe. Das Museum bringt seinen spezifischen Beitrag mit ein. So lange es dies vermag, wird es auch zwangsläufig mit einbringen, was immer wieder mit gutem Recht von sich sagen darf, den Rahmen des Museums gesprengt zu haben.

Um das zu leisten – was gleichzeitig bedeutet, um als Museum weiter zu existieren – ‚ bedarf es allerdings mehr als der Überlegung, wie man es äußerlich attraktiver gestalten könne; mehr auch als des krampfhaften Bemühens, alles, was neu in der Kunst ist, zu propagieren; mehr auch als der Beharrung auf „garantierten Werten“!

Das Museum ist der Ort der Geschichte, einer Geschichte, die über das Auge in unsere Wahrnehmung tritt. Es wurde schon gesagt, das Museum sei der Ort, an dem Prozesse initiiert werden und sich abspielen. Sie lassen sich nun konkreter bezeichnen: Es sind die Prozesse des Geschichtlichen, durch die Vergangenheit überhaupt lebt. Ihre Auslösung geschieht immer nur in einer jeweiligen Gegenwart und durch sie. Was Buren den „Bruch“ mit einem jeweiligen Rahmen nennt, garantiert nicht nur der Kunst ihre kreative Existenz, was gleichbedeutend mit ihrem Weiterleben ist, es sichert auch dem Museum die Inganghaltung der historischen Prozesse und damit die ihm eigene Kreativität.

Ob das Museum die „Brücke“ wirklich einbringt (nicht, ob es dem Neuen nachrennt) und ob es die Prozesse auch sichtbar machen und als unverwechselbaren Beitrag dem allgemeinen kulturellen Rahmen aufdrücken kann, entscheidet über seine Existenz und Berechtigung. Nur das „Wie“, das darauf Antwort verlangt, führt die Diskussion um das Museum an ihren Kernpunkt.

Diese Überlegungen wurden ausgelöst durch die Arbeit von Buren, die auf die Kunst zielt, indem sie sich ihrer unabdingbaren Rahmen bewusst wird und sie sichtbar macht. Sie selbst erscheint dadurch als Kunst, aber mit ihr tritt auch zwangsläufig das Museum in vielen seiner Aspekte mit in den Blick. Burens Darbietung könnte man „Die ausgestellte Kunst“ nennen, wollte man ihr einen Titel geben.

Parallel und gegenläufig dazu lässt sich diese Darbietung aber auch begreifen als

DAS AUSGESTELLTE MUSEUM.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
DANIEL BUREN. Senkrechte farbige und weisse Streifen – gleichzeitig zu sehen in Aachen, Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Hamburg, Hannover, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Münster, Saarbrücken, Saarlouis, Stuttgart. Eine Manifestation von Daniel Buren, 28.1.–7.3.1971

Schachtel aus gelb kaschiertem Karton, schwarzer Aufdruck auf Deckel und Seite, geklebt, 20,2 × 15,5 × 2 cm 

Inhalt: Titelblatt, 2 Broschüren

Einzelblatt mit Titel, verso Angaben zu den parallelen Ausstellungsmanifestationen 

Broschüre Position – Proposition“ mit Impressum und Texten von Daniel Buren, 38 S., plus 6‑seitige Klapptafel mit farbigen Schemata. Das erste Kapitel des Textes Stationen“ wurde im Kassettenkatalog erstveröffentlicht. Das zweite Kapitel Rahmen“ war 1970 als selbstständige Publikation unter dem Titel Limites Critiques“ bei Yvon Lambert, Paris erschienen.

Broschüre Das ausgestellte Museum“ mit Text von J. Cladders, 12 S. 

Auflage: 550 nummerierte Exemplare 

Preis in der Ausstellung: 10 DM

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Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Audio

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Buren-Streifen im Gegenverkehr, in: Aachener Nachrichten, 28.1.1971
o. V., Daniel Burens senkrechte Streifen, in: Aachener Volkszeitung, 28.1.1971
o. V., Mit Streifen, in: Aachener Volkszeitung, 28.1.1971
o. V., o. T., in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 29.1.1971
o. V., „Neutrale Kunst in 14 Städten gestartet“, in: NRZ / Aachener Zeitung, 30.1.1971
o. V., o. T. (Das Städtische Museum...), in: Stadtpanorama, Nr. 4, Januar 1971
o. V., Ausstellungen in Gelsenkirchen, in: Gelsenkirchener Blätter 4/71, Februar 1971
o. V., Gestreiftes Papier am Bus und an einem Schaufenster. Manifestation Daniel Buren [sic] – Etzold-Ausstellung noch bis Sonntag, in: Rheinische Post, 8.3.1971

Berichte / Rezensionen / Kommentare

Ewald Henning, Aktion Tapete. Daniel Burens Streifen, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 29.1.1971
G. S., Westfälischer Kunstverein präsentiert Manifestation von Daniel Buren. Seit fünf Jahren verhängt er die Kunst mit Streifen, in: Westfälische Rundschau, 29.1.1971
Gernot Geduldig, Streifen in vierzehn Städten. Eine Aktion von Daniel Buren – Aachener Gegenverkehr macht mit, in: Aachener Nachrichten, 30.1.1971
o. V., Die Streifen des Daniel Buren. Gleichzeitiges Kunstexperiment in Münster und anderen Städten, in: Münstersche Zeitung, 30.1.1971
Wolfgang Stauch von Quitzow, Steifen von der Elbe bis zur Niers. Städtisches Museum organisiert sich auf Bundesebene, in: Westdeutsche Zeitung, 30.1.1971
G. v. K., Streifen-weiß und gelb. Manifestation von Daniel Buren in 14 Städten, in: Westfälische Nachrichten, 30.1.1971
Helga Meister, Streifen in vielen Städten. Burens Hieb gegen die Geschlossenheit des Kunstwerks, in: Westdeutsche Zeitung, 1.2.1971
Wolfgang Stauch von Quitzow, Papierstreifen-Angriff auf das Museum. Mönchengladbach als Organisator einer Buren-Manifestation, in: Aachener Volkszeitung, 2.2.1971
Dr. U. G., Buren verhängt die Kunst mit Streifen. Münster durch geld-weiße Gitter gesehen – Wege einer neuzeitlichen Kunsttheorie?, in: Die Glocke, Bielefeld, 4.2.1971
Richard E. Tristram, Streifen, Streifen überall. Das Manifest des Daniel Buren im Gladbacher Museum, in: Rheinische Post, 6.2.1971
H. J. S., Lob der Linientreue. In Saarbrücken und Saarlouis: Plädoyer eines Senkrechtanwalts, in: Saarbrücker Zeitung, 7.2.1971
o. V., Buren. Neutral bei Null, in: Der Spiegel, Nr. 7, 8.2.1971
F. E., Steifen, in: Westdeutsche Zeitung, 10.2.1971
Georg F. Schwarzbauer, Auf Streifengang. Burens Umwelt-Dekoration, in: Frankfurter Rundschau, 20.2.1971
Wolfgang Stauch von Quitzow, Mit Papierstreifen gegen das Museum. Bundes-Manifestation geht von Mönchengladbach aus, in: General-Anzeiger Bonn, 24.2.19710
CJ [Claudia Junkers], Auf der Suche der verlorenen Realität. Museumsdirektor erläuterte Buren-Manifestation, in: Rheinische Post, 8.3.1971