DIE AUSSTELLUNGEN
UND KASSETTENKATALOGE
DES STÄDTISCHEN MUSEUMS
MÖNCHENGLADBACH
1967–1978

Digitales Archivprojekt
initiiert von Susanne Rennert und Susanne Titz

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BRACO DIMITRIJEVIĆ

BRACO DIMITRIJEVIĆ BRACO DIMITRIJEVIĆ, Museum Mönchengladbach 1975, Raum III: "Erich Hoefer", 1975, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
Grundriss Erdgeschoss 2 neu
Einladungskarte BRACO DIMITRIJEVIĆ, 1975

BRACO DIMITRIJEVIĆ, 14.3. – 20.4.1975
Braco Dimitrijević (1948 Sarajewo/​BIH, lebt in Zagreb/​HR und Paris/​F)

EG (II, III und IV), Fassade Straßenseite sowie Litfasssäulen im öffentlichen Raum.

Gleichzeitig im Treppenhaus und im 1. OG: Mel Bochner, Sol Lewitt, Robert Mangold, Brice Marden, Agnes Martin, Edda Renouf, Dorothea Rockburne, Graphiken aus der Edition der Parasol Press New York

Rekonstruktion und Text: Susanne Rennert 

In Johannes Cladders fand Braco Dimitrijević einen aufgeschlossenen Partner zur Diskussion zentraler Inhalte seiner Arbeit. Der junge jugoslawische Konzeptkünstler, der in seiner Heimatstadt Zagreb (1968 – 71) und an der Londoner St. Martin´s School of Art (1971 – 73) studiert hatte, und der progressive Museumsdirektor teilten das ausgeprägte Interesse an den historischen und soziologischen Bedingtheiten von Kunst, an jenem – so Cladders in seiner Eröffnungsrede – Mechanismus, der Kunstgeschichte schafft“. Im Gespräch betont der Künstler immer wieder, wie wichtig diese Begegnung damals für ihn war, folgenreich auch im Hinblick auf die erweiterte internationale Aufmerksamkeit, die seine Arbeit anschließend im institutionellen Rahmen erfuhr: 1976 ging Dimitrijević als Stipendiat des DAAD ein Jahr nach Berlin; im selben Jahr repräsentierte er Jugoslawien auf der Biennale in Venedig, wo der befreundete Joseph Beuys mit Reiner Ruthenbeck und Jochen Gerz im Deutschen Pavillon ausstellten. 1977 nahm er an der documenta 6 teil. 

Museum Mönchengladbach 1975, Ausstellung BRACO DIMITRIJEVIĆ, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
Museum Mönchengladbach 1975, Ausstellung BRACO DIMITRIJEVIĆ, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
Museum Mönchengladbach 1975, Ausstellung BRACO DIMITRIJEVIĆ, Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević

Dimitrijević entwickelte seinen theoretischen Ansatz ab 1969. Er erklärte die Hinterfragung von Berühmtheit und historischer Bedeutung zu einer der Leitfragen für seine Arbeit“1 und untersuchte die Rolle des Zufalls im Betriebssystem Kunst. Mit Tihomir Simčić, einem Passanten, dem er 1969 zufällig auf einer Straße in Zagreb begegnete, entwickelte er sein – heute im Kontext von Social Media-Strategien höchst aktuelles – Konzept des Casual Passer-by. (The first passer-by piece: whenever the possibility arises, he puts Simčićs name in magazines, catalogues and books, although all he knows about him is born 1905, retired 1960.’ First project for large photographs of passer-by to be exhibited in a public space. Writes the story About two Artists.”2)In den 1970er Jahren brachte er Fotoportraits und Namen unbekannter Personen auf großformatige Banner, Transparente und Plakate und hängte sie als Casual Passer-by auf Hausfassaden, Litfasssäulen und Plakatwände. Der Künstler ahmte auch andere Arten des Personenkults nach, indem er Denkmäler für Passanten baute oder Gedenktafeln zu Ehren anonymer Bürger:innen installierte.3

Fassade Museum Mönchengladbach, Bismarckstraße 97, "Casual Passer-by", Foto: Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
Fassade Museum Mönchengladbach, Bismarckstraße 97, "Casual Passer-by", Foto: Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
Fassade Museum Mönchengladbach, Bismarckstraße 97, "Casual Passer-by", Foto: Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević

Die Tatsache, dass Dimitrijević sich frei zwischen dem kommunistischen – von Titos Sonderweg“ geprägten – Jugoslawien und dem kapitalistischen Westen bewegte, ermöglichte ihm grundlegende Einsichten in die Instrumentalisierung von Propaganda und Werbung in ideologisch entgegengesetzten Ideenräumen. Auch seine familiäre Herkunft aus einer untergegangenen traditionsreichen Kulturregion, die zu den vielfältigsten in Europa gezählt hatte (Österreich-Ungarn, 1867 – 1918; Königreich Jugoslawien, 1918 – 1941), wird in Bezug auf Dimitrijevićs Reflexionen über Herrschafts- und Repräsentationssymbolik eine Bedeutung gespielt haben.

Neben Aktionen und Interventionen im öffentlichen Raum arbeitete der Künstler an konzeptuellen Foto/Text-Serien. In der Mönchengladbacher Ausstellung wurden beide Werkkomplexe präsentiert. 

Ausstellung, Fotos von Ruth Kaiser

So auch im Kassettenkatalog, der neben einem gewellten verzinkten Drahtobjekt zwei Künstlerbücher enthält. Dimitrijević erinnert: Bei der Produktion des Katalogs wurde (möglicherweise aufgrund der Produktionskosten) auf meinen Text This could be a Masterpiece‘ verzichtet, den ich für das schmale abgetrennte Kompartiment vorgesehen hatte, in dem sich der Draht befindet. Mein Vorschlag war, dass jeder Besitzer eines Kassettenkatalogs den Draht nach seinen eigenen Vorstellungen biegen und so sein eigenes Meisterwerk‘ produzieren könne. Ich konzipierte den Katalog, und Cladders folgte genau jeder Anweisung. Der Katalog war eine Erweiterung der Ausstellung.“4

Grundsätzlich gilt, dass die Werke, die im Katalog abgebildet waren, den Werken in der Ausstellung entsprachen.5 Broschüre I bildet die Casual Passer-by-Serie ab, Broschüre II dokumentiert die drei Serien Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein / This could be a place of historical interest, Dies könnte ein Meisterwerk sein / This could be a masterpiece und Dies könnte der Anlass sein ein Buch zu schreiben / This could be a reason for books to be written.

Eröffnung, Fotos von Eckhard Goldberg

Rekonstruktion der Ausstellung / Ausgestellte Werke

Außenfassade: An der zur Bismarckstraße hin gelegenen Loggia im 1. OG hing zu Beginn der Ausstellung ein großformatiges Banner mit der Aufschrift ERICH HOEFER (256293 cm).6 Dieses wurde, so der Künstler, nach kurzer Zeit gegen ein schmales Banner mit demselben Schriftzug ausgetauscht und anschließend als Teil des Werks Erich Hoefer – Casual Passer-by I met at 6.15 P.M., 1975, in Raum III aufgehängt.7 Braco Dimitrijević: In diesem Sinne fungierte das Außenbanner als Werbung für das Werk innen und lieferte gleichzeitig eine Fehlinformation über den ausstellenden Künstler, indem es das Publikum zu dem Gedanken verleitete, dass dies nicht Braco Dimitrijevics, sondern Erich Hoefers Ausstellung sei.“8

Gemeinsam mit dem Banner wurden in Raum III zwei auf Karton aufgezogene S/​W‑Fotos mit Abbildungen der Fassade und des Banners gezeigt, sowie das dazugehörige Zertifikat in Form eines maschinenschriftlichen Formulars mit handschriftlichen Eintragungen; Wortlaut: Prolzanik kojeg sam ser u — sati / Casual passer-by I met at 6.15 P.M. / Mönchengladbach 1975 / Braco D. Braco Dimitrijevic 1969.“9

Zusätzlich initiierte man (offenbar erst nach der Eröffnung) eine Poster-Aktion in der Stadt.10Auf Plakatwänden und Litfasssäulen wurde hier das Fotoportrait eines Herrn mit Brille und Anzug plakatiert.11 Auch wenn es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um Erich Hoefer, sondern um einen namentlich nicht erfassten Casual Passer-by handelte, hat dieser Fotografierte im typischen Habitus der 1970er Jahre die Vorstellung vom unbekannten Mönchengladbacher Erich Hoefer nachhaltig geprägt.12

In Raum IV und im Gartensaal wurden insgesamt sechs weitere Passer-by Werke gezeigt. 2017 erinnerte der Künstler dazu in unserem E‑Mail-Interview: In den Räumen waren verschiedene fotografische casual Passer-by Arbeiten mit Porträts unbekannter Personen in verschiedenen Städten ausgestellt. Diese Arbeiten waren gerahmt und bestanden aus dem Porträt des Passer-by, dem Foto, das die Situation in der Stadt zeigte, wo das Porträt ursprünglich gehangen hatte, sowie dem Zertifikat, auf dem Uhrzeit, Jahr und Stadt meines Treffens mit dem zufälligen Passer-by angegeben waren. In dieser Gruppe von Werken befand sich auch Casual Passer by I met at 6.24 PM, Düsseldorf 1972‘, das ich für die Einzelausstellung bei Konrad Fischer im Mai 1972 gemacht hatte und das anschließend auf der documenta 5, 1972, in Kassel ausgestellt wurde. Nach der Ausstellung kaufte Dr. Cladders das Werk für die Sammlung des Städtischen Museums Mönchengladbach. Passant, den ich zufällig um 14.39 traf. San Sicario’ war ein anderes Beispiel für ein Casual Passer-by Werk, wo eine unbekannte Person zusammen mit den Künstlern in einem Gruppenfoto erscheint.“13 Hierbei handelt es sich um die Arbeit, die Braco Dimitrijević mit Michelangelo Pistoletto und einem zufälligen Passer-by namens Emilio Chiosso auf Skiern in den italienischen Alpen zeigt.14 Der Künstler weiter: Verschiedene Beispiele von Passer-by Werken wurden gezeigt, die verschiedene Arten urbaner Sprache darstellten: gigantische Porträts auf Fassaden und Werbeflächen, Banner, Gehen mit Plakaten, Monumente, Gedenktafeln. In der Ausstellung wurden auch andere Formen der Glorifizierung zufällig ausgewählter Leute präsentiert: zum Beispiel, die Cocktailparty zu Ehren des Casual Passer-by aus Belgrad: Casual Passer-by I met at 12.16 PM, Belgrade 1974.“15

Braco Dimitrijević betont, dass im Gartensaal (Raum II) zwei von insgesamt drei Folgen seiner konzeptuellen Foto/Text-Serie zum Thema Orte, Meisterwerke, Anlässe“ ausgestellt waren, nämlich Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein / This could be a place of historical interest und Dies könnte der Anlass sein ein Buch zu schreiben / This could be a reason for books to be written.16 Beide Werkfolgen sind auf den Ausstellungsfotos von Ruth Kaiser (Archiv Museum Abteiberg) zu sehen. Da sich zwei Ausstellungsrezensionen auch auf die dritte Folge Dies könnte ein Meisterwerk sein / This could be a Masterpiece – die im Kassettenkatalog enthalten ist – beziehen, bleibt hier eine gewisse Unklarheit bestehen.17

Zu diesen konzeptuellen Arbeiten hält Claudia Junkers in ihrem Artikel Herrschaft des Zufalls in Kunst und Geschichte. Dimitrijevics fotografische Beispiele“ in der Westdeutschen Zeitung vom 20.3.1975 fest: Für die bis zum 20. April laufende Ausstellung im Städtischen Museum an der Bismarckstraße übersetzte Dimitrijevic seine Parabel von der Herrschaft des Zufalls in Kunst und Geschichte in 21 bildnerisch-fotografische Beispiele: Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein‘, orakelt der suggestive Titel einer Folge von sechs Fotografien und einer Skizze fotografischen Inhalts. Neugierig gemacht, sieht der Betrachter das pariserische Eckhaus, ein bescheidenes ländliches Gemäuer, ein Alpendorf, ein Atelier, die gute Stube von irgend jemand und die Parkecke auf den Fotobildern sozusagen mit neuen Augen‘ an. Man ertappt sich dabei, dem Quasi-Dokumentierten eine besondere Bedeutung zuzumessen, die einem ohne den Hinweis auf eine mögliche historische Relevanz des Abgebildeten nie in den Sinn gekommen wäre. Ebenso funktioniert der bedeutungsträchtige Satz der folgenden fotografischen Suite: Dies könnte ein Meisterwerk sein.‘ Er hebt das Annoncierte aus der Bedeutungslosigkeit. Über publizistische Machbarkeit von Kunst, ihre Manipulierbarkeit und über die späten Segnungen durch Literatur- und Kunstwissenschaft, Historiker und Biographen philosophiert auch die dritte fotografische Folge mit dem Titel: Dies könnte der Anlaß sein, ein Buch zu schreiben.‘ Aus Dimitrijevics listiger Frage nach der Herkunft von Kunstwerk und Werturteil spricht eine hintergründige Ironie und ein Relativismus, der beispielsweise die grundsätzliche Durchsetzungskraft des künstlerischen Genies bezweifelt.“18

BRACO DIMITRIJEVIĆ, Museum Mönchengladbach 1975, Gartensaal, Erker (II): "This could be a masterpiece", Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
BRACO DIMITRIJEVIĆ, Museum Mönchengladbach 1975, Gartensaal, Erker (II): "This could be a masterpiece", Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević
BRACO DIMITRIJEVIĆ, Museum Mönchengladbach 1975, Gartensaal, Erker (II): "This could be a masterpiece", Foto: Ruth Kaiser, Archiv Museum Abteiberg, © Braco Dimitrijević

Der Erker war vom Gartensaal (Raum II) durch eine Kordel abgetrennt. Hier installierte der Künstler zwei jeweils mehrteilige Arbeiten zum Thema This could be a Masterpiece. Die zentrale Installation bestand aus drei Elementen: In der Mitte ein Sockel mit der bronzenen Büste des Mönchengladbacher Malers Max Roeder, die – geschaffen von einem unbekannten Bildhauer – aus der Sammlung des Museums stammte. Links daneben stand ein zweiter Sockel, auf dem ein Wecker lag; rechts ein dritter, gekippt stehender, Sockel dem ein Stein unterlegt war. An allen drei Sockeln war eine Messingtafel mit der Aufschrift This could be a masterpiece“ befestigt. 

Cladders erwarb dieses Werk für die Sammlung des Museums, allerdings in einer modifizierten Version, die sich auf den mittleren Sockel mit der Büste Roeders konzentrierte.19 Nach Abschluss des Verkaufs stellte Braco Dimitrijević ein Zertifikat mit dem folgenden Text aus: Zertifikat – Über den Ankauf der Idee, die Bronzebüste des Malers Max Roeder (1866 Mönchengladbach – 1947 Rom), die sich bereits unter der Inventarnummer 6534 in den Sammlungsbeständen des Städtischen Museums befindet, die darin verbleiben wird, aber die von jetzt an ebenso als ein Werk von Braco Dimitrijevic im Sinne Dies könnte ein Meisterwerk sein’ verstanden werden darf. Der Kaufbetrag wird auf das Konto von Braco Dimitrijevic bei der Kreditna Banka Zagreb überwiesen. Mönchengladbach, den 11. Juni 1975 Dr. Cladders, Museumsdirektor – Braco Dimitrijevic“20

Im Erker lag ein zweites separates Werk auf dem Fußboden, das aus Stöcken, Holzlatten und der Messingplakette This could be a masterpiece“ bestand.21

Quellenangaben / Anmerkungen

Johannes Cladders, Text des Kassettenkatalogs und zugleich Rede zur Eröffnung der Ausstellung

„Ein Gemälde ist ebenso noch keine Kunst wie ein Piano noch keine Musik ist.“ Unter diesem Titel erläutert Braco Dimitrijević im Katalog seiner Zagreber Ausstellung 1973 seine Absichten. Es geht um die Bedingtheiten des Kunstwerks, insbesondere um die historischen, verstanden als kunsthistorische. „Ich war immer am Mechanismus, der Kunstgeschichte schafft, interessiert, an den Methoden der Auswahl, an der Wirkung und am Einfluss des Systems zur lnformationsverbreitung, auf die Entstehung von Vorstellungen und Namen in der Kunstgeschichte.“ Dabei stieß Dimitrijević auf die Probleme des Zufalls. Seine künstlerischen Manifestationen haben sie fast ausschließlich und immer wieder zum Thema. Zwei Wege der Darstellung schlägt er dabei ein: der eine tendiert zum Aktionistischen, der andere zu conceptualer Machweise.

In den aktionistischen Manifestationen greift Dimitrijević irgendeine Person aus der anonymen Masse heraus und bedenkt sie mit Mitteln, die uns aus dem Popularisierungsgeschäft bekannt sind: Plakat, Transparent, Großfoto. Oder er errichtet ihr ein Denkmal, widmet ihr eine Gedächtnistafel, als sei sie bereits in die Geschichte eingegangen. Dass er nicht darauf zielt, dem willkürlich herausgegriffenen, dem zufälligen Passanten mit den Mitteln der Massenkommunikation zur Berühmtheit zu verhelfen, bedarf keiner Betonung. Der Griff auch in die Requisiten postumer Bedeutungszuweisungen schließt jede Fehldeutung der Absicht aus. Die Person des Herausgegriffenen ist nur insoweit gemeint, als sie sozusagen „leibhaftig“ für das Prinzip des Zufalls steht, für das weite Feld des Möglichen.

Dieses Feld des Möglichen steuert Dimitrijević auch in Handhabungen an, die – weniger aktionistisch – mehr dem Schreibtisch, dem „Atelier“ des Concept-Künstlers zugehören. Dabei geht es nicht um Personen, sondern um Orte („Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein.“), um Kunstwertigkeiten („Dies könnte ein Meisterwerk sein“) oder um Anlässe, Initialzündungen („Dies könnte der Anlass für ein Buch sein.“). Der Konjunktiv verweist auf das Thema: die Rolle des Zufalls in der Geschichte.

Geschichte ist dabei – wie bei allen Unternehmungen von Braco Dimitrijević – entweder (oder sowohl als auch) als Abgeschlossenes oder als Prozess, als Resultat wie als Herleitung zu verstehen. Die Willkür des artifiziellen Vorgehens behauptet nicht etwa – wie auch bei den aktionistischen Manifestationen – eine absolute Blindheit des Zufalls, sondern soll seine potentiellen Grade, sein „Im-Spiel-Sein“ signalisieren. Wir dürfen das unterstellen, denn wie anders ließe sich das gestellte Interview von Braco Dimitrijevic aus 1974 (herausgegeben von der Galerija studentskog centra, Zagreb) interpretieren, wenn nicht als Ausmessung eines Feldes der Möglichkeiten zwischen „Ja“ und „Nein“, zwischen Faktischem und Potentiellem. (Das Interview ist bewusst aufgebaut auf extrem gegensätzliche Antworten auf gleiche Fragen, wie etwa auf die Wahrheitsgemäßheit der Antworten, die einerseits mit „Ja, sie sind wahr“, wie andererseits „Nein, wie könnten sie wahr sein“ beantwortet werden.) „Ja“ wie auch zugleich „Nein“ würden sich gegeneinander aufheben. Es bliebe eine Leere, nicht wert des Befragens, wenn nicht als Freiraum des Möglichen und damit von Antworten.

Dimitrijević steht nicht allein mit einer Kunst, die sich selbst zum Thema nimmt. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert befragt sich die Kunst zunehmend intensiver selbst, thematisiert sie ihre materialen, definitorischen oder gesellschaftlichen Bedingtheiten, nicht nur in begleitender Theorie, sondern ausdrücklich im Werk selbst.

Kunst ist immer „künstlich“ im Gegensinn von „natürlich“; sie wird immer „gemacht“. Und zwar vom Produzenten ebenso wie vom Rezipienten. Der Produzent stellt sie her nach einem bestimmten Kunstbegriff, der Rezipient weist ihr ihren Stellenwert als Kunst zu – entsprechend seinem eigenen Begriff von Kunst. Selbst wenn dieser Vorgang nicht bewusst abläuft, er ereignet sich immer, wenn es zur Erhebung eines Werkes zum Kunst-Werk kommt. Die Kunstbegriffe von Produzent wie Rezipient müssen zur Deckung gekommen sein.

Das Interesse von Braco Dimitrijević am „Mechanismus, der Kunstgeschichte schafft“, steuert diesen Vorgang von einer äußerlichen Seite an, nämlich von der „Informationsverbreitung“ her, die Voraussetzung dafür ist, dass Kunstbegriffe zur Deckung gelangen und damit Werke zu Kunst-Werken werden können. Eine Grundvoraussetzung ist, dass sich Produzent (Werk) und Rezipient (Urteil) begegnen. In diese Begegnung spielt sicherlich oft auch der Zufall.

„Es waren einmal zwei Maler, die lebten fern von Städten und Dörfern. Eines Tages jagte der König in ihrer Nähe und verlor seinen Hund. Er fand ihn im Garten des einen der beiden Maler. Er sah das Werk dieses einen Malers und nahm ihn mit auf sein Schloss. Der Name dieses Malers war Leonardo da Vinci. Der Name des anderen verschwand für immer aus dem Gedächtnis der Menschen.“

Diese Geschichte, erzählt von Braco Dimitrijević in seinem Zagreber Katalog, schlägt das Leitthema seiner künstlerischen Manifestationen an: der Zufall im Mechanismus der Kunstgeschichte. Wie schon gesagt, Zufall nicht als blinde Willkür, sondern als Bandbreite des Möglichen. Maler (Werk) und König (Urteil) begegnen sich, das Werk wird zum Kunst-Werk, sein Produzent „berühmt“.

Die Geschichte ist Poesie. Und „Poesie“ ist letztlich auch das, was Dimitrijević macht. Seine Arbeiten können nicht – und wollen es wohl auch nicht – Anspruch auf Untersuchungen wissenschaftlichen Charakters erheben. Sie visualisieren einen Gegenstand, der allerdings zugleich auch Objekt kunstwissenschaftlicher Betrachtung ist. „The medium is the message“; das erklärt differierende Aussagen.

Allgemeine Kreativität, wie sie von Joseph Beuys postuliert wird, wie auch die soziologischen Bedingtheiten des Kunstwerkes abtastende Rahmentheorie von Daniel Buren spielen in die Arbeiten von Braco Dimitrijević mit hinein. Er siedelt sich zwischen beiden an mit einem besonderen Blick auf die geschichtlichen Wirkweisen. Optimismus wie Kritik werden dabei so überzogen, dass daraus eine Wahrheit des Kunst-Werks wird: Poesie, die die geschichtliche Dimension von Kunst thematisch anreißt.

KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG

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KASSETTENKATALOG ZUR AUSSTELLUNG
BRACO DIMITRIJEVIĆ, 14.3.–20.4.1975

Schachtel aus weißem Karton, schwarzer Aufdruck auf Deckel und Seite, geklammert, 20,2 × 15,8 × 2,7 cm

Inhalt: 2 Katalogbroschüren, Drahtobjekt 

Draht, gewellt und verzinkt, ca. 19 cm lang, in der Schachtel durch eingehefteten Pappstreifen rechts separiert

Broschüre Braco Dimitrijević“ mit Impressum, Dank und einem Text von J. Cladders, 21 S/​W‑Abb. sowie Bio- und Bibliografie des Künstlers, 22 S.

Broschüre Braco Dimitrijević II“: Künstlerbuch mit 24 Konzepten und 24 S/​W‑Abb., 50 S.
Fotos: Paolo Mussat Sartor, Nebojśa Borić, Tim Morris

Auflage: 330 nummerierte Exemplare

Gesamtherstellung: H. Schlechtriem, Mönchengladbach

Preis in der Ausstellung: 15 DM

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Rekonstruktion der Ausstellung / Ausgestellte Werke (Quellennachweise siehe Text)
Susanne Rennert

Außenfassade: An der zur Bismarckstraße hin gelegenen Loggia im 1. OG hing zu Beginn der Ausstellung ein großformatiges Banner mit der Aufschrift ERICH HOEFER (256 x 293 cm). Dieses wurde, so der Künstler, nach kurzer Zeit gegen ein schmales Banner mit demselben Schriftzug ausgetauscht und anschließend als Teil des Werks Erich Hoefer – Casual Passer-by I met at 6.15 P.M., 1975, in Raum III aufgehängt. Gemeinsam mit dem Banner wurden in Raum III zwei auf Karton aufgezogene S/W-Fotos mit Abbildungen der Fassade und des Banners gezeigt, sowie das dazugehörige Zertifikat.

Zusätzlich initiierte man (offenbar erst nach der Eröffnung) eine Poster-Aktion in der Stadt. Auf Plakatwänden und Litfasssäulen wurde hier das Fotoportrait eines Herrn mit Brille und Anzug plakatiert. Auch wenn es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um Erich Hoefer, sondern um einen namentlich nicht erfassten Casual Passer-by handelte, hat dieser Fotografierte im typischen Habitus der 1970er Jahre die Vorstellung vom unbekannten Mönchengladbacher Erich Hoefer nachhaltig geprägt.

In Raum IV und im Gartensaal wurden insgesamt sechs weitere Passer-by Arbeiten gezeigt. Braco Dimitrijević betont, dass im Gartensaal (Raum II) zwei von insgesamt drei Folgen seiner konzeptuellen Foto/Text-Serie zum Thema „Orte, Meisterwerke, Anlässe“ ausgestellt waren, nämlich Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein / This could be a place of historical interest und Dies könnte der Anlass sein ein Buch zu schreiben / This could be a reason for books to be written. Beide Werkfolgen sind auf den Ausstellungsfotos von Ruth Kaiser (Archiv Museum Abteiberg) zu sehen. Da sich zwei Ausstellungsrezensionen (Tristram, Junkers) auch auf die dritte Folge der Serie Dies könnte ein Meisterwerk sein / This could be a Masterpiece beziehen – sie ist im Kassettenkatalog enthalten – bleibt hier eine gewisse Unklarheit bestehen.

Der Erker war vom Gartensaal (Raum II) durch eine Kordel abgetrennt. Hier installierte der Künstler zwei jeweils mehrteilige Arbeiten zum Thema This could be a Masterpiece. Die zentrale Installation bestand aus drei Elementen: In der Mitte ein Sockel mit der bronzenen Büste des Mönchengladbacher Malers Max Roeder, die – geschaffen von einem unbekannten Bildhauer – aus der Sammlung des Museums stammte. Links daneben stand ein zweiter Sockel, auf dem ein Wecker lag; rechts ein dritter, gekippt stehender, Sockel dem ein Stein unterlegt war. An allen drei Sockeln war eine Messingtafel mit der Aufschrift „This could be a masterpiece“ befestigt. Cladders erwarb dieses Werk für die Sammlung des Museums, allerdings in einer modifizierten Version, die sich auf den mittleren Sockel mit der Büste Roeders konzentrierte. Ein zweites separates Werk, das aus Stöcken, Holzlatten und der Messingplakette „This could be a masterpiece“ bestand, lag auf dem Fußboden.

Kassettenkatalog

Einladungskarte / Plakat / Druckerzeugnisse

Archiv Fotografien

Archiv Dokumente / Korrespondenz

Archiv Presse

Presse

Kurzankündigungen / Meldungen

o. V., Neue Museumsausstellung, in: Rheinische Post, 14.3.1975 (+ Graphiken aus der Edition der Parasol Press New York)
o. V., Museum Samstag und Ostermontag geöffnet, in: Rheinische Post, 29.3.1975 (+ Graphiken aus der Edition der Parasol Press New York)
o. V., Ausstellung Braco Dimitrijević, in: Westdeutsche Post, 13.5.1975 (+ Graphiken aus der Edition der Parasol Press New York)

Berichte / Rezensionen / Kommentare

CJ [Claudia Junkers], Herrschaft des Zufalls in Kunst und Geschichte, in: Westdeutsche Zeitung, 20.3.1975
Tr. [Richard E. Tristram], Kunst – Frage des Zufalls? Braco Dimitrijevic im Gladbacher Museum, in: Rheinische Post, 5.4.1975
o. V., Gedankenkunst aus Jugoslawien, in: Handelsblatt, Nr. 70, 10./12.4.1975